Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer
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Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes, und niemand kann mit Scheuklappen daran vorübergehen! Fragen Sie nur im Volke nach, und Sie werden finden, daß das gesamte Volk keine andere Meinung hat, als die Verteidigung. Ich bedauere, daß es so weit gekommen ist, daß in einer Zeitung ein Artikel mit der Überschrift »Professor Dührßen als Staatsanwalt« erscheinen konnte. Auch die Berliner Ärzteschaft wird sich wohl mit der Frage beschäftigen müssen: Wieweit darf ein ärztlicher Sachverständiger in seinem Gutachten gehen? Der Staatsanwalt sagt: die Polen haben sich zusammengetan, um die Angeklagte den deutschen Richtern zu entreißen. Nun fragen Sie aber mal das Bürgertum, welches doch die adlige polnische Gräfin und die polnische Wirtschaft gar nichts angeht, wie es über die Sache denkt, und Sie werden allseitig Zustimmung zu der Auffassung der Verteidigung finden.
Wie aber steht es denn mit der Stimme der Natur? Fest steht doch, daß in der Ähnlichkeitsfrage die Kunst und die Wissenschaft für die Behauptungen der Frau Gräfin greifbaren Stoff geliefert. Der Ritter von Ziegler ist hierher getreten und hat gesagt: ich weiß nicht, ob der Knabe mein Kind ist, Frau Meyer ist hergetreten und hat gesagt: ich glaube, daß es mein Kind ist, dagegen hat die Gräfin gesagt: es ist mein Kind! Wollen Sie dies Kind, welches von der Gräfin gehegt und gepflegt wird, der Mutter von der Brust reißen? Wollen Sie sich von einer gewissen Beredsamkeit überzeugen lassen? Ich dächte, die Berliner Richter und Geschworenen lassen sich durch Beredsamkeit nicht zwingen, sondern lediglich durch die Macht der Gründe und Tatsachen. Denken Sie daran, wie man den Grafen, der sich unbeobachtet wähnte, kniend am Bette des Knaben, und ihn herzend und mit ihm spielend, vorfand. Das ist die Stimme der Natur. Auch der Umschwung der Öffentlichen Meinung ist zweifellos hervorgerufen durch die Macht der Tatsachen, durch die Beweisaufnahmen. Wenn Sie den Richterspruch in Übereinstimmung mit dieser öffentlichen Meinung fällen, dann folgen Sie ihr nicht, sondern zeigen nur, daß Sie richtig und zutreffend die Tatsachen erfaßt haben. Ich zweifle nicht, daß nach dem Resultat dieser Beweisaufnahme das einzige Wort, das Sie, meine Herren Geschworenen, auf die Schuldfrage sprechen werden, das Wort »Nein!« ist.
Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Eger (Posen) suchte den Nachweis zu führen, daß das Geständnis der Angeklagten Ossowska sowohl gegen sie selbst als auch gegen die anderen Angeklagten als Beweismittel ausscheide. Es fehlen alle Beweggründe, die bei einem richtigen Geständnis vorhanden zu sein pflegen. Ich hoffe daher auf einen Freispruch meiner Klientin.
Verteidiger Rechtsanwalt Ludwig Chodziesner: Wenn die Gräfin alles das, was auf sie hier eingestürmt ist, mit so großer Ruhe ertragen hat, so dankt sie es ihrem unerschütterlichen, felsenfesten Gottvertrauen. Als wir Verteidiger der Gräfin am Sonnabend den letzten Besuch im Gefängnis machten, fanden wir sie förmlich verklärt, strahlend. Sie sagte uns: »Heute wird in den Kirchen für mich gebetet; meine Unschuld wird an den Tag kommen, mir wird kein Haar gekrümmt werden.« Still verließen wir das Untersuchungsgefängnis. Draußen sagte einer von uns: »Wie glücklich wären wir, wenn wir auch ein solches Gottvertrauen hätten.« Der Herr Staatsanwalt hat geglaubt, eine Lanze für das Majorat brechen zu müssen. Wir haben gesehen, wie das Majorat nicht nur die Bande der Familie sprengt, sondern sogar demoralisierend wirkt. Als bekannt wurde, daß nach langjähriger Pause die Gräfin sich wieder in anderen Umständen befinde, schlug das wie eine Bombe ein. Die Agnaten regten sich. Man sehe sich das große Heer der Mitwisser an und stelle sich ein Verbrechen vor, welche von soviel Leuten genau gekannt wird. Der Staatsanwalt hat ausgeführt, daß in der Gegend von Wroblewo eine wahre Meineids seuche grassiere, die alle Entlastungszeugen ergriffen habe. Nur, o Wunder, Herr Peter Hechelski und Fräulein Hedwig Andruszewska sind von dieser Seuche verschont geblieben. Und doch haben diese das Geld des Grafen Hektor Kwilecki deutlich rollen hören. Wie heißt das wunderbare Serum, das gerade diese beiden Zeugen immun gemacht hat?
Noch andere Merkwürdigkeiten sind aus diesem Prozeß zu verzeichnen. Beispielsweise die Stellung der Staatsanwaltschaft zu dem gewiß hochangesehenen Sachverständigen Professor Dr. Dührßen. Der Staatsanwalt hat gesagt: das Strafverfahren gegen Professor Dührßen sei wesentlich aus dem Grunde eingeleitet worden, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. Ich weiß nicht, ob Professor Dr. Dührßen über diese Fürsorge des Staatsanwalts sehr entzückt war, das aber weiß ich, daß in Preußen sich keine Strafkammer gefunden hätte, die das Hauptverfahren eröffnet hätte, um einem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. Nein, die Strafkammer, die das Verfahren eröffnete, hat den Prof. Dr. Dührßen für »hinreichend verdächtig« befunden; genau so, wie hier andere Personen »hinreichend verdächtig« befunden wurden. Und wenn das erkennende Gericht Herrn Dr. Dührßens Ehre so glänzend wiederherstellte und sich nicht an den Eröffnungsbeschluß gebunden hielt, ist ebensowenig für Sie, meine Herren Geschworenen, die Ansicht der Eröffnungskammer bindend, ebensowenig für Sie maßgebend, wenn hier einzelne Zeugen, als der Begünstigung verdächtig, nicht vereidigt worden sind.
Man hat in den Aussagen einzelner Entlastungszeugen Widersprüche entdeckt. Was sind diese Widersprüche aber gegen den Widerspruch des Gesetzgebers bei der Konstruktion der Schwurgerichte?! Sie, meine Herren Geschworenen, sind dazu berufen, das entscheidende Wort über Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu sprechen, und dann kommt ein Dreimänner-Kollegium und entscheidet, ob ein Zeuge vereidigt werden soll oder nicht! Diese Entscheidung müßte doch gewiß auch den Herren Geschworenen zustehen! Der zweite Herr Staatsanwalt hat den Herren Geschworenen zugerufen: Wenn Ihnen diese Beweise noch immer nicht genügen, dann erklären Sie gewissermaßen den Bankerott der Schwurgerichte. Die Schwurgerichte sind ja manchem ein Dorn im Auge, sie sind deshalb verdächtig, weil sie aus dem Jahre 1848 stammen! Ich glaube, das Geschworenengericht wird noch lange den jüngsten Berliner Staatsanwalt überleben, dem ich im übrigen ein recht langes Leben wünsche. (Heiterkeit im Publikum, die der Vorsitzende rügt.)
Nun zum Grafen Hektor Kwilecki. Die rechte Hand des Grafen Hektor ist Herr Peter Hechelski, das Medium ist Hedwig Andruszewska. Ich muß dem Grafen Hektor wirklich mit aufrichtigem Bedauern zurufen: Es tut mir in der Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh! Er hat durch Hechelski in halb Europa arbeiten lassen und hat doch nichts erreicht. Ich halte es für erwiesen, daß die damals unverehelichte Cäcilie Parcza ein Kind aus Not verkauft hat, ich halte es aber nicht für erwiesen, daß der kleine Leo Parcza nach Berlin gekommen ist, ich halte es auch nicht für erwiesen, daß der kleine Leo Parcza am 26. Januar 1897 auf die Reise gegangen ist; auf Grund der verschiedenen Zeugenaussagen bin ich der Überzeugung, daß der Knabe Leo Parcza schon in der Zeit zwischen dem 12. und 14. Januar aus Krakau weggekommen ist.
Der Hauptfehler, daß dies Rätsel noch nicht gelöst worden, liegt darin, daß man von Anfang an immer nur die Spur nach Wroblewo verfolgte, und doch hat die Cäcilie Meyer einen deutlichen Wink gegeben, wohin die Spur vielleicht führt. Sie hat gesagt, als sie nach Weggabe des Kindes von Reue gepackt in das Hotel rannte und dort sich nach der Frau erkundigen wollte, die das Kind erhalten haben könnte, sie die Auskunft erhalten habe: es habe eine Gräfin aus Oswice dort logiert. Aber niemand hat nach der Gräfin aus Oswice geforscht, denn an dem kleinen Leo hatte niemand auf der Gotteswelt ein Interesse, Graf Hektor hatte nur Interesse an dem kleinen Majoratsherrn, man lugte nur immer nach Wroblewo, und darum hat man andere Spuren nicht verfolgt, und diese haben sich verwischt und verweht. Man suche nur fleißig nach und man wird vielleicht finden!
Ich muß mich ein wenig länger mit dem Grafen Hektor Kwilecki beschäftigen. Er ist hier eidlich als Zeuge vernommen und er ist als Edelmann wissentlich nicht um Haaresbreite von der Wahrheit abgewichen. Er hat weit von sich gewiesen, daß er sich von materiellen Rücksichten leiten lasse, er wollte angeblich