Der Jakobsweg am Meer. Michael Sohmen

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Der Jakobsweg am Meer - Michael Sohmen

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Heilige Regel: niemals nimmt man eine Abkürzung mit dem Automobil. Ich habe sie gebrochen und das macht meinen ursprünglichen Plan zunichte, den Weg ausschließlich im Pilgerstil zurückzulegen. Ich erkläre es ihr in Kürze: »Mir fehlen drei Kilometer vom Camino del Norte.«

      Juli schweigt und sieht mich nachdenklich an. Ein Pilger beginnt auf einer Ukulele zu spielen. Der Herbergsunternehmer hatte in der Zwischenzeit weitere Pilger mit seinem Auto herangekarrt und diese stimmen in Französisch ein, während der musikalische Wanderer auf der kleinen Gitarre zupft. Es ist immer interessant, mit Franzosen, Spaniern oder Italienern unterwegs zu sein. Sie kennen viele Musikstücke, die sie auswendig mitsingen können. In Deutsch würde mir nichts Geeignetes einfallen. Außer Alle meine Entchen, Fuchs, du hast die Gans gestohlen oder Hänschen klein. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass jemand in meinen Alter solche Texte mitsingen würde, wenn er noch halbwegs nüchtern ist.

      Abends versammeln wir uns zum Pilgermenü im Gemeinschaftsraum. Der Inhaber ist gleichzeitig der Koch und berät uns bei der Auswahl. Seine Ehefrau serviert die Mahlzeiten. Zum Schluss empfiehlt er uns, ein Kloster in der Nähe zu besichtigen. Da er verspricht, dass dieses Bauwerk absolut sehenswert sei, verabredet sich unsere neue Pilgergemeinde zu einer Abendwanderung.

      »Wie wirst du das Problem mit den verlorenen drei Kilometern lösen?«, fragt mich Juli, als wir die Straße hinaufwandern und das spirituelle Gebäude in Sichtweite kommt. »Du könntest beispielsweise einige Male um das Kloster herumlaufen.«

      Ich vertiefe mich in Berechnungen, bis ich eine Lösung aus dem Dilemma finde.

      »Ein paar Tage zuvor habe ich einen Wegweiser verpasst und bin einen Umweg gelaufen. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, sind die fehlenden Kilometer wohl ausgeglichen.«

      »Dann sind ja alle Probleme gelöst.« Sie lächelt verschmitzt.

      Als wir die Kirche besichtigen und uns alte Männer mit gebeugtem Rücken entgegenkommen, überlege ich, ob dieses Gebäude als Altenheim genutzt wird. Die schwarze Robe der Männer weist jedoch darauf hin, dass es sich bei den betagten Herren um Mönche handelt. Offensichtlich fehlt es diesem Kloster an Nachwuchs. Das Zölibat wurde zu streng eingehalten.

      Die zerstörte Stadt

      6. August, Markina-Xemein / Bolibar → Guernika

      Als ich meine getrockneten Sachen an der Wäscheleine eingesammelt und im Rucksack verstaut habe, lasse ich eilig die Herberge hinter mir. Für Ordnung blieb keine Zeit, daher habe ich all meine Habseligkeiten hastig hineingestopft. Die anderen Pilger waren bereits fertig mit Packen, als ich erst damit begonnen hatte.

      Ich bin froh, dass die anderen geduldig auf mich gewartet haben. Mittlerweile sind wir eine größere Pilgergruppe, neben Gabriel, Ann-Claire und Juli hat sich auch ein holländisches Pärchen dazugesellt sowie der musikalische Franzose.

      Durch die unübersehbare Präsenz der rot-grün-weißen Flagge an fast jedem Haus ist zu erkennen, welche politischen Ansichten die Bewohner in dieser Region teilen. Unmissverständlich wird am Ortsschild von Munitibar erklärt, was dies bedeutet: »Das Baskenland ist ein unterdrücktes Land, das für seine Freiheit kämpft. Die spanische Flagge wurde uns durch Gewalt aufgezwungen und ist das Symbol der Unterdrückung, daher akzeptieren wir sie nicht.« Ich habe mir erlaubt, den Text zu kürzen und in Deutsch wiederzugeben. Die Mehrheit der Bürger scheint dieser Meinung zu sein. Eine vollkommene Autonomie ist wohl nur eine Zeitfrage.

      Die Ortschaften werden zu winzigen Siedlungen und bald durchqueren wir reinste Wildnis. Wir marschieren an einem rauschenden Bach entlang durch ein morastiges Tal und balancieren über Baumstämme. Der Weg ist sumpfig und man sinkt oft knöcheltief ein. Der Belgier Gabriel ist mit seinen Wüstenkampfstiefeln bestens dafür ausgestattet. Seine Füße bleiben trocken, während meine Turnschuhe sich mit schlammigem Wasser vollsaugen. Es macht aber Spaß, durch diesen Nationalpark zu wandern, in dem weder Land- noch Forstwirtschaft betrieben wird. Nach vielen Kilometern verlassen wir die Wildnis über einen steilen Anstieg, der bei einer Ansammlung von Wohnhäusern endet. Wir sind zurück in der Zivilisation und nach einer kurzen Rast verlassen wir das Dorf über einen Weg, der einige Höhenmeter aufwärts führt. Am höchsten Punkt bietet sich eine wundervolle Aussicht über die grüne Berglandschaft.

      Plötzlich ist ein Klappern auf dem Asphalt zu hören. Ein Fohlen war uns gefolgt. Als wir halten und es bewundern, weicht es zurück und geht nervös auf und ab. Wir gehen ein paar Schritte weiter und es folgt uns erneut. Als wir abermals stehenbleiben und hoffen, dass es diesmal näherkommt, zögert es erneut. Plötzlich nimmt es Reißaus und rennt über eine Wiese davon. Wahrscheinlich wusste es, wo es hinwollte und wir standen dem Tier nur im Weg.

      Kurz vor dem Schluss der Etappe führt die Landstraße abwärts. Rechter Hand sehe ich ein größeres Gebäude, auf dem ein riesiges Hakenkreuz prangt. Ich bleibe einen Moment stehen und starre verdutzt auf dieses Symbol. Schnell erkenne ich mein Missverständnis. Es stellt die baskische Rose dar und ist ein Symbol für die Unabhängigkeit des Baskenlandes.

      Als der Weg in eine dicht besiedelte Ebene führt, verkündet das Ortsschild den Namen in baskischer Schreibweise: Gernika. Es erwähnt eine Partnerschaft mit Pforzheim. Diese deutsche Stadt befindet sich fünfzig Kilometer von Karlsruhe entfernt und ist ein wenig ansehnlicher Ort, der vor allem bekannt ist für seinen ›Monte Scherbelino‹. Ein riesiger Berg aus Schutt, der aus den Resten des ehemaligen Pforzheims entstanden ist. Seinerzeit soll es eine wundervolle Stadt gewesen sein, bevor sie im 2. Weltkrieg in Grund und Boden gebombt wurde.

      Wir finden schnell die Jugendherberge, da die Route mit Wegweisern gut ausgeschildert ist. Als wir den Schlafsaal betreten, macht sich Enttäuschung breit. Es ist ein zu kleiner Raum mit zu vielen Stockbetten. Vollkommen zugestellt. Man muss sich hindurchzwängen, um zu den hinteren Betten zu gelangen. Die Unterkunft ist für 18 Euro pro Nacht unverhältnismäßig teuer und nachdem ich mich eingerichtet habe und zu den Duschräumen begebe, wartet schon eine Schlange davor. Für die große Anzahl an Gästen ist alles äußerst klein dimensioniert. Als ich ins Zimmer zurückkehre, sind Wäscheleinen zwischen den Betten gespannt.

      »Woanders war kein Platz«, murmelt der französische Pilger entschuldigend, als ich mich unter den Leinen zu meinem Platz durchkämpfen muss. Nachdem ich den Hindernis-Parcours bewältigt habe, entspanne ich mich auf dem Bett.

      Am späten Nachmittag versammelt sich die illustre Gruppe zu einer Tour ins Stadtzentrum. Beim Verlassen der Herberge prüft Juli, ob sie den Schlüssel für die Herberge auch sicher in ihrer Handtasche verwahrt hat und zieht einen anderen heraus, der erkennbar nicht von dieser Unterkunft stammt. »Der ist von der Pilgerherberge in Deba«, murmelt sie, »ich habe vergessen, ihn dort abzugeben.«

      Als sie dazu ansetzt, ihn in die Box der Schlüssel dieser Herberge zu werfen, halte ich sie zurück. »Schicke ihn doch per Post. Die werden sich sonst ärgern, wenn er fehlt. Hier kann niemand etwas damit anfangen.«

      »Okay.« Sie nickt und verstaut den Schlüssel wieder. »Unterwegs müssen wir uns nach einer Postfiliale umschauen.«

      Als wir das Stadtzentrum erreicht haben, halten wir vor einem weißen Gebäude.

      »In diesem Museum wird der Spanische Bürgerkrieg in künstlerischer Form dargestellt«, erklärt Juli, als wir eintreten.

      In der Eingangshalle schaue ich mich um und betrachte Abbildungen von Häuserruinen, die mit spezieller Fototechnik in rot-gelb dargestellt sind. Kriegskunst im Andi-Warhol-Stil. Ich betrachte eine Schautafel und erfahre etwas über die tragische Geschichte der Stadt. Verheerende Bombenangriffe, die auf Guernika geflogen wurden, um den Widerstand der baskischen Rebellen zu brechen. Es war eine Operation der deutschen Luftwaffe, die in der Operation

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