Kleiner Mann was nun?. Ханс Фаллада
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Und dann begreift er, daß dies ein Naturereignis ist, ein Tornado, ein Vulkanausbruch, daß da Menschen machtlos sind. Und er tritt zurück. Eine Gasse entsteht zwischen den Tanzenden, zwischen zwei Menschenmauern geht sie auf das eine Paar zu, das da ahnungslos holpert und stolpert, das eine ahnungslose Paar.
Sofort kriegt er eine geklebt. »Oh mein Schnucki!« schreit er auf und begreift noch nicht. Und dann begreift er ...
Sie weiß, jetzt heißt es abgehen, mit Würde, mit Haltung. Sie gibt ihm ihren Arm: »Es ist Zeit, Emil. Komm jetzt.«
Und er geht mit. Er zockelt würdelos an ihrem Arm aus dem Saal, würdelos, wie ein großer verprügelter Hund sieht er sich noch einmal nach seiner kleinen netten, sanften Schwarzen um, Arbeiterin der Rahmenfabrik von Stössel, die verdammt auch nicht viel Glück in ihrem Leben gehabt und sich mächtig gefreut hat über den zahlungsfähigen, flotten Kavalier. Er geht ab, sie geht ab. Draußen ist plötzlich ein Auto da, soviel versteht der Vorstand von der Harmonie auch, daß bei solchen Gelegenheiten ein Auto am besten eiligst herantelefoniert wird.
Emil Kleinholz schläft schon auf der Fahrt fest ein, er wacht auch nicht auf, als ihn die Frau mit dem Chauffeur ins Haus bringt, ins Bett bringt, dies verhaßte Ehebett, das er vor netto zwei Stunden so unternehmungslustig verlassen hat. Er schläft. Und die Frau macht das Licht aus und liegt eine Weile im Dunkeln, und dann macht sie das Licht wieder an und betrachtet ihren Mann, ihren schönen, liederlichen, dunkelblonden Mann. Sie sieht unter dem gedunsenen fahlen Gesicht das Antlitz von dunnemals, als er hinter ihr her war, voll von tausend Kniffen und Streichen, immer lustig, immer saufrech, auf einen Griff an die Brüste kam es ihm nie an, freilich kam es ihm auch nie auf die Ohrfeige dafür an.
Und soweit ihr kleines, dummes Hirn denken kann, bedenkt sie den Weg von damals bis hierher, zwei Kinder, eine schieche Tochter, einen nöckrigen häßlichen Sohn. Ein halb vertanes Geschäft, ein verluderter Mann – und sie? Und sie?
Ja – schließlich kann man nur weinen, und das geht im Dunkeln auch, wenigstens das Licht kann man sparen, wo so viel verkommt. Und dann fällt ihr ein, wieviel er wohl heute in den zwei Stunden mal wieder verjuxt hat, und sie macht wieder Licht und sucht in seiner Brieftasche und zählt und rechnet. Und wieder im Dunkeln nimmt sie sich vor, von nun an nett zu ihm zu sein, und sie stöhnt und barmt: »Jetzt hilft es ja nichts mehr. Ich muß ihn noch kürzer halten!«
Und dann weint sie wieder und schließlich schläft sie ein, wie man immer schließlich einschläft, nach Zahnschmerzen und Kindergebären, nach Krach und nach einer seltenen großen Freude.
Dann kommt das erste Erwachen um fünf Uhr, und sie gibt nur schnell dem Futtermeister den Schlüssel zur Haferkiste, und dann das zweite um sechs, wenn das Mädchen klopft und den Schlüssel zur Speisekammer holt. Noch eine Stunde Schlaf! Noch eine Stunde Ruhe! Und dann das dritte endgültige Erwachen um dreiviertel sieben, der Junge muß zur Schule und der Mann schläft immer noch. Als sie um viertel acht wieder ins Schlafzimmer schaut, ist er wach, ist ihm übel.
»Ist dir ganz recht, was säufst du immer«, sagt sie und geht wieder.
Dann kommt er an den Kaffeetisch, schwarz, wortlos, verwüstet, »'nen Hering, Marie«, ist alles, was er sagt.
»Kannst dich auch was schämen, Vater, so rumzuludern«, sagt die Marie spitz, ehe sie den Hering holt.
»Gottverdammich!« brüllt er. »Die kommt mir jetzt aber sofort aus dem Haus!« brüllt er.
»Hast recht, Vater«, besänftigt die Frau. »Wozu fütterst du die drei Hungerleider?«
»Der Pinneberg ist der beste. Der Pinneberg muß ran!« sagt der Mann.
»Natürlich. Zieh ihm nur die Schrauben an.«
»Das will ich wohl besorgen«, sagt der Mann.
Und dann geht er rüber ins Büro, der Brotherr von Johannes Pinneberg, Herr über das Auskommen vom Jungen, dem Lämmchen und dem noch ungeborenen Murkel.
Das Zwiebeln beginnt. Der Nazi Lauterbach, der dämonische Schulz und der heimliche Ehemann sind in Not
Der Angestellte Lauterbach ist am frühesten auf das Büro gekommen: fünf Minuten vor acht. Aber das ist keine Pflichttreue bei ihm, das ist wegen der Langeweile. Dieser kleine, dicke, semmelblonde Knubben mit den riesengroßen roten Händen war einmal landwirtschaftlicher Beamter. Aber auf dem Lande gefiel es ihm nicht. Lauterbach ging in die Stadt, Lauterbach ging nach Ducherow zu Emil Kleinholz. Da wurde er so eine Art von Sachverständiger für Saatgut und Düngemittel. Die Bauern sahen ihn nicht übermäßig gern auf dem Waggon, wenn sie Kartoffeln ablieferten. Lauterbach merkte sofort, wenn die Sortierung nicht stimmte, wenn sie zwischen gelbfleischige Industrie weißfleischige Silesia gemogelt hatten. Aber andererseits war Lauterbach auch nicht so schlimm. Zwar nahm er keinen Bestechungsschnaps – er trank nie Schnaps, denn er muß die arische Rasse vor diesen entarteten Rauschgiften schützen –, also er hob keinen, er nahm auch keine Zigarren. Er schlug den Bauern auf die Schultern, daß es krachte: »Oller Betrüger!« er zog ihnen zehn Prozent, fünfzehn Prozent, zwanzig Prozent vom Preise ab, aber, und damit machte er alles wieder bei ihnen gut, er trug das Hakenkreuz, er erzählte ihnen die schönsten jüdischen Witze, er berichtete von der letzten S.A.-Werbefahrt nach Buhrkow und Lensahn, kurz, er war teutsch, zuverlässig, ein Feind der Juden, Welschen, Reparationen, Sozis und der KPD. Das machte alles wieder gut.
Zu den Nazis war Lauterbach auch nur aus Langeweile gegangen. Es hatte sich gezeigt, daß Ducherow ebenso wenig wie das Land geeignet war, ihm seine freie Zeit zu verkürzen. Mit den Mädchen hatte er nichts im Sinn, und da das Kino erst abends um acht anfängt und der Gottesdienst schon halb elf zu Ende ist, blieb eine lange leere Zwischenzeit.
Die Nazis waren nicht langweilig. Er kam rasch in den Sturm, er erwies sich bei Zusammenstößen als ein außerordentlich besonnener junger Mann, der seine Pranken (und was gerade in ihnen war) mit einem fast künstlerischen Gefühl für Wirkung benutzte. Lauterbachs Lebenssehnsucht war gestillt: er konnte sich fast jeden Sonntag – und manchmal auch wochentags am Abend – prügeln.
Lauterbachs Heim aber war das Büro. Hier waren Kollegen, ein Chef, eine Chefin, Arbeiter, Bauern: ihnen allen konnte er erzählen, was sich begeben hatte, was sich begeben sollte, über Gerechte und Ungerechte ergoß sich der zähe, langsame Brei seiner Rede, belebt von den dröhnenden Gelächtern, wenn er schilderte, wie er es den Sowjetbrüdern besorgt.
Heute kann er zwar nichts derartiges melden, dafür ist aber ein neuer Allgemeiner Sabe für jeden Gruf gekommen, und nun wird es Pinneberg, dem pünktlich um Acht erschienenen Pinneberg versetzt: Die S.A.-Leute haben neue Abzeichen! »Ich finde das einfach genial! Bisher hatten wir nur die Sturmnummer. Weißt du, Pinneberg, arabisch gestickte Ziffer auf dem rechten Spiegel. Nun haben wir auch noch 'ne Zweifarbenschnur am Kragenrand gekriegt. Genial ist das, nun kann man immer schon von hinten sehen, zu welchem Sturm jeder S.A.-Mann gehört. Denk dir aus. was das praktisch bedeutet! Also, wir sind in 'ner Klopperei will ich mal sagen und ich seh nun, da hat einer einen in der Mache, und ich seh nun auf den Kragen ...«
»Fabelhaft«, stimmt Pinneberg bei und sortiert Frachtbriefe vom Sonnabendabend. »War eigentlich München 387 536 'ne Sammelladung?«
»Der Weizenwaggon? Ja. – Und denk mal, unser Gruf trägt jetzt 'nen Stern am linken Spiegel.«