Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag. Gerhard Ebert

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Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag - Gerhard Ebert

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zu werden. Uwe glaubte also, leichtes Spiel zu haben.

      Christel war etwa einen Kopf kleiner als er und ohne Zweifel gut gebaut, jedenfalls nach seinem Maßstab. Ihre Beine waren nicht die Spur krumm, soweit sich das unter den meist recht langen Röcken feststellen ließ, die sie offenbar liebte. Sie trug langes schwarzes Haar, manchmal zum Zopf gebunden, manchmal offen und wehend. Da sah sie ganz entzückend aus. Überhaupt hatte sie, soweit er das aus der Ferne hatte ausfindig machen können, ein allerliebstes Gesicht. Wenn er die Auserwählte in den Pausen auf dem staubigen Schulhof heimlich beobachtete, stand sie meist mit Schülerinnen in irgendeiner Ecke und lachte gern und herzlich. Sie schien immer irgendwelchen Schabernack auszuklügeln. Das war natürlich nicht ganz ungefährlich. Wenn man ihr nicht gefiel und man sich also einen Korb bei ihr holte, war sie wahrscheinlich imstande, ganz schön Stimmung gegen einen zu machen. Denn wenn die Mädchen so in Gruppe standen und immer wieder kicherten, sprachen sie gewiss gerade abschätzig über diesen oder jenen Schüler.

      Nach mindestens zwei Wochen des Wägens und Zögerns, hatte sich bei Uwe letztendlich so viel Energie aufgestaut, dass er sich eines Tages in der großen Pause entschlossen über den Schulhof auf die Gruppe Mädchen zumarschieren sah, in der Christel stand. Und schon sagte er ziemlich steif und mit gar nicht fester Stimme:

      "Kann ich dich bitte mal sprechen, Christel?"

      Förmlicher wäre es kaum gegangen, aber unförmlich leger konnte Uwe einfach nicht sein. Schließlich war das ein allererster Kontakt. Da musste er die Form der Wohlerzogenheit wahren. Und wie die Mädchen reagierten, nämlich neugierig, gar nicht kicherig, schien sich die Sache gut anzulassen. Offenbar hatte er so verbindlich gesprochen, dass die vier Hübschen annahmen, er habe ein besonderes Anliegen. Jedenfalls wandten sich die anderen ab als Zeichen, er solle ungestört mit Christel besprechen, was da zu regeln sei.

      "Ja", fragte sie aufgeschlossen und schaute Uwe mit blitzenden Augen erwartungsvoll an.

      Ihrem Blick hielt Uwe nicht stand. Scheu wich er aus und blinzelte verlegen in die Gegend, als bespreche er eine Belanglosigkeit. Ihm schlotterten die Knie. So aufregend nahe war er dieser Christel noch nie gewesen. Die war ja verdammt schön! Wie hatte er das übersehen können? Dieser üppige Mund! Wenn er den küssen könnte!

      "Ja, du", sagte er nun mit belegter, fast zittriger Stimme, "ich wollte dich fragen, du weißt ja, wir beginnen demnächst mit der Tanzstunde, und da dachte ich, es wäre toll, du verstehst?"

      Ihm schien, als huschten Christels funkelnde Augen rasch taxierend über ihn hin.

      "Schade", hörte er sie jetzt sagen, "wirklich schade, aber ich kann leider überhaupt nicht zur Tanzstunde, weißt du, ich wohne doch in Waldenburg, da geht das abends nicht. Es fährt kein Zug mehr. Verstehst du?"

      Für Uwe brach eine Welt zusammen. Eben hatte er sich noch euphorisch vorgestellt, dieses tolle Mädchen jede Woche beim Tanzen völlig legitim in den Armen zu halten und sie immer und immer wieder anzusehen. Das müsste wunderbar sein. Jetzt überhörte er die plausible Begründung, begriff nur die Absage. Und die war obendrein allgemein gehalten. Es ging Christel um die Tanzstunde, an der sie wegen widriger Umstände nicht teilnehmen konnte, aber gar nicht um ihn. Kopflos ließ er ihr nun nicht die Zeit, etwa wenigstens zu bedauern und zu beteuern, dass sie mit ihm, Uwe, nur zu gern teilgenommen hätte. Fast brüsk sagte er:

      "Oh, das ist dumm. Dann entschuldige!" Und schon ging er mit steifen langen Schritten zurück über den Schulhof.

      Dann im Klassenzimmer, während der Geschichtsstunde, wurde ihm klar, dass er sich unmöglich benommen hatte. Er hatte offenbar überhaupt kein Stehvermögen im Umgang mit einer so aufregend schönen jungen Frau. Ihn hatten einfach alle guten Geister verlassen. Anstatt das immerhin begonnene Gespräch wenigstens so zu beenden, dass er später irgendwie wieder anknüpfen konnte, war er völlig verwirrt regelrecht geflohen. Schließlich, das wusste man doch, war das erste "Nein" einer Schönen nicht unbedingt ihr letztes Wort! Doch jetzt war das Ding gelaufen. Noch einmal Kontakt zu suchen, wäre ohne Zweifel aussichtslos gewesen. Außerdem drängte die Zeit. Und diese Christel – selbst wenn sie gewollt hätte, was ja eigentlich offen geblieben war – konnte und würde wegen Uwe nicht umziehen. Das hätte dann schon große Liebe sein müssen und wahrscheinlich Heirat, was für Uwe wahrhaftig noch nicht an der Reihe war. Obzwar?

      Gelegentlich, das wusste man, führte die Tanzstunden-Partnerschaft direkt in den Hafen der Ehe. Geradezu gnadenlos geschah dies, wenn am Ende des Kurses zwar nicht unbedingt perfekte Tanzkünstler standen, dafür aber die gewisse Aussicht auf ein Baby. Immer wieder fanden sich Paare, die es mit dem Geschlechtsverkehr sehr eilig hatten und denen die Tanzstunde allerbeste Gelegenheit bot, so richtig loszulegen.

      Völlig selbstverständlich, ohne Vorbehalt der Eltern, konnte man sich jede Woche treffen, und das auch noch abends. Uwe hielt sich zurück, über diesen oder jenen schul- und gar stadtbekannten Fall zu rechten. Wenn zum Beispiel in den Pausen davon die Rede war, konnte man sowieso nie genau erfahren, wie die zwei „Experten“ es angestellt hatten. So eine Theorie zum Beispiel, dass sich ein Pärchen jedes Mal nach Abschluss der Stunde noch nachts hinaus in Feld und Flur und in einen Heuschober begeben hatte, schien Uwe abwegig und ordinär. Liebe, richtige Liebe musste seines Erachtens im Bett gemacht werden und sonst nirgends. Jedenfalls war das seine Überzeugung.

      Im Moment hatte er freilich andere Sorgen. Jetzt musste überhaupt erst einmal eine Frau her! Wirklich ärgerlich war, dass Uwe einfach nicht über seinen Schatten zu springen vermochte. Das heißt, es war ihm unmöglich, etwa ein Mädchen anzusprechen und einzuladen, von dem er zwar vermutete, dass sie unter Umständen sogar darauf wartete, die ihm aber wegen irgendwelcher Kleinigkeit nicht zusagte. Er konnte sein Verhalten rational kaum begründen. Bei der einen potentiellen Kandidatin gefiel ihm das nicht, etwa die seines Erachtens zu dicken Beine, bei der anderen störte ihn jenes, etwa ihre zuweilen aufdringliche Geschwätzigkeit. Auf eine Tanzstunden-Liaison, die ihm nicht wenigstens ein klein wenig gefiel, konnte und wollte er sich nicht einlassen.

      Seine Mutter schien zu wissen, welcher Schuh ihn drückte. Jedenfalls verblüffte ihn eines Tages ihre Anspielung, dass für ihn, Uwe, wohl erst noch eine Tanzstunden-Dame gebacken werden müsste. Und sie fügte hinzu, er solle nicht so wählerisch sein. Schließlich sei er kein Prinz! Uwe reagierte beleidigt. Solche Einmischung konnte er auf den Tod nicht leiden. Ob Mutter ihre Hand im Spiel hatte bei dem, was dann geschah, hat er nie in Erfahrung bringen können. Uwe wusste nur, dass seine Mutter die Mutter jenes Mädchens gut kannte, das er schließlich und endlich zur Tanzstunde führte.

      Auf dem Schulhof, in einer Pause, stand eines Tages Sigrid Damm vor ihm, die kleine, recht kernige Tochter eines Schmiedemeisters aus der Nachbarschaft. Sie schaute ihn fröhlich an und fragte geradeswegs:

      "Sag mal, könnten wir nicht die Tanzstunde zusammen machen?"

      "Wir?" entgegnete Uwe entgeistert, obwohl ihm sofort bewusst wurde, dass das möglicherweise gar nicht so übel sein könnte. Die Sigrid hatte er sogar schon einmal erwogen, aber dann war sie ihm doch irgendwie zu pummelig erschienen. Ihr pausbäckiges Gesicht war zwar nett, aber leider nicht mehr als eben nett, jedenfalls kein bisschen aufregend. Wenn ihm nicht diese Anneliese oder auch die Christel immer wieder im Kopf herum gespukt hätten, wäre er vielleicht nicht so anspruchsvoll gewesen.

      "Wär doch gut, wir zwei, oder?" sagte Sigrid und fügte ein Argument hinzu, das schwer zu widerlegen war, "wir hätten einen gemeinsamen Heimweg".

      Uwe zuckte innerlich. Schätzte sie ihn so ein? Dass ihm der Heimweg wichtiger war als die Tanzstunde? War sie etwa gar eine von denen, die auf Spaß im Heuschober spekulierten? Von Sigrid, die ihm eher konventionell schien, die jedenfalls stets einfach herkömmlich und gar nicht aufreizend gekleidet war, hatte er so etwas nicht erwartet. Natürlich konnte er sich irren. Abgesehen davon, dass eine sozusagen

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