Der Dämon der Zarin. Josef Hahn
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1886 – 1901
Etwa 15 lange Jahre trieb sich Rasputin (ab jetzt wollen wir ihn so nennen) als Pilger in verschiedenen Ländern herum. Angeblich um Näheres über das Christentum zu erfahren.
Einfache Reisen waren das sicher nicht.
Sibirien war zu der Zeit fast noch unerschlossen. Der einzige Hauptverkehrsweg, der >Sibirische Trakt< begann bei Tjumen und führte bis Wladiwostok. Rasputin bewältigte den Großteil davon zu Fuß; sicher eine außergewöhnliche sportliche Leistung.
Die Gesamtentfernung von Tjumen bis Wladiwostok beträgt 7793 km.
Der >Sibirische Trakt< war für die Besiedelung Sibiriens und die Erschließung seiner landwirtschaftlichen Potentiale und Rohstoffe von großer Bedeutung. Er war der erste neuzeitliche Fernverkehrsweg, der eine durchgängige West-Ost-Verbindung durch weite Teile Russlands ermöglichte.
Vor der Eisenbahn gab es außer dem Sibirischen Trakt nur einfache Feldwege und Trampelpfade, die oft nicht einmal Raum für ein Pferdefuhrwerk boten. Bei Regen war alles verschlammt und im Winter gab es überhaupt kein Durchkommen.
Im Vergleich zur Eisenbahnentwicklung in Westeuropa und den USA setzte sich die neue Verkehrstechnologie im Zarenreich sehr zögerlich durch. Während in den USA 1860 bereits etwa. 49.000 Schienenkilometer verlegt worden waren, erreichte Russland diese Marke erst um die Jahrhundertwende.
Nichtsdestotrotz waren Menschen zu fast jeder Jahreszeit unterwegs: Missionare, Pilger, Jäger, Fallensteller, die erbarmungswürdigen Züge der Deportierten und auch unser Freund Rasputin.
Im Winter, wenn Eis und Schnee das Land beherrschten, suchte man sich irgendwo eine Bleibe. Bei einem gastfreundlichen Popen oder in einem Kloster. Ebenso tat es Rasputin. Er verrichtete als Gegenleistung für die gastliche Aufnahme ohne Murren die niedrigsten Arbeiten.
Die Predigten und Ansichten der Popen verfolgte er darüber hinaus mit allergrösstem Interesse. Allerdings war er nicht immer einer Meinung mit den geistlichen Herren. Er nahm sich nur das heraus, was in seine Gedankenwelt passte. Ein kritischer und ausgeprägter Widerspruchsgeist beherrschte ihn schon damals; gegenüber der alles dominierenden Kirche nicht gerade von Vorteil.
Die russisch-orthodoxe Kirche ist eine Abspaltung des griechisch-orthodoxen Christentums und prägte die slawische Kultur durch Jahrhunderte in vielfältiger Weise.
Die herrschaftsstützende Lehre der griechisch-orthodoxen Kirche, dass alle Obrigkeit von Gott käme, festigte die Stellung der Zaren durch Jahrhunderte erheblich. Die Zentrale der russisch-orthodoxen Kirche ist heute in Moskau und ein >Patriarch<, vergleichbar mit dem katholischen Papst, bestimmt über sie.
Bärtige russische Missionare besuchten auch emsig die Nomadenlager und verteilten da Metallkreuze und weiße Hemden. Dafür mussten die neu Bekehrten ins Wasser tauchen und den Gott der Weißen als den ihren anerkennen.
Die Indigenen spielten brav mit.
„Warum sollten wir den Christengott nicht anerkennen?“, fragte einmal einer in aller Offenheit. „Das Metall der Kreuze, aus denen man Angelhaken machen konnte, war für uns sehr nützlich und schwer zu bekommen. Außerdem bekamen wir ein ganzes Bündel Blättertabak dazu. So lebte dieser Gott halt eine Zeitlang mit den unseren zusammen, bis man ihn vergaß. Nutzen brachte er allerdings keinen, denn er kannte weder unser Leben noch das Meer oder die Rentiere.“ Der indigenen Bevölkerung war das Wesen des Christentums völlig unbegreiflich.
Denkenden Menschen von heute ebenso.
In diesen Jahren war Rasputin nur sporadisch zu Hause. 15 lange Jahre war er, auf der Suche nach Erleuchtung und Wahrheit, und, wie er selbst erklärte, auf einer Pilgerreise.
Einer seiner schaurigsten Erlebnisse in Sibirien war die Begegnung mit einer christlichen Sekte, die völlige sexuelle Enthaltsamkeit propagierte. Bei den >Skopzen< war jeder Geschlechtsverkehr verboten. Diese Fanatiker trieben ihre Askese so weit, dass rituelle Verstümmelungen der Genitalien und später auch der weiblichen Brust Vorschrift wurden.
Wen wundert es, dass diese Irren mittlerweile fast ausgestorben sind?
Bei seiner letzten und weitesten Pilgerreise, die vier Jahre dauerte, wanderte er bis zum Berg Athos in Griechenland. Der >Heilige Berg Athos5< war und ist eine orthodoxe Mönchsrepublik unter griechischer Souveränität. Er befindet sich auf der Halbinsel Chalkidike.
Auf seinen schwer zugänglichen Hängen siedelten auch Mönche; zumeist in Kleinstbauten und Höhlen. Berühmt sind die Malerwerkstätten des Athos, deren große Tradition der Ikonenmalerei bis ins Hochmittelalter zurückreicht.
Erste sichere Hinweise auf mönchisches Leben auf dem Athos lassen sich zu Beginn des 9. Jahrhunderts in byzantinischer Zeit nachweisen.
Seit dem 11. Jahrhundert hatte der Berg Athos auch für die Christen der Kiewer Rus große Bedeutung. Es entstanden auch Klöster für russische Mönche. Die Moskauer Fürsten trugen erheblich zur Finanzierung der Klöster bei. Sie wurden vom 16. Jahrhundert an dem Moskauer Patriarchat unterstellt.
Aber so wie es schien, war es in der Mönchsrepublik leider nicht. Frauen und selbst weiblichen Tieren war der Zutritt zur Mönchshalbinsel verboten - vielleicht sagte man deshalb den freizügigen Brüdern Homosexualität und anderes nach.
Eigennutz und Habgier ließen die frommen Brüder schon auch mal zu raffinierten Kunsträubern werden, die Ikonen und andere Klosterschätze an Privatsammler und ausländische Museen verkauften. Von Zeit zu Zeit ausbrechende mysteriöse Großbrände in den Klöstern nährten den Verdacht, daß die Brandstifter Mönche waren, die so ihre Diebstähle von Kunstschätzen zu kaschieren suchten.
Weniger die kleinen Gaunereien der Mönche - die konnte er auf Grund eigener kleiner Gaunereien recht gut nachvollziehen -, als die offen zur Schau gestellte und praktizierte Homosexualität unter den Mönchen widerten ihn an. Das kannte er nicht. Gehört hatte er zwar, dass es Männer gebe, die Männer liebten, aber das mitansehen zu müssen, ging ihm gehörig gegen den Strich. Im Zarenreich wäre so etwas undenkbar gewesen.
Die Gleichgeschlechtlichkeit war für die meisten Russen immer etwas Unnatürliches; im Zarenreich, in der darauf folgenden Sowjetunion und auch noch im heutigen Russland. Erst 1993 wurden homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen legalisiert, und seit 1999 steht Homosexualität auch in Russland nicht mehr auf der Liste der Geisteskrankheiten.
Doch zurück zu Grigorij Rasputin.
Er verließ den heiligen Berg und die Sippschaft der Homo-Mönche und plante - wieder einmal - in seinem Heimatdorf aufzutauchen.
Mittlerweile hatte er sich auch seine eigene Sicht auf sein Umfeld zusammen gebastelt: Die ganze Welt wäre auf Ungereimtheiten aufgebaut, aber ohne diese könne die Erde eben nicht sein. Damit rechtfertigte er vor sich selber, seine zwiespältige Persönlichkeit.
Gebete wären immer etwas Nützliches; aber man braucht dazu keine Kirche. Wenn man an Wunder glauben kann oder will, dann sollte man das auch tun. Es gäbe eben viele Erscheinungen und Phänomene, die einigen wie etwas Übernatürliches vorkämen; so wie er sich selber als Prophet verstand.
Er hatte in den