Bonjour, Paris. Ilka-Maria Hohe-Dorst
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Bettina blieb die Luft weg. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie war wie paralysiert. Ganz im Gegensatz zu Bernd, der von seinem Sitz aufgesprungen war und dessen Stimme sich überschlug.
„Pierre Desmoulins … das ist der Kerl, der mit der verheulten Alten auf dem Friedhof herumstand. Das stinkt doch zum Himmel!“
Er funkelte Bettina zornig an, die unfähig war, sofort auf das zu reagieren, was mit einem Mal auf sie einstürmte.
„Und du hast die beiden für Gespenster gehalten! Ich bin gespannt, was da noch an Knalleffekten kommt.“
Bettina war Bernds Benehmen vor den Augen und Ohren des Notars peinlich. Sie hatte schon immer die cholerische Veranlagung ihres Bruders missbilligt, der im Zustand inneren Aufruhrs schnell die Kontrolle verlor und sich zu den wüstesten Beschimpfungen hinreißen ließ. Als die Ältere hatte sie Einfluss auf Bernd, und oft gelang es ihr, ihn zur Vernunft zu bringen, ehe er mit unbedachten Worten irreparablen Schaden anrichten konnte. Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu und zog ihn stumm am Saum seines Jacketts auf seinen Sitz zurück.
Auch in der Miene des Notars stand Missbilligung zu lesen.
„Können wir jetzt fortfahren, Herr Busse?“
Bernd schwieg, aber Bettina nickte dem Notar zu. Er las weiter vor.
„Meinem Schwager Bernd Busse soll von meinem Barvermögen eine einmalige Abfindung von zwanzigtausend D-Mark zugestanden werden. Seine monatlichen Zuwendungen entfallen mit sofortiger Wirkung.“
Bernd brauste erneut auf. Er schäumte jetzt vor Wut und sah keine Veranlassung mehr, sich länger zurückzuhalten.
„Da haben wir’s. Jetzt kommt ans Tageslicht, wie der Banause wirklich über mich dachte, über den unnützen Künstler, den er sich mit ans Bein gebunden hatte, als er dich heiratete.“
Bettina war über Bernds Entgleisung wie vor den Kopf gestoßen. Wie konnte er so respektlos über Eduard sprechen, der ihm Monat für Monat eine Summe überweisen ließ, die ihn vor den Entbehrungen bewahrte, die seine Künstlerkollegen in Berlin durchlitten und denen er dank Eduards Großzügigkeit in ihrer größten Not unter die Arme greifen konnte? Zuerst war sie geneigt, Bernd scharf zurechtzuweisen, zwang sich dann aber, ruhig zu bleiben. Sie wollte sich vor dem Notar auf keine Debatte mit ihrem Bruder einlassen, die nur in einen Streit gemündet wäre. Deshalb versuchte sie es im Guten.
„Reiß dich zusammen, Bernd. Vergiss nicht, wer du bist.“
Doch Bernd ließ sich nicht zügeln.
„Wer bin ich denn schon? Der Versager, die kleine Wurst, der Pinselschwinger einer brotlosen Kunst, den dein Göttergatte dir zuliebe aushielt, obwohl ihn Malerei nie interessierte und der nicht einmal wusste, wie man Gauguin und van Gogh richtig schreibt. Und was für ein Kuckucksei hat er dir jetzt wohl ins Nest gelegt? Was warst du eigentlich für ihn, dass er dein Vermögen, das unser Vater dir hinterlassen hat, jetzt über deinen Kopf hinweg verhökert? Hast du deinen Mann wirklich gekannt?“
„Du weißt nicht, was du sagst, Bernd. Das ist doch gar nicht wahr. Wir sprechen später darüber.“
„Ich werde den Mund nicht halten. Es geht um das Geld unseres Vaters, das sich Eduard unter den Nagel gerissen hat. Und um meine Existenz. Wie soll ich …“
Wenger fiel ihm ins Wort. Er hatte nicht vorgehabt, sich in diese Familienangelegenheit einzumischen, aber Bernds Attacke auf seine Schwester, die sich immer für seine Interessen eingesetzt hatte, ging ihm zu weit.
„Hören Sie endlich auf, Herr Busse, das gehört nicht hierher.“
Bernd war völlig anderer Meinung und spuckte Gift und Galle. „Halten Sie sich heraus, Herr Wenger. Sie sind der letzte Mensch auf diesem Planeten, der mir etwas zu befehlen hätte.“
Der Notar sah es an der Zeit, einzugreifen.
„Ich muss doch bitten, Herr Busse. Können wir die Sache jetzt zu Ende bringen?“
Bernd schwieg, sackte in sich zusammen und ließ das Kinn wie in stiller Empörung auf seine Brust sinken, während der Notar den Rest des Testaments verlas, in dem Eduard die übrigen Vermögensverhältnisse detailliert geregelt hatte. Bettina kam zwar immer noch gut weg, trotzdem sah sie sich mit lauter offenen Fragen konfrontiert.
Der Notar schloss mit seinem obligatorischen Hinweis in Erbschaftsangelegenheiten.
„Bevor ich Ihnen die beglaubigten Abschriften überreiche, belehre ich Sie noch für den Fall, dass Sie das Testament nicht anerkennen wollen, über Ihre Rechte …“
Als er fertig war, nahm er einen Briefumschlag und sprach Wenger an.
„Herr Wenger, sie werden sich gefragt haben, weshalb ich Sie zu dem Termin miteingeladen habe. Diesen Briefumschlag bat mich Eduard Claaßen, Ihnen persönlich am Tag der Testamentseröffnung zu übergeben.“
Wenger nahm den Umschlag entgegen. Als Adressat stand darauf nur ‚Lutz‘, sonst nichts. Wenger öffnete ihn, entfaltete einen Brief und las: „Lieber Lutz, als mein langjähriger und treuer Freund richte ich eine letzte Bitte an dich. Es ist mein Wunsch, Pierre Desmoulins, einen jungen Anwalt in Paris, zu unterstützen und zu fördern. Seine Kanzlei besteht erst wenige Jahre. Ich stelle mir eine Kooperation bei deutsch-französischen Projekten vor und wäre dir dankbar, wenn du mir diesen Wunsch erfüllen könntest. Möglich wäre auch, beide Kanzleien zu verschmelzen. Das würde ihre Wettbewerbsfähigkeit auf westeuropäischem Terrain enorm stärken. Das alles habe ich nicht mehr mitzuentscheiden. Aber du warst mein bester Freund, Lutz, und ich verlasse mich auf dich. Die Kontaktdaten erfährst du durch meinen Notar Rainer Richolt.“
Wenger ließ den Brief sinken und blickte schweigend ins Leere, um das Gelesene zu verarbeiten. Der Notar riss ihn aus seinen Gedanken.
„Steht etwas da drin, Herr Wenger, das meine Tätigkeit als Notar erfordern könnte?“
Wenger schüttelte den Kopf und reichte den Brief an Bettina weiter. Als sie ihn zu Ende gelesen hatte, war sie blass geworden. Sie verstand die Welt nicht mehr und war froh, als der Notar den Termin zu Ende brachte.
Fünfzehn Minuten später standen Bettina und Wenger auf der Straße vor dem Notariatsbüro. Er schaute auf seine Armbanduhr.
„Was macht Bernd noch so lange da drin? Warum ist er nochmal zurückgegangen?“
Doch Bettinas Gedanken waren bei ihrem verstorbenen Ehemann.
„Lutz, antworte mir ehrlich: Hast du von Eduards Plänen gewusst?“
Wenger hob die Schultern.
„Kein bisschen, Bettina. Ich bin genauso überrascht wie du.“
„Wie kann das sein, Lutz? Du warst sein bester Freund und engster Vertrauter,