Die Hoffnung aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Vor meiner Mutter stellte ich es so hin, als würde es nur um meinen Vater gehen. Dass ich plötzlich Interesse an ihm zeigte, machte sie wütend und wir gingen im Streit auseinander.
Sie wusste natürlich nichts davon, dass Kurt immer noch in mir wütete, und was mich wirklich dazu antrieb, nach Osnabrück zu ziehen. Sie glaubte, sie hätte mir diesen „Freund“ schon als Kind ausgetrieben und wusste weder etwas von diesem Mädchen aus meinen Träumen noch von meinem Wissen über unseren Vorfahren. Sie wusste auch nicht, dass ich meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, schon seit Jahren traf und schon lange einem Treffen mit meinem Vater und meinen Geschwistern entgegenfieberte. Und ich hoffte auch das Kind zu finden, dass er vor mir gezeugt hatte. Aber was sich dann alles ereignete, konnte ich mir in meinen kühnsten Vorstellungen nicht ausmalen …
In diesem Hotel in Köln gestrandet, muss ich mir nun überlegen, wie mein Leben weitergehen soll.
Ich schiebe mich schwerfällig von der Matratze und spüre eine Kälte mich durchdringen, die mich erzittern lässt. Niedergeschlagen schleiche ich in das angrenzende Badezimmer, ziehe mich aus und stelle mich unter die heiße Dusche, bis meine Haut nur noch eine verschrumpelte, weiche Masse ist. Aber die Kälte in meinem Inneren kann ich damit nicht vertreiben.
Ich lausche in mich hinein. Aber dort ist alles tot. Fast wünsche ich mir, Kurt würde wieder an die Oberfläche krabbeln und mir sagen, was ich tun soll. Aber er ist weg, seit es diesen schrecklichen Vorfall mit Julian gab, der Carolin und mir fast das Leben gekostet hatte. Was immer in diesem Labor wirklich geschehen ist, es hatte mich von Kurt Gräbler befreit oder ihn zumindest in einen Hintergrund gedrängt, aus dem er sich nicht mehr so einfach in mein Leben schleichen kann. Ich träume nicht mehr von ihm. Manchmal wünsche ich mir allerdings, seine Macht würde noch in mir wüten, auch wenn das hieße, weiter mit Albträumen und der Angst leben zu müssen. Aber dann wäre er auch noch in Carolin vorhanden und würde sie lenken, wie er es vor Julians Versuch, ihn in seinem Labor auferstehen zu lassen, getan hatte. Dann hätte sie sich nicht so leicht von mir abwenden können und würde jetzt immer noch in meiner Wohnung in Alfhausen auf mich warten.
Während ich mich abtrockne, spüre ich die Sehnsucht nach dem Ort aufkeimen, an den ich mich in den letzten Wochen so oft gewünscht hatte und an dem ich wohl die schönste Zeit meines Lebens verbracht hatte. Ich will doch nur ein wenig Liebe und Geborgenheit. Nur ein bisschen von dem, was ich schon erleben durfte.
Mein Blick gleitet durch das mir fremde Hotelzimmer zu meiner Tasche, die auf dem Bett liegt. Ich gehe zu ihr, reiße meine Wäsche heraus und krame die Bilderrahmen hervor, die Carolin zeigen. Auf einem steht sie in meiner Küche und macht sich einen Tee und auf dem anderen liegt sie in meinem Bett und schläft. Beides Schnappschüsse - mit meinem Handy gemacht. Ich hätte so viel mehr von ihr machen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Aber ich ahnte ja nicht, dass sie mir wieder entgleiten wird. Ich ahnte so vieles nicht und die Liebe und der tiefsitzende Drang, Carolin für immer für mich haben zu wollen, hatte mich verändert. Es gab viele Male, in denen ich mir in den letzten Monaten gewünscht hatte, ihr niemals begegnet zu sein und dass sie weiterhin nur in meinem Kopf existiert. Sie hatte etwas in mir aufbrechen lassen und mich mit etwas ausgefüllt, das mich unglaublich glücklich, aber auch unglücklicher machen konnte, als ich es je vorher war. Selbst als unser Halbbruder Julian beschloss, meinem und Carolins Leben ein Ende zu setzen, traf es mich nicht so tief, wie in den Momenten, als sie sich gegen mich wandte und mir ihre Liebe entzog.
Wie oft hatte ich verzweifelt versucht wieder in meine alte, kalte Welt einzutauchen, in der ich nicht verletzt werden konnte. Die kalte Welt, die ich meine ganze Kindheit lang in mir geschürt hatte, um besser in der harten Erwachsenenwelt bestehen zu können. Es war ein Kampf gewesen, der mich viel Kraft gekostet hatte. Genauso wie der Kampf um die Zuneigung meiner Mutter. Ich hechelte hinter ihr und ihrer Zuneigung her, bis ich für mich jegliche Zuneigung ausschloss und mich entschied, ohne leben zu können. Das machte mich hart und aggressiv, was ich aber nicht zeigen durfte. Bei uns Zuhause herrschte einzig und allein das Gesetz der Gefühlslosigkeit. Aber ich wollte Gefühl und ich wollte jemanden für mich. Das sah ich aber erst später so klar.
Mit fünfzehn hatte ich mein erstes Mal. Die junge Frau war eine von denen, die mich anhimmelten, nachdem ich ein Konzert gab. Von diesem Schlag gab es viele. Aber bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit ihnen nicht viel anfangen, weil mein ganzes Sein auf dieses blonde Mädchen aus meinen Träumen ausgerichtet war, dass meine Sehnsucht nach Liebe schürte - und auf meine Mutter, die mich mit Argusaugen überwachte, obwohl sie sich da schon mit Hans traf.
Eines Tages kam diese junge Frau nach einem Konzert in meine Kabine, trat ohne Umschweife an mich heran und küsste mich.
In mir sprang etwas an und sie machte mir verheißungsvolle Angebote, die ich nicht ausschlagen wollte. Sie war viel älter als ich und erfahrener. Sie war blond und schlank und hatte Sommersprossen. Mir war klar, dass sie dem Mädchen aus meinen Träumen ein wenig glich.
Sie hatte ein eigenes Auto und fuhr mit mir in das Hotel, in dem meine Mutter auf mich wartete. Aber ich hatte mein eigenes Zimmer und erklärte meiner Mutter, dass ich Kopfschmerzen habe und schlafen gehen wolle. Stattdessen wartete die junge Frau auf mich und ich fieberte nervös meinem ersten Mal entgegen.
Sie küsste mich und fand es so aufregend, dass ich so unglaublich Klavier spielen kann. Sie lobte mich in den Himmel und zog alle Register und bei mir brach etwas hervor, das sich nicht mehr kontrollieren ließ. Sie wollte es zärtlich und sanft und langsam. Sie glaubte, meine Art zu lieben sei wie mein Klavier spielen. Aber wenn ich Sex habe, bin ich kein Klavierspieler. Beim Sex bricht bei mir eine Bestie hervor, die nach etwas giert, von dem ich bis zu dem Zeitpunkt nicht wusste, dass es das in mir gibt. Als sie mich immer wieder küsste und wollte, dass ich sie streichle und zärtlich bin, packte ich sie, riss ihr die Bluse auf und warf sie auf das Bett. Sie war erst noch fasziniert von meiner Gier. Doch schnell erkannte sie wohl, dass es für mich nur noch eins gab. Ich wollte sie besitzen und diesen Hunger in mir stillen. Es gab keine Zärtlichkeiten. Ich riss ihr die Hose vom Leib und schob mich zwischen ihre Beine. Es tat weh, weil sie nicht bereit war. Aber als ich auf diese Weise meinen ersten Orgasmus erlebte, wusste ich, das ist was ich brauche. Davor kannte ich nur feuchte Träume, die mich überkamen und vorbei waren, bevor ich sie wirklich realisierte oder ich befriedigte mich selbst, während ich auf einen Bildschirm starrte, der andere beim Sex zeigte. Aber dieses erste Mal mit diesem Mädchen befreite mich von all dem, was bis dahin in mir wohnte und mich niederdrückte. Ich fühlte mich hinterher wie erlöst.
Die junge Frau wirkte verstört und enttäuscht und als ich ihr meine Nummer gab, nickte sie nur und ging. Ich hörte nie wieder von ihr.
Aber es folgten andere und ich lernte sie zum Druckablassen zu benutzen. Ich brauchte keine Gefühle und keine Streicheleinheiten. Ich brauchte nur einen Körper, in den ich meinen Frust, meine Versagensängste, und meine Sehnsucht nach diesem blonden Geschöpf aus meinen Träumen spritzen konnte.
Um nie wieder diesen ersten Schmerz verspüren zu müssen, gewöhnte ich mir an, mit einem Finger stets zu testen, was mich erwartet, bevor ich sie schnell und hart nahm.
Dann kam Tanja. Sie war so verliebt in mich und ich wollte das erste Mal, dass es für länger hielt, weil alles andere erschreckend mühsam ist. So bemühte ich mich um ein wenig mehr Zuwendung den weiblichen Formen gegenüber und versuchte mir etwas Zeit zu lassen. Aber meist misslang das. Wenn ich sie küsste, wollte ich sie auf der Stelle ganz. Dennoch gelang es mir, Tanja zu halten, und ich lernte einen Frauenkörper zu erkunden konnte auch etwas für sich haben. Ich tat das, wenn bei mir der erste Druck abgebaut war, um Tanja wenigstens etwa zu geben, dass sie an mich band. Aber es war nur ein schaler Abklatsch von Gefühlen und langweilte mich meistens schnell. Es brachte mir halt nichts.
Aber