Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag. Gerhard Ebert

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Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag - Gerhard Ebert

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auf ein schönes Gesicht, das einem mit ziemlicher Gewissheit begegnet, würde die Tour echt aufwerten. Er beschloss, es am nächsten Tag auszuprobieren.

      Schon stand Uwe vor der altehrwürdigen Haustür zur Druckerei. Er drückte die eiserne Klinke nieder und trat ein. Er landete zunächst im dunklen, etwas muffigen Hausflur und musste von da nach rechts ins Büro. Nachdem er auch diese Tür bewältigt hatte, befand er sich im mit Papier und allerlei Utensilien vollgepackten, eigentlich etwas düsteren Verkaufsraum der Druckerei. Hinter dem Tresen stand sein künftiger Chef und erwartete ihn schon. Uwe grüßte ehrerbietig. Max Berger musterte den Ankömmling mit blitzenden Äuglein, indem er den Kopf etwas absenkte, um über die Lesegläser seiner Brille schauen zu können, und erwiderte den Gruß freundlich. Dann trat er heran und schüttelte seinem neuen Lehrling kräftig die Hand.

      „Auf gute Zusammenarbeit, Uwe“, sagte er, „hier komm, hier kannst du ablegen.“

      Damit geleitete er ihn in eine kleine Kabine, vorbei an der bereits an ihrer Maschine stehenden Druckererin, die ihn mit etwas verschlafenen Augen neugierig musterte. Auch Uwe hatte geschaut und schnell registriert: Diese Frau würde ihn nicht interessieren. Zu klein, zu alt, zu ungefüge gebaut, kein Gesicht, das ihn reizen könnte.

      „Hier, unsere Erna“, sagte sein neuer Chef, „sie wird drucken, was du gesetzt hast!“

      „Oh!“ reagierte Uwe mit Respekt und schüttelte Ernas Hand.

      „Na, nicht heute und morgen“, fuhr der Chef schmunzelnd fort, „erst musst du bisschen was setzen können.“ Und zu Erna: „Das ist Uwe Einer, unser neuer Lehrling.“

      „Schön!“ sagte Erna, etwas zögerlich, wie Uwe schien.

      „Komm, hier heran“, meldete sich der Chef, „fangen wir an!“

      Sie traten an einen Setzkasten, deren wohl ein gutes Dutzend in einer langen Reihe an der Wand stand, so dass sie bequem zu erreichen waren. Sie bildeten in dieser Aufreihung einen Gang, der gleichzeitig sozusagen das künftige Arbeitsrevier von Uwe sein würde. Und auf der anderen Seite des Ganges, da, wo er eben Erna begrüßt hatte, stand ein kleiner Druckautomat für maximal DIN A4 und daneben eine große Druckpresse für Plakate. Bescheidene, aber Respekt einflößende Technik. Uwe würde es noch erleben.

      Jetzt also Setzkasten! Ein mannshoch aufgestelltes imposantes Ding aus kompaktem Holz, hinten höher stehend. In viele kleine, relativ flache Fächer verteilt lagen da die bleiernen Buchstaben und Satzzeichen einer Schriftart und Größe nach einem offenbar wohl durchdachten System. Uwe fand bald heraus, dass die oft benutzten Buchstaben wie a oder n in großen, greifbar nahen Fächern lagen, während seltener verwendete Buchstaben wie j oder z sich sozusagen am Rande verkrümelten. Jeder Buchstabe musste ja sowohl in kleiner als auch in großer Ausfertigung sein eigenes Fach haben.

      „Hier obenauf im Kasten“, sagte der Chef, „das ist die Größe Cicero, darunter in anderen Kästen liegen zum Beispiel Text, Corpus, Petit oder Nonpareille. Petit hat den Umfang von acht Punkt, Corpus zehn, Cicero zwölf. Gesetzt wird im Winkelhaken, hier dieses Werkzeug.“

      Der Chef nahm eine Art Metallschiene in die linke Hand, mit der rechten Hand verwies er auf weitere Fächer im Setzkasten und sagte:

      „Hier findest Du den Ausschuss für die Zwischenräume; die Wörter passen ja nicht immer genau auf eine Zeile. Der Satz muss am Ende möglichst harmonisch aussehen.“

      Nachdem er ihm noch weitere Setzkästen und deren jeweilige Schrift gezeigt hatte, wobei er Antiqua und Fraktur unterschied, drückte er auch Uwe einen Winkelhaken in die Hand und führte ihm vor, wie ein Satz gesetzt wurde. Flink griff er elegant in die Fächer, und im Nu reihte sich ein ganzer Satz im Haken, freilich spiegelverkehrt, weil das für den Druck nötig war. Uwe ahnte sofort, dass er mit diesem verdrehten Bild der Buchstaben wohl eine Weile würde kämpfen müssen. Sein Chef riss ihn aus den Gedanken.

      „Hier ein Text“, sagte er und gab ihm ein Blatt Papier, auf dem eine Anweisung für Setzer gedruckt war. „Setz das ab, und dann reden wir!“

      Schon stand Uwe allein an dem Kasten, in dessen Fächern sich, das sah er jetzt, jeweils auf dem Grund mehr oder weniger Staub angesammelt hatte. Eine offenbar recht staubige Angelegenheit diese Setzerei.

      Aber zunächst kam Uwe nicht voran. Mit Verspätung war Dietrich Hähnelt eingetroffen, sein künftiger Kollege. Er hatte kurz mit dem Chef gesprochen und war nun zu Uwe herangetreten. Er begrüßte ihn korrekt, aber formlos, auch wohl ein wenig mit leiser Skepsis, denn irgendwie waren sie sich Konkurrenten. Auch Dietrich war ja ein Lehrling, zwar immerhin schon im zweiten Lehrjahr und also auch mit geringem Einkommen, aber - wie Uwe wusste – ohne Abitur. Ob das für Uwe günstig oder ungünstig sein würde, war im Moment nicht abzusehen. Dietrich zog sich einen Arbeitsmantel über und blickte dabei demonstrativ erstaunt auf Uwe, der so etwas nicht zur Verfügung hatte, trat dann an einen anderen Setzkasten und setzte offenbar ein Arbeit fort, die er schon am Vortage begonnen hatte.

      Jetzt ratterte nebenan die Druckmaschine los. Erna hatte sie in Gang gesetzt, und Uwe linste rüber. Ziemlich aufregend solch ein kleines Monster. Ein Arm griff nach einem Blatt Papier, das als Stapel an besonderer Stelle ruhte, und beförderte es auf eine Druckfläche, über die noch eben eine Farbwalze gehuscht war. Jetzt bewegte sich eine Platte dagegen, drückte also das Papier gegen die soeben eingefärbte Druckform, was ohne Zweifel der eigentliche Druckvorgang war; dann löste sie sich wieder, und schon griff der Arm nach einem neuen Blatt, während das soeben bedruckte Blatt von einem anderen Greifer aufgenommen und gestapelt wurde. Das alles ging recht schnell und offenbar mit Hilfe von Druckluft, denn die Maschine schnaufte und puffte ganz erheblich.

      Erna schmunzelte, als sie Uwes Neugier sah, und der wandte sich wieder seinem Winkelhaken zu. Er hatte bisher noch keine Zeile Buchstaben aufgereiht. Glücklicherweise hatten die Lettern zur Orientierung eine Markierung auf einer Seite, so dass man sie stets bereits richtig greifen konnte, um sie nicht etwa kopfüber einzuordnen. Dennoch musste man höllisch aufpassen. Und vorerst kam Uwe kaum voran, weil er ja erst einmal auskundschaften musste, wo die einzelnen Buchstaben im Setzkasten lagen. Aber keine Eile, sein Chef ließ ihn gewähren.

      Nach etwa einer Stunde allerdings trat der Chef wieder heran. Uwe hatte es inzwischen auf zwei lange Zeilen gebracht, die er mit dem Daumen mühevoll im Zaume hielt. Jetzt half ihm Herr Berger, den Winkelhaken erst einmal richtig einzustellen, nämlich a priori auf die Breite, die man setzen wollte. Der Chef hatte ihn also zunächst zappeln lassen, und es war eigentlich gar nicht so schwer, die Buchstaben in der Reihe zu halten. Uwe nahm einen neuen Anlauf, und jetzt – wie ihm schien – lief die Sache doch schon irgendwie vertretbar flott.

      Schneller als gedacht, war der erste Arbeitstag vorüber. Der Chef hatte noch kurz besichtigt, was Uwe zustande gebracht hatte, ohne sich irgendwie lobend oder kritisch zu äußern. Er würde den Satz am nächsten Tag beenden müssen. Als Uwe auf dem Weg nach Hause nun die Route über die Leipziger Straße nahm, war er gedanklich so mit dem beschäftigt, was da heute an neuen Eindrücken über ihn gekommen war, dass er keinen Sinn hatte für den alltäglichen Trubel in der wie immer belebten kleinstädtischen Geschäftsstraße. Und als er Vater und Mutter am Abend ausführlich berichtet hatte, fiel er müde ins Bett.

      Aber er konnte nicht einschlafen. Er war zu aufgeregt. Zu seinem Verdruss eilten seine Gedanken vom Setzkasten, dessen Einteilung er sich vorzustellen und einzuprägen versuchte, immer wieder hin zu dem eigentlichen Problem seines gegenwärtigen Daseins: seiner Sehnsucht nach einer Frau. Uwe war ja nun wirklich in dem Alter, in dem ein normaler junger Mann eine Frau braucht – wenigstens für ein bisschen Zärtlichkeit. Dass Uwe dafür hätte etwas tun müssen, scheiterte praktisch nicht nur an seiner scheuen Zaghaftigkeit, sondern auch an der Tatsache, dass er keinen Pfennig Geld in der Tasche

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