Die Farben des Abends. Wolfgang Bendick
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Jeder von uns wurde bald nach Ankunft in die Bedienung der Seilbahn eingewiesen. Diese war lebensnotwendig und jeder musste sie bedienen können. Das sah anfangs schwierig aus, war aber ziemlich logisch und außerdem waren automatische Sicherheitsabschaltungen eingebaut worden, seitdem mal jemand vor lauter Quatschen vergessen hatte, dass die Gondel fuhr, und diese voll in und durch das Maschinenhaus donnerte. Das lag aber schon Jahre zurück, diente aber immer noch dazu, uns die Gefahren klar zu machen. Schwieriger war es bei Nebel, wenn man die Gondel erst im letzten Augenblick sah. Aber für diesen Fall war an der Wand eine durch eine Endlosschraube betätigte Positionsanzeige vorhanden, auf der man alle Stützen sah und den jeweiligen Standort der zwei Gondeln.
In der geräumigen Küche stand an der Südseite, unter den Fenstern, ein langer Tisch. An diesem aß das Personal, bevor es ans Abfüttern der Gäste ging. Wir waren je nach Urlaub oder Ausfall 12 bis 16 Leute, die den Laden schmissen. Da ja auch an Wochenenden gegessen werden musste, teilten wir uns ein, damit auch immer genügend Leute da waren und wir selber auch zu unserer Freizeit kamen. An der einen Stirnseite dieses Tisches saß der Chef und daneben die Altgedienten, an der anderen saß ich, weil das der einzig freie Platz gewesen war und niemand sich da hinsetzen wollte, und neben mir saßen die anderen Ersatzdienstler.
Es ging los! Wir erwarteten drei Gruppen. Zwei Schulklassen, die hier Schifahren lernen sollten und eine politische Gruppe, irgend so eine rote Zelle, die anscheinend zum Diskutieren und Trinken gekommen war. Doch vorerst musste der Hausmeister deren Gepäck am Bahnhof holen, welches er in die Seilbahngondel lud und jemand von uns dann hochzog. Wir luden es oben am Maschinenhaus aus, wo sich die Gäste nach ihrem Aufstieg bedienen konnten. Am Abend war dann natürlich Remmidemmi. Die Schüler johlten vor Übermut nach dem Essen durch die Gegend und die Gänge, die Aktivisten gaben sich erst mal einer Grundsatzdebatte hin. Diese wurde immer heftiger und um die Stimmbänder zu kühlen und den revolutionären Ideen mehr Überzeugungskraft zu geben, sprachen sie kräftig dem Alkohol zu. Die erste Debatte beendeten sie, wie ihre Klassenfeinde, im Überkonsum von Alkohol. Da wir bei einem solchen Zirkus eh nicht zum Schlafen gekommen wären, schlossen wir uns den Feiernden oft an.
So vergingen die ersten Tage und wir lernten langsam den Ablauf des Geschehens. Der Hausmeister hatte ein paar Tage frei genommen. Und gerade da war im oberen Stock bei einer der Schulklassen ein Klo verstopft. Der Chef fragte, wer von uns etwas davon verstehe und wer freiwillig bereit sei, das Problem zu lösen. Jeder schaute den anderen an und meinte, er selber könne das jedenfalls nicht! Die Hausmädel hatten sich schon mit dem Pumpfix und Nachspülen versucht, mit dem Ergebnis, das die Schüssel jetzt überlief. Was soll‘s, dachte ich mir, ob Spülbecken oder Kloschüssel, Brühe ist in beiden, außerdem kannte ich mich in solchen Dingen wirklich aus. Und da Billy mir gerade auf den Keks ging mit seiner Erziehungskur, bot ich an, mir die Sache mal unverbindlich anzuschauen. Die Anderen kehrten zu ihren Tellern zurück, ich stapfte mit dem schlüsselbundbewaffneten Chef nach oben.
Das sah nicht viel anders aus als das Spülwasser, roch nur etwas strenger. Ein paar Knödel schwammen an der Oberfläche, wie tote Fische mit dem Bauch nach oben, andere hatten sich unter Einwirkung des Gummipümpels aufgelöst und trübten das Ganze etwas ein, so dass man den Grund des Gewässers nicht mehr erkennen konnte. Ein paar Papierfetzen schwebten schwerelos in der Suppe. Anna, die beim morgendlichen Saubermachen diese Entdeckung gemacht hatte, stand mit ihrem Putzkübel im Flur. „Solche Drecksai! Da hot bestimmt oina in d‘ Hosen gschissen und d’Hosen doa reingschmissen!“ Das dachte ich mir auch. „Du musst mit der Hand da reinfassen“, sagte ich ihr, „nicht mit dem Gummipümpel drin rumrühren! Komm, versuch‘s, das klappt bestimmt!“ Sie machte einen Schritt zurück. „I bin doch kai Dappschädel! Dös kannscht fei sel mache!“ Ich überlegte. Man könnte das Klo wegschrauben um ans Rohr zu gelangen. Aber was gäbe das für eine Schweinerei. Die Brühe würde bis in den Flur laufen! Warum umständlich, wenn’s auch einfach ging! Ich zog meine Spülerjacke und mein Hemd aus und kniete mich vor die Schüssel. Der Chef hörte auf, mit den Schlüsseln zu klimpern, selbst Anna kam wieder einen Schritt näher und schaute mir über die Schultern.
Ich hielt die Luft an, tauchte den Arm tief in die Brühe, meine Hand tastete sich in das Knie. Nichts. Ich zwängte mich weiter und ertastete etwas, was sich wie Stoff anfühlte. Mit den Fingerspitzen konnte ich es fassen, etwas näher ziehen, dann nachgreifen, und bevor mir der Atem ausgegangen war, zog ich das Teil heraus. Gurgelnd verschwand die Nudelsuppe im Gedärm des Hauses. „Schau, ein Putzlumpen! Du hast deinen Eimer darin ausgeleert!“, rief ich und hielt das triefende Ding hoch. „Lügner!“, rief Anna, „dos ischt a Unterhosen!“ „Wie willst denn du das wissen, Modle haben doch sowas nicht!?“ „Dorin kenn i mich aus!“ Wir prusteten vor Lachen. Mein Chef schien beeindruckt. Wohl von dem Ergebnis, mehr aber noch von meiner Furchtlosigkeit vor der vollen Schüssel. Wenn der wüsste, was für Schweinereien ich früher auf dem Dampfer gegenüber gestanden war! Unter Annas Protest warf ich die versaute Hose in ihren Eimer und meinte, sie solle schauen, wem sie gehöre. Dann in den Waschraum und mit Seife den Arm gewaschen. „Der Rest geht beim Spülen ab!“ meinte ich, als der Chef sagte, ich könne auch eine Dusche nehmen. „Das Spülen kann warten! Schau dir gerade noch mal das Waschbecken da drüben an. Das ist schon seit gestern verstopft!“ Doch dazu brauchte ich Rohrzange und die Spirale. In der Hausmeisterwerkstatt fand ich alles. Der Chef hielt mich wohl für einen Zauberer, als er sah, was ich alles aus so einem kleinen Rohr herausbeförderte!
Inzwischen war es Mittag geworden. Nach dem Essen meinte der Chef, ich bräuchte heute Mittag nicht spülen, da ich durchgearbeitet hatte. Am Abend ließ er mich rufen. Er war puterrot. Vor Zorn, wie es schien. „Stell dir vor, da kommt doch der Hausmeister nach seinen freien Tagen zurück und sagt mir, dass er kündigt, in vierzehn Tagen fängt er eine andere Arbeit an. Da habe ich ihm gesagt, im Vertrag steht, dass jeder erst nach der Saison kündigen kann. Darauf meinte er, ‚auf den Vertrag, da drauf scheiß ich!‘ Da sagte ich, dann scheiß ich auch darauf, verschwinde lieber sofort!“ Kurze Pause. „Wie sieht’s aus, hast du Lust, den Posten zu übernehmen?“ Also tauschte ich die Spülerjacke gegen den grauen Kittel des Hausmeisters ein und bekam einen Schlüsselbund ausgehändigt, fast so groß wie der des Chefs.
Mit der Zeit erfuhr ich so die Einzelheiten über das Haus und die Anwesenden. Der Chef und seine Frau waren erst seit der Sommersaison da. Der Vorgänger, ein Einheimischer, war von den Freunden der Natur abgesetzt worden, weil er zu viele eigene und lokale Interessen im Hinterkopf gehabt hatte. Das meiste Personal war mit ihm gegangen. Dadurch, und wohl auch um Kosten einzusparen, hatte man eine Geschäftsleitung von auswärts eingesetzt und auf Zivildienstler zurückgegriffen. Nur der Küchenhelfer, Esperanza und die Büffet-Frau waren vom alten Personal. Der Koch war der Sohn vom Chef und dessen Helfer war der Bruder des abgegangenen Hausmeisters.
Von jetzt an fing mein Tag mit einem Rundgang an (falls man mich nicht schon in der Nacht weckte, weil was passiert war), um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Dann die Bestellung von Küche und den anderen Bereichen aufnehmen, die Aufträge und die Post vom Chef. Mit der Seilbahn ins Tal und mit dem VW-Bus nach Oberthal. Der Schrankenwärter konnte es nicht lassen, wenn er mich erkannte, nach der Genehmigung zum Befahren der Straße zu fragen, obwohl doch in Großbuchstaben der Name des Hauses auf der Karre stand. Der Vormittag verging mit dem Erledigen der Besorgungen: auf die Bank, Post, oft mittags die Tochter des Chefs von der Schule holen, dann wieder hochfahren. Da kam ich meist zum Ende des Mittagessens an. Dann eine Stunde Pause. Danach ging es ans Reparieren der durch Vandalismus oder Abnutzung entstandenen Schäden. Die Heizung musste gewartet werden, der Müll gesammelt und beseitigt. Das geschah anfangs noch auf einem hässlichen Müllplatz genau unter der Seilbahntrasse. Weiterhin Schweinekübel mit den Essensresten zur Seilbahn schaffen und Milch zum Haus. Wanderwege markieren, Schlepplift überholen. Es war Schnee zu räumen und die Eiszapfen abschlagen, wenn sie zu gefährlich wurden… In die Spülküche kam ich nur noch, wenn dort etwas verstopft oder kaputt war. Man beneidete mich vielleicht darum, dass ich jeden Tag ins Dorf oder die Stadt kam. Wenn mal eine entsprechende Bemerkung fiel, dann erzählte ich von der letzten Klo-Entstopfung,