Die Hoffnung aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Hoffnung aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen страница 9
Eines Tages raffte ich meinen ganzen Mut zusammen und platzierte mich an ihrer Schule. Ich weiß noch, wie übel mir vor Aufregung war, als ich mich an einen der Bäume lehnte, die den Schulhof umsäumten. Ich wusste, dass sie dort vorbeikommen würde und als sie dann wirklich auf mich zukam, war ich froh, dass ich mich an einen Baum lehnen konnte.
Ich weiß auch noch, wie sie mich angesehen hatte, bevor sie mich erreichte. Unsere Blicke trafen sich einfach, als gäbe es nichts anderes auf der Welt, was sie erfassen konnten. Schwarze Augen versanken in blaugrüne. Und ich sah dieses Gesicht zum ersten Mal ganz klar und wunderschön vor mir, umrahmt von den blonden Haaren und mit vielen kleinen Sommersprossen. Aber das Highlight waren ihre großen Augen mit den schwarzen Augenwimpern und den dunklen Augenbrauen, die so im Kontrast zu ihren hellen Haaren standen.
Als sie mich erreichte und an mir vorbeigehen wollte, brachte ich ein „Hallo“ zustande, dass sie mit leicht unsicherer Stimme erwiderte. Und dann verschwand sie aus meinem Blickfeld und es war vorbei. Aber ich wusste, sie ist es - die eine aus meinen Träumen, die in mein Herz sehen kann und die mich verstehen wird.
Und ich wollte sie retten, was immer es auch kosten würde. Das Böse durfte sie nicht bekommen. Und es gab dieses Böse wirklich, das ich in meinen Träumen gesehen hatte, und es wollte unseren Tod.
In meinem Kölner Hotelzimmer ziehe ich mir ein T-Shirt und eine Short an, und steige frierend unter die kalte Decke des Hotelbettes. Die Bilder von Carolin lege ich auf das Kissen neben mir. Es ist erschreckend leise in dem Zimmer, in das nicht mal der Kölner Großstadtlärm dringt und in meinem Magen rumort das Essen, das wir bei unserer Abschiedsfeier vor wenigen Stunden gegessen hatten. Ich muss mir immer wieder vergegenwärtigen, dass die Musicaltour nun unwiederbringlich vorbei ist.
Mich packt erneut die Traurigkeit, weil ich in diesem Hotelbett liege, statt bei Carolin zu sein. In meinem Kopf laufen die Bilder von unserem ersten Treffen an ihrem Schulhof erneut ab und ich sehe sie noch einmal an mir vorbeigehen, ihren Blick verunsichert in mein Gesicht geheftet.
Für mich war dieses erste Treffen eines unserer Highlights und ich wollte sie wiedersehen, mit ihr sprechen und ihr alles von mir erzählen. Sie sollte erfahren, was sie mir bedeutet und ich wollte sie beschützen. Mit meinem ersten Blick auf sie wusste ich, dass ich die eine für mich gefunden hatte. Sie sollte es sein.
Jetzt, in diesem Bett liegend, so weit weg von ihr, kann ich nicht verstehen, was mit uns passiert ist. Warum hatte sie sich letztendlich gegen unser Schicksal entschieden? Und wann hatte sie damit angefangen, sich gegen den Alchemisten, der auch in ihr schlummert, zu wehren? Warum hatte Kurt das, was geschah, nicht verhindert?
Das sind Fragen, die ich mir in den letzten Wochen immer wieder gestellt habe und mir auch heute wieder stelle, wo ich alles noch einmal Revue passieren lasse.
Ich beobachtete Carolin nach diesem Treffen, so oft ich sie irgendwo aufspüren konnte. Aber sie war nie allein. Christiane war ihre Freundin, die mit ihr zu der Zeit noch durch dick und dünn ging. Die beiden suchten Bibliotheken und Friedhöfe auf und ahnten nicht, wie oft sich unsere Wege kreuzten. Sie wussten nicht, dass ich oft in dem Bus saß, mit dem sie fuhren.
Ich tat einfach alles, um in Carolins Nähe sein zu können.
Als ich eines Tages Zeuge wurde, wie sie mitten am Tag einen Albtraum oder schrecklichen Tagtraum erlebte, der sogar ihre Freundin erschreckte, ahnte ich, dass auch sie irgendwelche Träume quälten. Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass vielleicht Kurt Gräbler auch bei ihr der Auslöser sein könnte. Schließlich wohnte sie in seinem Haus, dass vorher Jahrzehnte leer gestanden hatte, weil keiner es bewohnen wollte. Und augenscheinlich wusste Carolin von ihm und versuchte mehr über den Alchemisten zu erfahren. So zumindest interpretierte ich ihre Besuche in der Bibliothek und auf dem Friedhof, wo sie ganz offensichtlich Gräber inspiziert hatte. Aber ich dachte da noch, dass sie nur die Geschichte um das Haus interessieren würde. Etwas anderes kam mir zu der Zeit noch nicht in den Sinn, obwohl es offensichtlich war.
Ich wollte auch mehr über ihn erfahren und ob es dieses Labor auf seinem Grundstück wirklich gibt, wie er es in seinen Büchern beschrieben hatte. Schließlich zeigten mir meine Träume, dass etwas Schreckliches in einem Labor stattfinden würde, was Carolins Leben, und vielleicht auch meins, beenden wird. Also musste ich dieses Labor finden und vernichten.
Aber was wusste ich damals schon von den Zusammenhängen? Nichts! Und was ich zu wissen glaubte, war falsch. Ich glaubte, wenn ich das Labor fand, würde ich die Gefahr bannen können, die Carolin und mich das Leben kosten sollte. Aber ich hatte von nichts eine Ahnung und verstand auch meinen Eigenanteil an dem Ganzen nicht. Und nicht ich war es, der letztendlich unser Leben rettete und unseren Mörder aufhielt. Es war jemand, der überhaupt nichts mit all dem zu tun hatte.
Ich wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass der junge Mann auf dem Rennrad Carolins Bruder war und irgendwie machte er mich nervös, wenn ich ihn auch nur von weitem sah. Eine seltsame Beklommenheit machte sich in mir breit, wenn er das Haus verließ und auf seinem Rennrad davonfuhr. Es war wie eine Vorahnung. So war ich auch sehr beunruhigt und nervös, als ich mich eines Nachmittags mit wild pochendem Herzen erneut zu Carolins Haus wagte und mich in den Garten schlich. Ich wollte endlich dieses Labor finden, das Kurt Gräbler in seinen Aufzeichnungen erwähnt hatte. Es musste ein unterirdisches Kellergewölbe unter der Rasenfläche sein und ich hoffte, dass es noch sichtbare Anzeichen dafür gab.
An diesem Nachmittag glaubte ich allein auf dem Anwesen zu sein. Aber zu meinem Entsetzen war Carolin doch Zuhause und lag auf einer Decke auf dem Rasen und las. Sie hatte mich entdeckte, bevor ich sie sah, und ich musste mich ihr stellen, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht darauf vorbereitet war. Und sie war so unglaublich unfreundlich.
„Hey, was machst du hier?“, hatte sie damals losgewettert, bevor ich überhaupt irgendetwas hervorbringen konnte. Ich war deswegen sprachlos. So hatte ich mir unser erneutes Zusammentreffen nicht vorgestellt und der Umstand, dass sie so unglaublich unfreundlich zu mir war, hatte mich fassungslos und wütend gemacht. „Und warum versteckst du dich hinter einem Blumenbeet?“, blaffte ich deshalb zurück.
Uns trennten damals nur wenige Schritte und ich konnte meinen Blick nicht von diesem Gesicht wenden, das mir so unglaublich vertraut vorkam und mich tief in meinem Inneren berührte, auch wenn sie mich ansah, als wäre ich ihr Feind.
„Weißt du nicht, was Privatgrundstück heißt? Da haben Ungebetene keinen Zutritt. Also verschwinde hier!“
Ja, Carolins Unfreundlichkeit war an diesem Nachmittag grenzenlos und ich hatte mich ernsthaft gefragt, ob sie unsere Verbindung gar nicht spürte, die sich mir regelrecht aufdrängte. Aber ich konnte sie schließlich nicht danach fragen und ihr Verhalten mir gegenüber ließ mich auf Konfrontationskurs gehen. Ohne darüber nachzudenken, riss ich ihr die Zettel aus der Hand, die sie umklammert hielt. Ich glaube, ich wollte ihr mit diesem Übergriff ein wenig Angst machen oder ihr meine Überlegenheit zeigen. Vielleicht wollte ich auch nur meine Angst und ihre Überlegenheit überspielen. Was weiß ich. Aber was ich ihr da entrissen hatte war keine Kleinmädchengeschichte oder ein Schulaufsatz. Es waren Internetausdrucke über ein einziges Thema.
„Du interessierst dich für Alchemie?“
Sie hatte mir ziemlich verärgert die Papiere wieder aus der Hand gerissen und gebrummt: „Siehst du doch.“