Siedend heiß. Rudi Kost
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Ich wartete auf eine spitze Bemerkung von ihm, doch erstaunlicherweise hielt er sich zurück.
»So, so«, knurrte er nur. Karin kicherte schon wieder. Die konnte was erleben!
Ich war mit Andrea ein paar Mal ausgegangen, doch es hatte sich nichts Ernsthaftes entwickelt. Wahrscheinlich hatte das auch keiner von uns beiden erwartet. Wir hatten uns gut verstanden, es waren nette Abende, aber mehr nicht. Sie war wirklich zu jung für mich gewesen. Oder ich zu alt für sie. Zu alt für eine Beziehung. Und zu jung für einen väterlichen Freund.
»Hatte sie einen Lover?«, fragte Keller. Lover!
»Sie hatte einen Freund, als ich sie das letzte Mal traf«, erwiderte ich. »Das muss aber nicht der aktuelle Stand sein. Ist schon ein paar Wochen her.«
»Hat der Freund einen Namen?«
»Freddy«, antwortete ich.
»Nachname?«
»Weiß ich nicht.«
»Freddy! Wer heißt denn heutzutage noch Freddy! Und weiter?«
»Ich kann dir nichts über ihn sagen. Andrea und ich sind in einer Kneipe übereinander gestolpert, und sie hat mir kurz von ihm erzählt. Ich habe ihn gar nicht gesehen.«
Keller kaute auf seinem kalten Zigarillo und starrte grimmig auf Andrea Frobel hinab.
Die tote Frau war nackt, und sie war schön. Wenigstens vom Hals an abwärts. Das darüber sah nicht so appetitlich aus. Andrea Frobel war erwürgt worden. Mit ihrem roten Halstuch, das so etwas wie ihr Markenzeichen gewesen war. Ihre Kleider lagen seltsamerweise säuberlich gefaltet neben ihr. Es war die Tracht der Haller Sieder.
Ich hatte Andrea hinter einem Gebüsch auf dem Unterwöhrd gefunden. Die Polizei bemühte sich, so unauffällig zu agieren, wie es nur möglich war. Aber wenn die Spurensicherung anrückt, bleibt das nicht unbemerkt. Schon gar nicht nachts, wenn die Jungs ihre starken Lichter anwerfen.
»Du weißt, was diese Sache bedeutet«, meinte Keller.
Natürlich wusste ich das. Jeder, der hier herumstand, wusste es.
Es war der Freitag vor Pfingsten. Rings um uns rüstete sich die Stadt zu ihrem großen Fest.
Die Nacht war sommerlich warm, und die nächsten Tage versprachen Sonne und Hitze. Besser hätte der Auftakt zum Siedersfest nicht sein können.
Es war noch keine Stunde her, da hatte man hier auf dem Unterwöhrd gefeiert und getrunken und getanzt und gelacht, hatte alte Freunde wiedergesehen und neue gefunden, hatte einen Abend lang alles hinter sich gelassen und nur für den Augenblick gelebt.
Jetzt hatte die ausgelassene Stimmung einen gehörigen Dämpfer bekommen. Hinter den Absperrungen drängelten sich stumm die Menschen, die vorher noch so fröhlich beisammengesessen hatten. Die Band packte ihre Sachen zusammen. Noch wusste niemand, was da genau los war. Doch früh genug würde es sich herumsprechen.
Mit einigem Bangen dachte ich an die nächsten Tage.
***
Als Bürger von Schwäbisch Hall darf man das ja nicht laut sagen, aber nach Möglichkeit flüchte ich vor dem alljährlichen Fest der Salzsieder an Pfingsten. Zu viel Lärm, zu viel Trubel, zu viele Touristen.
Das Kuchen- und Brunnenfest, wie es offiziell heißt, ist sozusagen der Nationalfeiertag der einstigen Freien Reichsstadt Hall. Mit dem Salz ist sie groß und reich geworden, vom Salz hat sie ihren Namen, also huldigt sie dem Salz an einem langen Wochenende. Und den Touristen, die Heuschrecken gleich in die Stadt einfallen. Zur großen Freude der Hoteliers, Gastronomen und Imbissbuden.
In diesem Jahr jedoch war alles anders, die Flucht war mir verwehrt. Eine Freundin aus meinen Münchner Jahren hatte sich angesagt, die den Trubel unbedingt einmal mitmachen wollte. Also hatte ich mich in mein Schicksal gefügt.
»Dann kann ich ja gehen«, hatte Susan, meine Derzeitige, gesagt und ihr hübsches Stupsnäschen gerümpft. Aber nur ein klein wenig.
»Wieso denn? Du störst doch nicht.«
Auweh, Fettnäpfchen! Eigentlich hätte ich sagen müssen: Es stört uns doch nicht, wenn Karin kommt.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich diesen Zirkus freiwillig mitmache?«, erwiderte sie, und ihrer Stimme war nicht eindeutig zu entnehmen, ob sie mit dem Zirkus die Sieder oder eher Karin meinte.
Damit war das Thema erledigt gewesen und Susan schon am Donnerstag froh gelaunt mit einer Freundin, die mir bis dahin unbekannt gewesen war, an den Gardasee gedüst. Weiberausflug, hatte sie gesagt.
Ich war irritiert. Man durfte von seiner Liebsten doch eine Eifersuchtsszene erwarten, wenigstens eine kleine, wenn sich eine andere Frau ansagte, zumal wenn diese Frau mal für einige Zeit der Mittelpunkt meines Lebens gewesen war. Hatte Susan so viel Vertrauen zu mir? Oder war’s ihr schlichtweg egal?
Und überhaupt: Weiberausflug! Was sollte ich darunter verstehen? Meine Phantasie schlug Purzelbäume. Ging es da so zu wie bei einem Männerausflug? Die Vorstellung wollte mir nicht so recht behagen.
Aber ich hatte keine Zeit, länger darüber zu grübeln. Ich hatte drängendere Probleme. Ich stand vor meinem Kleiderschrank und wusste nicht, was ich anziehen sollte.
Ein bisschen aufgeregt war ich schon. Nach dem Ende unserer Beziehung hatten wir nur noch flüchtigen Kontakt miteinander gehabt, mal ein kurzer Anruf, später gelegentlich eine Mail. Das war alles schon lange her, und mittlerweile war viel passiert in unser beider Leben. Warum besuchte sie mich auf einmal? War sie wirklich nur an dem Fest interessiert?
Ich griff zu der hellblauen Baumwollhose von Zegna, dem eng anliegenden gelben Poloshirt von Ralph Lauren und den leichten Slippern von Ferragamo.
Prüfend drehte ich mich vor dem Spiegel. Ob ich damit Eindruck machen konnte? Schon, wenn ich den Bauch etwas einzog. Ich war zufrieden mit mir. Die Hose brachte meinen knackigen Hintern gut zur Geltung.
Karin, stellte sich heraus, war mindestens so attraktiv wie damals und noch genauso temperamentvoll und unverblümt. Sie klagte über ein brachliegendes Liebesleben und äußerte die Befürchtung, als alte Jungfer zu enden, wenn das weiterginge wie bisher. Warum schaute sie mich dabei so seltsam an? Und plötzlich fiel mir ein, dass sie sich im Vorfeld überhaupt nicht nach meinen Lebens- und Liebesumständen erkundigt hatte.
Ich hatte den leisen Verdacht, dass mich die nächsten Tage auf eine harte Probe stellen würden.
Denn da war auch noch Olga, meine Tante Olga aus Stuttgart, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, mich ausgerechnet in diesem Jahr zum Siedersfest heimzusuchen, und sich das auch nicht ausreden ließ.
Sie war die Cousine meiner Großmutter väterlicherseits oder die Großnichte meines Urgroßvaters oder etwas in der Art – verwandt eben. Ich hatte das mit den Verwandtschaftsverhältnissen nie auf die Reihe gekriegt, und es hatte mich auch nicht sonderlich interessiert. Mein Stammbaum war mir schnuppe. Tante Olga war einfach da, und sie nannte mich ihren Lieblingsenkel, wenn ich das auch definitiv nicht war.
Wie ich Tante Olga und Karin unter einen Hut bringen sollte, war mir noch nicht recht klar. Wahrscheinlich war