Siedend heiß. Rudi Kost
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Sie hängte sich bei mir ein, und würdevoll kraxelten wir die Stufen hinab, wie ein Brautpaar, das aus der Kirche kam. Aus einem Topf vor dem Stadtarchiv klaute ich eine Blume und steckte sie Karin ins Haar. Der Brautstrauß sozusagen.
Vor einem der vielen Cafés, mit denen Schwäbisch Hall gesegnet ist, brütete ein älterer Herrn über seinem Kaffee. Kurz geschorenes graues Haar, ein Vollbart in gleicher Länge und Farbe, große Brille und leicht abstehende Ohren. Vor sich hatte er ein Notizbuch liegen.
Er belegte ganz allein einen schattigen Tisch. Ich überlegte, ob wir uns dazusetzen sollten. Er war ein kauziger und mitunter amüsanter Kerl, der viel über die Stadt erzählen konnte. Doch dann sah ich seinen Gesichtsausdruck. Er schaute verträumt in eine andere Welt und war nicht ansprechbar.
»Unser Lokalpoet«, flüsterte ich Karin zu. »Hochgeachtet. Macht Lyrik, die keiner versteht. Wahrscheinlich dichtet er gerade über die Sieder.«
Als wir vorübergingen, hörte ich ihn murmeln: »Despotisch, farblos, schwer reckt sich der Himmel weit / wie wenn ein müßiger König Todesqual verhängt.«
Wir kamen zum Haalplatz. Normalerweise ist das ein frequentierter Parkplatz, aber an diesem Wochenende hatte man einen Rummel aufgebaut.
Ich war ganz eifriger Fremdenführer und sagte mit einer allumfassenden Handbewegung: »Die Quelle von Halls Ruhm und Reichtum. Hier wurde die Sole geschöpft und zu Salz gesotten.«
»Wie muss man sich das vorstellen?«
»Rings um den Platz standen die Haalhäuser, in denen die Sole so lange erhitzt wurde, bis das Salz ausfiel. Die Häuser waren von riesigen Holzlegen umgeben. Die Jungs haben ganz schön einheizen müssen.«
»Und wo kommt die Sole her?«
»Du stehst direkt davor.«
Das einzige Andenken an die alten Zeiten war der nicht sonderlich schöne achteckige Haalbrunnen, in den man die einstige Quelle gefasst hatte.
Karin schaute hinein: »Man sieht ja gar nichts.«
»Zugemauert. Sonst würde es hier bald aussehen wie im Trevi-Brunnen. Jeder wirft seinen Dreck hinein.«
»Schade. Ich hätte gerne mal richtige Sole gesehen.«
»Dann musst du drüben ins Solebad gehen, dort kannst du in der original Haller Sole planschen. Soll gut sein für die Abwehrkräfte und das Nervenkostüm«, sagte ich. Und fügte hinzu: »Die haben übrigens auch eine schöne Sauna.«
»Sauna! Ich schwitze eh schon genug!«
Ich ließ meinen Blick langsam von ihrem Blondschopf bis zu ihren hübschen Beinen gleiten. So langsam, dass es ihr nicht entgehen konnte. Und grinste.
»Ich wollte eigentlich nur sehen, wie du dich gehalten hast.«
»Warum brauchst du dazu eine Sauna?«, erwiderte sie kokett.
In Karins Augen sah ich ein Glitzern. Kleine Blitze aus einer anderen, einer vergangenen Zeit.
Mir war plötzlich noch heißer. Und daran war nicht die Sonne schuld. Ich hatte es ja geahnt: Mir stand eine anstrengende Zeit bevor.
Ich lotste sie schnell ins »Simonetti«, Eiskaffeepause. Netterweise stand gerade ein Pärchen auf, als wir ankamen. Ich legte einen kurzen Sprint hin und überholte mühelos ein Zweizentnerweib, das auf den freien Tisch zuwatschelte.
Die Dame guckte neidisch auf Karin und beleidigt auf mich. Ich hatte die entsetzliche Vision, dass sie sich aus purer Rachsucht auf meinen Schoß setzen könnte. Doch der Schrecken ging vorbei.
Erschöpft saß ich da, aber auch zufrieden. Mir war etwas bange gewesen vor dem Wiedersehen nach so langer Zeit. Doch wir gingen so leicht miteinander um, als hätte es nie das schmerzhafte Ende einer Beziehung gegeben. Karin schien es ähnlich zu gehen. Und dennoch hatten wir in den paar Stunden, die wir bisher zusammen waren, alles allzu Persönliche vermieden. Über die Sahnehauben hinweg taxierten wir uns gegenseitig. Es gab Klärungsbedarf, das spürten wir beide. Aber keiner wusste so recht, wie anfangen.
Es war Karin, die das Schweigen brach. »Bist du schon lange mit Susan zusammen?«
»Ein paar Wochen.«
»Ist es was Ernstes?«
Es klang wie beiläufig. Rein freundschaftliches Interesse ohne Hintergedanken? Oder ein Ausloten der Lage?
Es wäre ganz einfach gewesen. Ein Ja oder ein Nein hätte genügt.
Aber Dillinger, der feige Hund, drückte sich. Wollte alles offenlassen. Auf mehreren Hochzeiten tanzen. Sich nicht festlegen. Alle Eisen im Feuer behalten.
Mist, ich merkte das selber und sagte trotzdem vage: »Das versuchen wir noch herauszufinden.« Das war nicht mal gelogen. Aber nichts war geklärt. »Und du?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Der eine geht, der andere kommt. Und manchmal kommt lange keiner.«
»Kann ich mir nur schwer vorstellen, bei einer Frau wie dir.«
»Mit der Zeit wird man etwas anspruchsvoller«, seufzte sie. »Vor allem, wenn man diesen Grundsatz zwischendurch aus lauter Verzweiflung mal wieder vergisst.«
Wir zogen noch eine Weile schwitzend durch die Stadt, dann war es Zeit, Tante Olga vom Bahnhof abzuholen. Sie hätte ja auch ein Taxi nehmen können, aber das war ihr natürlich zu teuer.
***
Ein Traktor mit Anhänger, der altersschwach durch die Stadt tuckerte, bremste mich aus. Tante Olga wartete schon vor dem Bahnhof in Hessental. Wer konnte auch damit rechnen, dass ein Zug einmal pünktlich ankam.
»Herrschaft aber auch! Wie kannscht du bloß eine alte Frau so lang in dere Hitz warte lasse«, schimpfte Tante Olga in ihrem besten Honoratiorenschwäbisch. Ich schaute auf die Bahnhofsuhr. Gerade mal zwei Minuten zu spät.
Tante Olgas Sommerkostüm musste etwa so alt sein wie ich. Als sparsame Schwäbin trug sie ihre Sachen auf, bis sie auseinanderfielen. Auf ihrem schlohweißen Haar saß ein kecker Strohhut. Die Sonnengläser ihrer Brille hatte sie hochgeklappt.
Tantchen wirkte zart, zerbrechlich und liebenswürdig. Der Eindruck täuschte. Tantchen war achtundsiebzig, hatte eine offenbar nie ermüdende Energie und Haare auf den Zähnen. Ziemlich viele Haare. Sie war es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen, da war sie nicht anders als Karin.
»Und wie siehst du überhaupt aus? Wie ein Papagei! Hättest dir ruhig was Anständiges anziehen können, wenn ich dich schon einmal besuche. Können wir jetzt endlich gehen?«
Ungeduldig stieß sie mit ihrem Stockschirm auf den Boden.
Ich machte die Damen miteinander bekannt. Tantchen musterte Karin eingehend. Ihr Blick blieb auf Karins Oberteil hängen.
»Ist das deine neue Freundin?«, fragte Tante Olga.
»Nein, Tantchen, nur eine alte Bekannte.«
»So?«, meinte Tantchen spitz. »Dafür zeigt sie aber viel Busen.«
Ich