Krieg und Frieden. Лев Толстой
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Der Fürst begriff, wie damals bei der Soiree der Hofdame, daß es ihm unmöglich sei, sich der Fürstin zu entledigen.
»Ich fürchte, ein solches Gespräch wird ihm peinlich sein, teuerste Fürstin, wir wollen bis zum Abend warten, die Ärzte hoffen auf eine Krisis.«
»Warten, mein Fürst? Aber das sind ja seine letzten Augenblicke! Bedenken Sie, es handelt sich um das Heil seiner Seele! Ach, wie schwer sind die Pflichten eines Christen!«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, welche zu den inneren Zimmern führte, und eine der Fürstinnen trat mit kaltem Gesicht heraus.
»Nun, wie geht es?« fragte Fürst Wassil.
»Immer wie bisher, und das kann nicht anders sein bei diesem Lärm«, erwiderte das Fräulein, indem sie die Fürstin wie eine Fremde musterte.
»Ach, ma chère, ich habe Sie kaum wiedererkannt!« rief diese mit glücklichem Lächeln und trat auf sie zu. »Ich bin soeben angekommen und sogleich herbeigeeilt, um Ihnen in der Pflege meines Onkels beizustehen! Wieviel haben Sie durchgemacht!« fügte sie hinzu, indem sie die Augen zum Himmel aufschlug.
Die junge Fürstin wandte sich auf den Absätzen um und verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu sagen.
Die Fürstin Drubezkoi nahm die Handschuhe ab und richtete sich in einem Lehnstuhl ein wie in einem erstürmten Festungswerk. Dann forderte sie den Fürsten auf, neben ihr Platz zu nehmen.
»Boris, ich werde zum Grafen, zu meinem Onkel, gehen und du könntest inzwischen Peter besuchen. Bringe ihm die Einladung Rostows zum Diner! Ich glaube, er wird nicht kommen«, bemerkte sie zum Fürsten Wassil.
»Warum nicht?« erwiderte dieser sichtlich verdrießlich. »Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie mich von diesem jungen Mann befreien würden; er hat sich hier niedergelassen, und der Graf hat nicht ein einziges Mal nach ihm gefragt.«
Er zuckte mit den Achseln und klingelte. Ein Diener erschien und wurde beauftragt, Boris zu Peter zu führen.
16
Peter hatte noch nicht die Zeit gefunden, sich für irgendeine Laufbahn zu entschließen, nachdem er aus Petersburg wegen seiner tollen Streiche verwiesen worden war. Die Geschichte, welche bei Rostows erzählt worden, war richtig, er hatte mit seinen Kameraden den Polizeioffizier dem Bären auf den Rücken gebunden.
Wie gewöhnlich wohnte er bei seinem Vater. Er vermutete mit Recht, daß seine Abenteuer bekannt geworden und daß die weibliche Umgebung des Grafen, die ihm immer feindlich gesinnt war, nicht verfehlen werde, den Grafen gegen ihn aufzubringen. Dennoch begab er sich am Tage seiner Ankunft in die Gemächer seines Vaters und auf dem Wege dahin trat er in den Salon ein, wo sich gewöhnlich die Fürstinnen aufhielten, um sie zu begrüßen. Zwei von ihnen waren mit Stickereien beschäftigt, während die dritte, die ältere, ihnen laut vorlas.
Ihre Haltung und ihre Toilette waren tadellos, aber die Länge ihres Oberkörpers fiel sogleich auf. Es war dieselbe, welche die Fürstin Drubezkoi ignoriert hatte. Die jüngeren waren beide sehr hübsch und unterschieden sich voneinander nur dadurch, daß die eine ein kleines Muttermal auf der Oberlippe hatte, das sie sehr verführerisch machte. Peter wurde empfangen wie ein Pestkranker. Die älteste hörte auf zu lesen und richtete schweigend entsetzte Blicke auf ihn, ebenso die zweite; die dritte, von etwas mutwilliger Gemütsart, bog sich auf ihre Arbeit herab, um ihr Lächeln in Erwartung der Szene, die sie voraussah, zu verbergen.
»Guten Tag, Cousinen«, sagte Peter. »Erkennen Sie mich nicht?«
»Oh, ich erkenne Sie nur zu gut, zu gut.«
»Wie geht's dem Grafen? Kann ich ihn sehen?« fragte Peter.
»Er leidet, und Sie haben es verstanden, seinen Kummer zu mehren.«
»Kann ich ihn sehen?« wiederholte Peter.
»O ja, wenn Sie ihn töten wollen! Olga, sieh nach, ob die Bouillon für den Onkel fertig ist! Es ist Zeit«, fügte sie hinzu, um Peter begreiflich zu machen, daß sie nur damit beschäftigt waren, den Onkel zu pflegen, während er offenbar nur darauf ausging, ihm Kummer zu bereiten. Olga ging.
»Wenn es so ist«, sagte Peter nach einigem Schweigen, »so werde ich in mein Zimmer gehen, und Sie werden mir sagen lassen, wann ich den Grafen sehen kann.«
Er ging, und die kleine mutwillige Fürstin brach in ein lautes Gelächter aus.
Am andern Tag kam der Fürst Wassil und ließ sich im Hause des Grafen nieder. Er ließ Peter kommen.
»Mon cher«, sagte er, »wenn Sie sich hier aufführen wie in Petersburg, so wird es ein schlimmes Ende nehmen, das ist sicher. Der Graf ist gefährlich krank, es ist überflüssig, daß Sie ihn besuchen.«
Von diesem Augenblick an kümmerte sich niemand mehr um Peter, welcher seine Tage ganz allein in seinem Zimmer im zweiten Stock zubrachte. Als Boris bei ihm eintrat, ging Peter mit großen Schritten unablässig auf und ab. Er hatte Boris zum letzten Mal als vierzehnjährigen Knaben gesehen und erkannte ihn nicht wieder. Aber aus natürlicher Gutmütigkeit reichte er ihm lächelnd die Hand.
»Sie haben mich nicht vergessen?« fragte Boris. »Ich bin mit meiner Mutter gekommen, um den Grafen zu besuchen, aber man sagt, er sei krank.«
»Ja, so sagt man, und dabei läßt man ihm keine Minute Ruhe«, sagte Peter, der sich innerlich fragte, zu welcher Partei dieser junge Mann gehören möge. Boris sah, daß Peter ihn nicht erkannte, hielt es aber für überflüssig, sich zu nennen, und blickte ihm offen ins Auge.
»Der Graf Rostow ladet Sie ein, heute bei ihm zu speisen«, sagte er nach längerem Schweigen, welches Peter peinlich zu werden begann.
»Ah, der Graf Rostow!« rief Peter vergnügt, »dann sind Sie also sein Sohn? Denken Sie, ich habe Sie nicht wiedererkannt.«
»Sie irren sich«, erwiderte Boris mit spöttischem Lächeln, »ich bin Boris, der Sohn der Fürstin Drubezkoi.«
»Ach, wirklich! Ist das möglich? Ich habe so viele Verwandte in Moskau …. Sie sind also Boris? … Nun gut. Was sagen Sie zu Napoleons Expedition von Boulogne? Den Engländern wird es schlecht gehen, wenn es Napoleon gelingt, über den Kanal zu kommen.«
»Hier in Moskau fragt man wenig nach Politik«, erwiderte Boris, »man spricht nur von Ihnen und dem Grafen! Jeder will wissen, wem der Graf sein Vermögen vermachen wird, und wer weiß, ob er uns nicht alle enttäuschen wird! Was mich betrifft, ich wünsche ihm das Beste.«
»Ja, es ist traurig, sehr traurig«, stotterte Peter, der eine delikate Frage vorauszusehen glaubte.
»Und Sie können glauben«, begann Boris wieder, indem er leicht errötete, »daß jeder danach trachtet, etwas von dem Millionär zu erhalten.«
»Aha, da kommt es«, dachte Peter.
»Aber ich muß Ihnen sagen, um jedes Missverständnis zu vermeiden, daß Sie sich sehr täuschen würden, wenn Sie meine Mutter und mich zu diesen Leuten rechneten. Ihr Vater ist sehr reich, und wir sehr arm, und darum eben habe ich ihn nie als einen Verwandten angesehen. Weder meine