Sünde. Ben Bennett

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Sünde - Ben Bennett страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Sünde - Ben Bennett

Скачать книгу

ihr wurde schlagartig klar, dass sie kein weiteres Gepäck mit sich führte.

      „Bitte … bitte … nicht …!“, entfuhr es ihr, während sich kalter Angstschweiß auf ihrer Stirn bildete. Wie in einem Daumenkino sah sie in rasanter Abfolge folgende Dinge vor sich: ihr Handy, ihren Reisepass, ein Bündel Bargeld, das Rückflugticket, die Hotelbuchung und schließlich und endlich die Visitenkarte und das Schreiben mit der Telefonnummer und der Adresse von Maximilian Schön.

      All diese so kostbaren und mit ihrem Schicksal untrennbar verbundenen Dinge hatte sie sicherheitshalber an ein und demselben Ort verstaut.

      Dem Ort, den die meisten Frauen auf dieser Welt hüten wie ihren eigenen Augapfel.

      Und doch führte kein Weg an der schockierenden Erkenntnis vorbei:

      Ihre Handtasche – sie war verschwunden.

      6

      Wo hatte sie nur ihren Kopf?

      Nach so vielen Stunden über den Wolken war sie in der harten Realität gelandet. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

      Hannah zermarterte sich den Schädel, wo sie die kunstvoll mit exotischen Blumen bestickte Handtasche, an der ihr gesamtes Wohlergehen hing, aus den Augen verloren haben konnte. Im Flugzeug jedenfalls war sie definitiv nicht. Bei der Ausweiskontrolle hatte sie noch den Pass aus ihr gefischt, soviel stand fest – aber danach? Sie war so unendlich müde nach dem langen Flug, dass ihre Erinnerung sie im Stich ließ.

      Schlagartig wurde ihr klar, in welcher Gefahr sie schwebte. Falls sich die Einladung nach Wien als eine Falle skrupelloser Menschenhändler herausstellen sollte, war ihr der Weg zurück nun verbaut: Sie hatte keinen Peso in der Tasche und keinen Pass, um das Land wieder zu verlassen.

      Ihr wurde schwarz vor Augen. Einen Augenblick musste sie sich setzen.

      Sie wankte zur nächsten Bank direkt neben dem Eingang, noch immer barfuß in Sandalen; das Metallgestell unter ihrem Po war kalt und feucht. Wenig später spürte sie, wie sich der nasse Schnee durch die dünnen Sohlen fraß.

      Sie konnte nichts dagegen unternehmen: Die Tränen stiegen ihr in die Augen.

      „Du … dummes … Huhn …!“

      Wie hatte sie nur so achtlos sein können?

      Zum allerersten Mal in ihrem Leben sagte sie Ja zu einem Abenteuer, ließ ihre Heimat und alles, was sie jemals gekannt hatte, zurück – und kaum war sie gelandet, ruinierte sie die einzige Chance, die ihr das Leben jemals gewährt hatte, durch ihre eigene Dummheit.

      Selbst wenn Maximilian Schön wirklich existierte und die Geschichte, die sein Anwalt ihr am Telefon erzählt hatte, stimmte – was musste er nun von ihr denken, wenn sie aufeinander trafen und sie ihm in Tränen aufgelöst erzählte, dass sie die dreitausend Euro, die er ihr geschickt hatte, verloren hatte? Und zwar noch im Flughafen – sogar noch bevor sie zum ersten Mal die frische österreichische Winterluft in ihren Lungen gespürt hatte. Sie würde ihn um Geld anbetteln müssen, damit sie überhaupt – eines noch ungewissen Tages – wieder unbeschadet nach Buenos Aires zurückkam. Von den sich vor ihrem geistigen Auge auftürmenden bürokratischen Hürden der Beschaffung neuer Papiere ganz zu schweigen. All das zusammengefasst, konnte er ihrer Meinung nach nur zu einem einzigen Schluss kommen: Dass sie ein absoluter Volltrottel war. Sie würde im Boden versinken, sobald sie ihn traf, so sehr schämte sie sich.

      „Leonhard und Stern?“

      Die Flughafenpolizei hatte die Verbindung für sie hergestellt, nachdem sie den Vorfall aufgenommen hatte. Was hatte Hannah anderes tun können als das Anwaltsbüro anzurufen, an dessen Namen sie sich glücklicherweise noch erinnerte? Abgesehen davon hatte sie ja mit niemandem gesprochen, kannte niemanden. Es war beschämend, am Telefon alles noch einmal erklären zu müssen, was sie gerade schon der Polizei gesagt hatte. Selbst wenn es nur für die Sekretärin war. Es war dieselbe junge, sympathisch klingende Stimme, mit der sie vor ihrer Abreise gesprochen hatte.

      „Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Goldlaub“, versuchte diese sie zu beruhigen. „Herr Leonhard und Herr Schön kommen Sie gleich am Flughafen abholen und dann wird sich alles klären.“

      Hannah entschied sich dafür, draußen auf der Bank auf den Wagen zu warten, der nach den Worten der Sekretärin nicht lange auf sich würde warten lassen, in Sandalen, Kleid und einer hastig aus dem Koffer gefischten Lederjacke der klirrenden Winterluft trotzend – um nicht auch noch das zu vermasseln und im Flughafengebäude verloren zu gehen, unauffindbar für ihre Gastgeber.

      Irgendwie musste sie dort eingenickt sein, übermüdet vom Flug und der Zeitverschiebung, denn als sie erwachte, stand ein eleganter, grau melierter Herr vor ihr. Auf den ersten Blick schätzte sie ihn auf Anfang sechzig. Er trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd, ergänzt um eine seidig glänzende tiefrote Krawatte; dazu schwarze Budapester. Im Hintergrund auf dem Seitenstreifen parkte eine schwarze, lang gestreckte Limousine – ein Mercedes. Die hintere Tür stand offen. Das also war er.

      „Señorita Goldlaub?“, vernahm sie die Stimme des Mannes gedämpft, noch halb im Schlaf. Seine rechte Hand berührte sanft ihre Schulter, so als hätte er bereits versucht, sie wachzurütteln.

      Während sie die Augen aufschlug, konnte sie seinen Atem in der Luft sehen.

      „Gott sei Dank, ich dachte schon, Sie wären erfroren“, stieß er erleichtert aus.

      Er schien sich wirklich Sorgen um sie gemacht zu haben. „Wien ist nicht Buenos Aires, Sie können hier nicht mitten im Winter draußen auf einer Bank sitzen, nur in einem dünnen Kleidchen!“, tadelte er sie in väterlicher Manier.

      „Herr … Schön?“, stammelte sie.

      „Nein!“, lachte er für einen Moment auf. „Ich bin Ludwig Leonhard, wir haben am Telefon gesprochen“, erklärte er. „Herr Schön wird später zu uns stoßen. Oder besser gesagt: Wir zu ihm. Und nun kommen Sie bitte, im Auto ist es warm.“

      Er reichte ihr die Hand.

      Hannah ergriff sie, ohne weiter nachzudenken. Sie fühlte sich warm an. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie selbst nahezu steif gefroren war. Sie konnte von Glück sagen, dass er sie rechtzeitig gefunden hatte.

      Der Anwalt winkte dem Fahrer der Limousine, der nun ausstieg und ihr verbliebenes Gepäck im Kofferraum verstaute.

      Minuten später waren sie auf der Autobahn. Ludwig Leonhard saß neben ihr im Fond des Wagens, und Hannah hatte sich tief in die von einer auf Hochtouren laufenden Sitzheizung gewärmten weichen Lederpolster fallen lassen.

      Ihr Verhalten war unentschuldbar. Sie hatte keine Ahnung, warum sie so neben sich stand – erst verlor sie die Tasche mit all ihren Unterlagen und dann fand ihr Gastgeber sie halberfroren auf wie eine Obdachlose. Die ganze Sache war ihr unendlich peinlich.

      „Sie müssen wissen, normalerweise bin ich nicht so …“, versuchte sie dem Anwalt neben sich zu erklären, dass sie auch über ein paar gute Seiten verfügte, eingeschüchtert wie ein kleines Mädchen, das in einem Supermarkt beim Stehlen erwischt worden war. Genauso fühlte sie sich. Obwohl sie keine Gesetze übertreten hatte – außer dem Gesetz, dass eine in Siebenmeilenstiefeln auf die vierzig zugehende Frau langsam in der Lage sein sollte, sich wie eine Erwachsene zu benehmen.

      „Sie müssen sich nicht entschuldigen“, beruhigte Ludwig

Скачать книгу