Die Hoffnung aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Endlich wird die Ampel grün und ich setze den Blinker und fahre rechts in die Straße hinein, obwohl ich eigentlich vorhatte, der Hauptstraße zu folgen. Ein kleines Hotel erscheint auf meiner Straßenseite und ich überlege nur kurz, dann steuere ich meinen Mercedes auf den kleinen Parkplatz und lasse den Motor ausgehen. Vielleicht sollte ich hier nach einem Zimmer fragen und einfach noch einige Zeit in Köln bleiben?
Natürlich hatte ich heute Vormittag in dem Hotel, in dem ich die letzten fünf Tage verbracht hatte, großspurig ausgecheckt, um auch weiterhin den Eindruck zu erwecken, dass ich noch heute Abend nach Hause presche, um meiner Liebsten in die wartenden Arme zu fallen.
Aber meine Liebste liegt in den Armen eines anderen und ich stehe vor einem kleinen, schäbigen Hotel, völlig unwissend, wohin ich mich wenden soll.
Zu meiner Mutter nach Wolfsburg will ich nicht fahren. Auch von dort werden Fragen kommen, was ich denn jetzt anfangen will und was denn mit der jungen Frau ist, von der ich ihr vor kurzem erzählt hatte. Meine Mutter will sie kennenlernen und erwartet uns zu Weihnachten und zum gemeinsamen Hineinfeiern in das Jahr 2010. So hatte sie es zumindest deklariert. Sie hatte mir gestern am Telefon in ihrem herrischen und unwiderruflichen Ton mitgeteilt, dass sie uns in Wolfsburg erwartet und die Feiertage voll durchgeplant hat. So, wie sie es halt immer tut. Schließlich ist Weihnachten.
Ich hatte sie aufgebracht angefaucht: „Ich war jetzt vier Monate unterwegs. Glaubst du, ich fahre nach Hause, greife mir Carolin und schleppe sie nach Wolfsburg? Bestimmt nicht! Wir beide werden irgendwohin fahren, wo wir ganz allein sind und wo wir endlich in Ruhe unsere gemeinsame Zeit genießen können. Wir waren lange genug getrennt.“
Meine Mutter hatte in ihrer alten, cholerischen Art getobt: „Tim, was soll das heißen? Dein Zuhause ist hier und nicht irgendwo in der Weltgeschichte. Und du kommst auf alle Fälle Weihnachten nach Hause! Hast du verstanden? Du warst bestimmt auch schon lange nicht mehr bei einer Messe und ich möchte, dass wir das unbedingt nachholen. Und Sylvester? Wir haben das neue Jahr immer zusammen begonnen. Es kann doch nicht dein Ernst sein, diese alte Tradition zu brechen!“
Aber es war mein Ernst. Ich kann das familiäre Getue nicht ertragen, will keine Minute in einer Kirche verschwenden, und ich will Carolin endlich dazu bringen, sich für mich zu entscheiden. Und was will meine Mutter eigentlich? Seit sie diesen Typen hat, bin ich sowieso abgeschrieben. Immer stand ich an erster Stelle. Immer war ich der Mann an ihrer Seite. Bis dieser Typ aufkreuzte. Meine Mutter schert sich doch einen Dreck um mich und soll ihr scheiß Weihnachten und Sylvester ohne mich feiern.
Natürlich hatte meine Mutter bei ihren aufgebrachten Worten angefangen zu schnauben und zu prusten, wie ein altes Dampfross, weil ich nicht tun wollte, was ihr vorschwebte. Aber am Telefon und auf die Entfernung machte mir das nichts aus. Und als sie wieder wie früher zischte: „Du bist genauso ein undankbarer Nichtsnutz wie dein Vater“, konnte mich das nicht mehr erschüttern.
„Danke, Mama. Dann ist es doch gut, wenn du deine schönen Feiertage nicht mit meiner Anwesenheit versauen musst“, hatte ich nur erwidert und aufgelegt, ohne das wirklich vorher überlegt zu haben. Einen Moment war ich selbst erschrocken. Doch dann dachte ich mir, dass ich alt genug bin, mich nicht mehr von ihr so behandeln zu lassen. Ich will mich von niemandem mehr so behandeln lassen.
Es tat gut, sich endlich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Aber dass ich meiner Mutter erneut die Stirn geboten hatte, ließ in mir zweigeteilte Gefühle aufkommen. Ich will eigentlich der nette, herzensgute Tim sein, der geliebt wird, weil er so unglaublich liebenswürdig ist. Aber mit Nettigkeit und Herzensgüte kam ich im Leben bisher nicht weit. Ich konnte mir zumindest niemals damit die uneingeschränkte Zuneigung meiner Mutter erkaufen. Die gab sie nur anderen. Das begriff ich aber erst, als dieser Typ bei uns auftauchte und meine Mutter ihn nicht mehr gehen ließ. Es hatte schon immer Typen wie ihn gegeben. Aber die verschwanden am nächsten Tag auch wieder … oder spätestens am übernächsten. Aber Hans blieb. Er verkörpert offenbar alles, was meine Mutter sich für den Mann an ihrer Seite wünschte. Er arbeitet in einem Verlag, der sich auf religiöse, spirituelle Schriftwerke spezialisiert hat, geht regelmäßig in die Kirche, betet vor und nach jedem Essen und wahrscheinlich auch noch vor dem Schlafengehen und trägt ständig einen Heiligenschein, der seine Güte und Vollkommenheit präsentiert … und er lässt sich bestimmt jederzeit und mit Freude von meiner Mutter unterbuttern.
Ich wusste anfangs nicht, wie ich damit umgehen sollte, dass er meinen Platz belegte. So rebellierte ich, wo ich konnte. Ich sperrte mich gegen alles, wo er dabei sein wollte. Und er wollte immer an der Seite meiner Mutter sein … und sie wollte ihn immer bei sich haben.
So brach etwas in mir. Ich glaubte, meine Mutter zu verlieren, was mich erst verunsichert und erschreckt hatte. Aber dann sah ich ein, dass es der Lauf der Zeit ist und man sich mit fünfzehn von seiner Mutter lösen muss und anderem zuwendet. Und ich hatte das zarte Wesen aus meinen Träumen, das meine Welt erhellen konnte und zum Druck ablassen meine Filme, die mir diese kalte, animalische, sexgeladene Welt präsentierten, die dem Mann als Spielplatz dient und ihm die Frau zum Untertanen macht. Ich hatte bisher nur das Gegenteil bei meiner Mutter erleben müssen und nahm Hans sogar irgendwann als einen Umstand wahr, der mich letztendlich aus ihren Klauen befreite. Ohne ihn hätte ich es wahrscheinlich niemals über mich gebracht, meine Mutter zu verlassen, mich mit neunzehn Jahren in die Welt zu begeben und das Wichtigste zu suchen, das es für mich gibt, um es zu retten. Das Mädchen aus meinen Träumen.
Ich steige aus dem Mercedes aus, ziehe meine Tasche vom Beifahrersitz und verriegele die Türen. Meinen Jackenkragen gegen den kalten Wind hochschlagend, laufe ich zum Eingang des Hotels und trete schnell ein.
Es ist warm und wirkt gemütlicher, als es von außen den Anschein hatte. An der Rezeption muss ich klingeln und warte, bis ein Mann freundlich lächelnd auf mich zukommt. „Guten Abend“, sagt er und ich grüße zurück. Ich frage nach einem Zimmer und keine fünf Minuten später trage ich meine Reisetasche in den zweiten Stock hoch und in ein geräumiges Doppelzimmer. Ein Einzelzimmer war nicht frei.
Ich werfe meine Tasche auf das Bett und gehe unschlüssig an das Fenster, aus dem ich auf die beleuchtete Stadt blicken kann. Mir eine Zigarette anzündend, sehe ich hinaus und frage mich, was Carolin jetzt wohl macht. Ob sie an mich denkt?
Meine Stirn an die kalte Scheibe lehnend, weiß ich, dass ich in ihrem Leben nicht mehr viel Gedankengut produziere. Wäre ich bloß an dem einen Samstag nicht ausgerastet! Aber das lässt sich nicht mehr ändern. Meine Liebe zu ihr war zu überwältigend, und meine Wut, weil sie glaubt, dass ich nicht mehr in ihr Leben gehöre, zu erdrückend.
Die Gedanken an sie lassen mein Herz zu einem schweren Klumpen werden und in meinem Bauch zieht es eisig, als liefe eine Eiszeit durch ihn hindurch. Ich muss blinzeln, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken und mich packt erneut die Fassungslosigkeit darüber, wie alles gelaufen war.
Aber es ist noch nicht vorbei. Sie gehört immer noch zu mir. Ich bin nicht mehr der kleine, dumme, verängstigte Junge, der von seinem Leben und seinen Träumen niedergedrückt nicht weiß, wie er sich zu verhalten hat. Ich werde sie mir zurückholen. Wie auch immer.
Mich von dem Fenster wegdrückend, verschwimmt die Stadt und ich sehe mich in der Scheibe. Ich starre auf mein schmales, weißes Gesicht mit den schwarzen, kurzen Haaren und den schwarzen Augen. Ihr Glanz verrät meine unendliche Qual und ich drehe