Adrian Babelssohn. Paul Baldauf
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Kapitel 1
Heute war ich beim Arbeitsamt. Eine großartige Sache, dieses Überbrückungsgeld!
Ein paar Monate Anschubfinanzierung und schon verschwinde ich aus der Kartei der Arbeitsuchenden. Die streng gescheitelte Sachbearbeiterin ließ sich meine Zeugnisse zeigen. Dann warf sie einen Blick auf mein Französisch-Diplom (DELE) sowie das IHK-Zertifikat in Englisch. Sie blickte mich anerkennend an. Mich beschlich auf einmal das Gefühl, daß sie den Wert dieser Qualifikationen vielleicht gar nicht richtig einschätzen könne. Aber − wenn ich es mir genau überlege − vielleicht war es ein Wink des Schicksals. So war sie nicht vorbelastet und konnte unvoreingenommen agieren: „Prima! Sprachen...Da haben Sie ja schon Diplome. Die Voraussetzungen sind gegeben.“
Sie fackelte nicht lange. Dafür hatte sie ja auch gar keine Zeit. Andere wollten schließlich auch noch bei ihr vorsprechen. Man muß es als Deutscher mit der Gründlichkeit auch nicht übertreiben. Ein anderer wäre den Dingen vielleicht auf den Grund gegangen. Und wozu führt das am Ende? Nur zu kleinlichen Fragen (skeptisch musternder Blick: Und Sie meinen, d a s reicht?), die eher hemmen als hilfreich sind. Es blieben ja ohnehin noch Jahrzehnte bis zur Rente. Da kann man sich die ein oder andere Qualifikation noch rückwirkend aneignen.
Die Sachbearbeiterin – „Ach, übrigens...“ – ergänzte: „Jetzt müssen Sie nur noch zur IHK in Ludwigshafen, zur Begutachtung Ihres Geschäftsplanes.“ Geschäftsplan? Davon hatte sie doch gar nichts gesagt...Oder hatte ich das überhört? Man lernt doch immer dazu.
Kapitel 2: Der entscheidende Termin bei der IHK
Der entscheidende Tag war gekommen. Termin in Ludwigshafen am Rhein:
Der Existenzgründungs-Spezialist − ein graumelierter Herr mit guten Umgangsformen,
der sehr kompetent wirkte − brachte es gleich auf den Punkt:
„Geschäftspläne sehen n o r m a l e r w e i s e anders aus..“
Diese Deutschen müssen doch für alles eine DIN-Norm einführen...Dabei setzte er – bei dezentem Fingertrommeln – eine Miene auf, die zunächst beinahe abschreckend und dann fast triumphal wirkte:
„Und w i e, meinen Sie, überbrücken Sie die schwierige Anfangsphase? Wenn keine oder kaum Aufträge eingehen, aber die Kosten weiterlaufen?“
Wie der die Dinge beim Namen nannte! Ich verwies darauf, dass ich ja ’stark reduzierte Grundkosten habe’: Verzicht auf ein Auto. Dies konnte er rechnerisch unmittelbar nachvollziehen: Wiegen des Kopfes, kritischer Prüferblick, begleitet von: Hm, hm...
Ich denke, der Verzicht auf ein Auto ist unbedingt sinnvoll, zumal ich ja gar keinen Führerschein habe. Habe ich ihm natürlich nicht verraten. Aber er war mit dieser unternehmerischen Denkweise noch nicht zufrieden. Er fuhr einen Finger aus und deutete mit kritischem Blick auf meinen improvisierten und etwas armseligen Geschäftsplan:
„Schön und gut: Damit haben Sie zwar diesbezüglich keine finanzielle Belastung, aber…“
Da habe ich sogleich Initiative gezeigt, bevor er seinen Gedankengang weiter ausführen konnte und ihn auf mein ’Büro in der eigenen Wohnung’ verwiesen. Er schien die Büroräume-Kosten-Ersparnis sogleich durchzurechnen. Aber so schnell war ja so ein Kostenstellen-Fuchser nicht zu überzeugen. Ich setzte noch einen drauf und argumentierte damit, daß ich – zumindest in der Anfangszeit von 25 Jahren – keine Sekretärinnen einstellen werde. Ebenso bekommen Mitarbeiter strikterweise weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld (welche Mitarbeiter?) Nun schien es, daß er mir mehr zutraute. Er diagnostizierte, daß ich ‘sprachlich sicher gut‘ sei. Im kaufmännischen Bereich müsse ich aber dazulernen (Mir blieb nur rätselhaft, warum er an dieser Stelle vielsagend die Stirn runzelte). Ich schloß mich, aus taktischen Gründen, seiner Ansicht an. Am Ende zückte er seinen goldrandigen Kugelschreiber und unterzeichnete mit motivierendem Gesichtsausdruck (ob d a s mal gut geht?) den Antrag: BEFÜRWORTET! Wer sagt es denn? Er drehte sich um, flugs wie ein beweglicher Bürosessel. „Äh, Fräulein Müller...? Wenn Sie den jungen Mann bitte zum Ausgang begleiten...“
Kapitel 3: Nie vergessen: Kundenfreundlichkeit!
Nun sind bereits einige Wochen ins Land gegangen. Entscheidend wichtig, so scheint mir, ist die Kundenfreundlichkeit. Gestern rief wieder einer dieser zahlreichen Katalog-Versender an:
„Einen schönen guten Tag! Nervansky mein Name. Wir stehen für Büromaterial und mehr: Sie haben doch sicher zwei Minuten…?“
Mit der Zeit sammelt man unschätzbare Erfahrungen. Ich habe deshalb heute den Entschluß gefasst, diese weiterzugeben. Schließlich bin ich schon eine ganze Weile auf einem schwerumkämpften Markt.
Aufgemerkt:
Am Telefon immer freundlich sein. Man weiß nie, wen der Anrufer alles kennt. Und wenn es der siebte Katalog-Anbieter ist, der anruft. Signalisiere unbedingt Einverständnis und laß dir den Katalog schicken. Zumal du sowieso keine Zeit haben wirst, die Preise für 500 g Kopierpapier bei 7 Händlern zu vergleichen. Sicher, die Kataloge nehmen Platz weg.
Sei aber nicht kleinlich. Bedenke vielmehr, wieviel Platz die erst bei den Herstellern wegnehmen.
Also, zier dich nicht. Notfalls kannst du auch ein paar im Wohnzimmer zwischen die Bücher ins Regal stellen. So sieht jeder Besucher gleich, daß du kein weltfremder Schöngeist bist.
Die ’Gesammelten Werke von Hermann Hesse’ wolltest du sowieso ausrangieren.
Was sagt dir – der du dich auf dem rauen Markt freier Dienstleister behauptest – noch ein neo-romantischer Arbeitswelt-Drückeberger und lyrischer Nebelkerzen-Spaziergänger wie Hesse?
Kapitel 4: Jetzt bewirbt man sich bei mir!
Heute bekam ich die Bewerbung einer Übersetzerin: Sie’sei ‘Spanierin – aus Valladolid – spreche und verstehe fließend Spanisch und könne von daher natürlich entsprechende Schriftstücke übersetzen’. Außerdem habe sie ’einige Kurse’ absolviert und wohne schon lange in Deutschland. Sie verfüge zudem über ’Erfahrung in der Gastronomie (Kellnerin)’ und sei ’nunmehr entschlossen, ihr Berufsziel gezielt anzusteuern’. Anbei ihr Lebenslauf. In Erwartung meiner Antwort, danke sie für die wohlwollende Prüfung ihrer Bewerbung durch die geschätzte Geschäftsführung und freue sich auf erste, sicher sehr interessante Projekte.
Donnerwetter! Ich bekomme Bewerbungen...Wer hätte das gedacht?! Früher habe ich mich immer beworben und jetzt drehen die den Spieß um. Ein schönes Gefühl. Habe ich gleich zweimal gelesen, mir auf der Zunge zergehen lassen und dabei jedes Wort genau unter die Lupe genommen. Besonders die geschätzte Geschäftsführung. Obwohl, geschätzter Geschäftsführer wäre noch treffender gewesen.
Aufgemerkt:
Übersetzungsbüros anschreiben und sich auf die Qualifikation ’Muttersprachler/-in’ berufen, macht durchaus Sinn. Also, Pizzabäcker, nehmt euch