Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag. Gerhard Ebert

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Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag - Gerhard Ebert

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als dem Mann die Initiative zu. Da sagte sie noch:

      "Na ja, und überhaupt!"

      In dem Moment, was nicht seine Stärke war gegenüber Frauen, schaute Uwe ihr genau in die Augen, und das wurde ihm zum Verhängnis. Denn Sigrid blitzte ihn just so neckisch lieb und herausfordernd an, wie er es noch nie erlebt hatte von einer Frau. Er war machtlos.

      "Na ja, warum nicht", sagte er jetzt gedehnt, "ich bin noch offen, einfach noch keine Zeit gehabt." Womit er anzudeuten versuchte, dass sozusagen auch er die Idee von ihnen beiden hätte haben können. Aber sein Zaudern hatte ihr offenbar schon zu lange gedauert.

      "Du kannst es dir ja überlegen", sagte sie plötzlich fast launisch, wandte sich ab und ließ ihn stehen. Raffiniert, dachte er sofort. Sie hatte die Angel ausgeworfen und ihm zugleich klargemacht, dass sie sozusagen nicht als Bittstellerin gekommen war. Uwe schaute ihr nach. Die Figur war leidlich, nicht so schlank, wie er es bei Frauen eigentlich mochte und vorzog, aber als Tänzerin wahrscheinlich nicht übel. Ihre Beine schienen ihm um eine Idee zu stämmig, die Taille könnte schmaler sein. Und der Mund? Irgendwie schmal und klein. Aber so gewiss wusste er das jetzt nicht. Er hatte nicht genau genug geguckt. Doch was wollte er eigentlich? Hatte Mutter etwa recht? Er beschloss, die Entscheidung nicht zu lange hinauszuschieben.

      Nach einer fast schlaflosen Nacht kam Uwe zur Einsicht, dass er im Moment mit Sigrid wahrscheinlich bestens bedient war. Eine andere und gar schönere Tänzerin war nirgends in Sicht. Er beschloss, Sigrid am nächsten Tag ganz freundlich um ihre Zustimmung zu bitten. Wobei ihm allerdings sonnenklar war, dass ihr gegenüber so etwas wie Liebe ganz und gar nicht im Spiele war. Es ging ihm um die Tanzstunde und nicht um eine Liaison. Er würde ihr Freund sein, damit konnte sie rechnen, aber mehr würde sich kaum abspielen.

      Am nächsten Vormittag in der großen Pause hatte er Mühe, Sigrid ausfindig zu machen. Ihm schien, dass sie alles darauf anlegte, gesucht zu werden. Aber wenn sich Uwe etwas vorgenommen hatte, war er hartnäckig. Abgesehen davon, dass ihm kaum noch eine andere Wahl blieb. Als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, unter Umständen am Ende leer da zu stehen und sozusagen mit der letzten Besten vorliebnehmen zu müssen, wurde ihm heiß und kalt. Er lief den Schulhof noch einmal ab und suchte. Endlich! Wie zufällig stand Sigrid hinter einem Baum und wartete. Ihn ärgerte das, aber jetzt war nicht die Zeit, eitel zu sein.

      "He, Sigrid", sagte er und trat zu ihr.

      "Na, der Herr?" reagierte sie ironisch und blitzte ihn wie neulich herausfordernd an, mit einem kurzen Schwenk das lose Haar hinters Ohr werfend. Das kannte er gar nicht bei ihr. Seit heute also trug sie ihr Haar offen. Hatte das mit ihm zu tun?

      "Ja, wegen gestern", meinte er jetzt freundlich, "entschuldige, ich hätte dich schon längst einladen sollen. Wolltet ihr nicht umziehen?"

      Das war ihm gerade noch eingefallen und sofort auf die Lippen gerutscht. Irgendwann hatte er von Mutter erfahren, dass die Damms die Familien-Schmiede am Chemnitzer Platz zwar beibehalten wollten, aber das Haus nicht groß genug war, um neben den Großeltern auch dort zu wohnen. Doch schon ärgerte sich Uwe, das Problem genannt zu haben.

      "Entschuldige, wirklich, darum geht es ja nicht", sagte er jetzt und fügte hinzu: "Bloß, weil du ja vom gemeinsamen Heimweg gesprochen hattest."

      "Ein Glück", schlug sie zurück, "ich dachte schon, du willst mit meinen Eltern Tanzstunde machen."

      Das schien ihm echt boshaft, aber jetzt durfte er um Himmelswillen keinen Fehler machen.

      "Du bist also einverstanden?" übersprang er alle Probleme.

      "Wenn du nicht zu dusselig quatschst", lachte sie und nutzte das Klingelzeichen, das die große Pause beendete, um sich kichernd von ihm zu lösen. Aber Uwe hatte immerhin den Eindruck, dass sie höchst zufrieden mit sich war. Tatsächlich, das gestand er sich ein, hatte sie ihn sozusagen in kühnem Handstreich gekapert. Er bedeutete ihr offenbar mehr, als sie ihm. Ihr Mund übrigens, das hatte er in dem kurzen Disput ausfindig gemacht, war nicht unbedingt verführerisch. Er schien ihm schmal und leider gar nicht sinnlich.

      So war er denn von Anfang an in einer Zwickmühle. Sigrid, vermutete er, hatte wahrscheinlich ernste Absichten, er, Uwe, brauchte nur eine Tanzstunden-Dame. Und dazu gehörte für ihn, dass er Sigrid nach jedem Unterrichts-Abend artig bis zur Haustür begleitete, sich dort ebenso artig verabschiedete und dann nach Hause zottelte. Da auch sie nie auch nur irgendwie den Versuch einer erotischen, geschweige denn einer sexuellen Annäherung machte, blieb ihre Beziehung fatal langweilig.

      Beim Tanzen ließ sich Sigrid ganz manierlich an. Zwar stellte er schon bald fest, dass andere Tänzerinnen sich leichter übers Parkett bugsieren ließen, aber mit ein bisschen mehr Aufwand war mit ihr gut auszukommen. Er übrigens war, wie sich zeigte, nicht ganz untalentiert als Tänzer. Anfangs hatte er echt Sorge gehabt, denn er galt im Musik-Unterricht als unbegabt, insbesondere als Sänger, und so hatte er geglaubt, dass ihm beim Tanz den Takt zu halten, große Schwierigkeiten machen würde. Nichts dergleichen geschah. Einen guten Rhythmus mochte er sehr, und selbst der angeblich schwierige Walzer ließ sich bewältigen.

      Viel komplizierter für ihn erwies sich Kommunikation beim Tanzen. Anfangs, als man sich noch über Schritte und Bewegungen verständigen musste, fehlte es nicht an Gesprächsstoff. Auch war die Aufmerksamkeit auf die Anweisungen des Tanzlehrers konzentriert. Sobald aber eine gewisse Routine einzog, man sich ein bisschen sicher fühlte und Zeit hatte für die Partnerin, tat sich Uwe arg schwer, sich beim Tanzen zu unterhalten. Er wusste einfach nicht, worüber er sprechen sollte. Wenn er Sigrid stumm übers Parkett schob, mochte das noch angehen; denn sie war seine Dame und ihm sozusagen sicher. Aber in den zwei, drei Tanzrunden des Abends, in denen gewechselt wurde, er also eine andere Partnerin in den Armen hielt und es darauf angekommen wäre, ein blendender, unterhaltsamer Kavalier zu sein, war er nichts als ein elender Stockfisch.

      Es war zum Heulen, besonders in den seltenen, kostbaren Fällen, wenn ihm die Tänzerin gefiel und es notwendig gewesen wäre, einen guten Eindruck zu machen. Außer seiner durchaus ansprechenden, schwungvollen Tanzkunst hatte er einfach nichts zu bieten. Im verzweifelten Bemühen, locker zu sein, blockierte er immer mehr. Uwe fand keine Erklärung dafür, dass er besonders bei schönen Tänzerinnen fast automatisch totale Ladehemmung hatte. Krampfhaft suchte er dann während des Tanzes nach irgendeinem Thema, aber nichts fiel ihm ein. Immer wieder vom Wetter zu reden und von wahrscheinlichem Regen, war nun wirklich langweilig. Damit wollte er sich nicht blamieren. Also schwieg er - und kriegte einfach keinen Kontakt. Höflich steif führte er am Ende des Tanzes die jeweilige Partnerin zu ihrem Tisch, machte artig seine Verbeugung und zog innerlich weh und wund zurück zu Sigrid an den Tisch. Ob sie spürte, dass seine Sehnsüchte ganz andere Objekte hatten, wusste er nicht, wäre ihm auch gleichgültig gewesen.

      Ein solch "anderes Objekt" war nach wie vor diese hübsche Christel aus Waldenburg, die zu seiner Überraschung schon recht gut tanzen konnte. Aber er kam mit ihr einfach nicht voran. Wenn sie – was sehr selten geschah - zu einem Tanzabend erschien, war er schon glücklich, wenn sie ihm keinen Korb gab und ein-, zweimal mit ihm tanzte. Doch wenn er sie einzuladen versuchte, zu einem Treff irgendwo, gab sie ihm stets einen Korb. Das war nicht ewig wiederholbar. Jede solche Abfuhr tat weh und rüttelte übel am nötigen Selbstvertrauen. Außerdem saß natürlich immer Sigrid herum, die zwar auch mal mit einem anderen jungen Mann tanzte, doch brav auf Uwe wartete. Er kriegte Sigrid vorläufig nicht los, das stand fest. Abgesehen davon, dass er mit ihr natürlich noch den Abschlussball absolvieren musste. Das war er sich schuldig. Korrekt und anständig musste er bleiben.

      Am Abend dieses endlich fälligen Abschlussballs reifte in Uwe eine Idee, die ihn selbst überraschte. Gerade hatte er wieder einmal mit Christel getanzt, die natürlich gekommen war und keinen Tanz ausließ. Er hatte gespürt, wie ihn ihre körperliche Nähe anregte, war berauscht, dass sie sich nicht sträubte, wenn

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