EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber
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Objekte, Ereignisse und eventuelle Ziele zu beobachten, zu erkennen und mit ihnen zu lernen sind frühe Entwicklungsstufen in der Entwicklung der Hominiden und auch in der Individualentwicklung von uns heutigen Menschen. Dieses Lernen entsteht durch Nachahmung. Nachahmung aber verbessert nur das eigene Können und Wissen. Nachahmung ist ein „soziales Lernen“. Imitierendes Lernen lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Objekte, auf Ereignisse und Ziele und verbindet uns mit schon Bestehendem. Nachahmung verbindet uns aber am allermeisten mit jenen Menschen, denen wir nach zu ahmen versuchen. Sie werden für uns zu jenen Helden, denen wir nacheifern wollen. Eine erste-, eine sehr intensive- und vertrauensvolle-, eine kooperative Beziehung entsteht zwischen dem der nachahmt und dem der nachgeahmt wird. Zwischen beiden Menschen entsteht eine auf Sympathie oder Misstrauen gegründete Beziehung. Emotionen kommen ins Spiel und werden in Zukunft das Handeln des Menschen mitbestimmen und schließlich dominieren.
Für Hominiden ist Nachahmung ein Lernen durch Beobachtung und Übernahme des Wahrgenommenen. Imitierendes Lernen schafft Erfahrungen und Erkenntnisse, aber kein neues Wissen. Wer nachahmt lernt, was schon gekonnt wird oder schon bekannt ist. Neues Können oder neues Wissen erwirbt sich nur der Lernende und wird dadurch zum Glied einer Gemeinschaft: Wer nachahmt erwirbt für sich das Können und das Wissen der schon Erfahrenen. Durch Nachahmung werden in einer Gruppe oder in einer Gemeinschaft immer mehr Gruppenglieder zu Wissenden oder Erfahrenen. Gemeinschaft, Zusammenhalt und Gleichheit entsteht. Wer nachahmt schafft nicht Veränderung. Er versucht zu tun, was alle tun. Er will ein familien- oder gruppenkonformes Individuum werden. Für die Hominiden war das von ihren Vorfahren übernommene „imitierende Lernen“ ein Geschenk. Es stärkt ihre Gruppe und hilft beim Überleben. Im überschaubaren Umfeld ihrer Gruppe werden Gewohnheiten, werden erworbene Erfahrungen und handwerkliches Können an die Jungen weitergegeben und eine Gemeinschaft der Gleichen geschaffen. Auf diese Weise entstehen in den letzten 2 Millionen Jahren in der Geschichte der Hominiden bis zum Beginn der zivilisatorischen Wende und darüber hinaus in Indigenen Gesellschaften der Moderne sog. „postfigurative Gesellschaften“, wie sie von Margarete Mead beschrieben wurden 34: Sie leben in sich abgeschlossen ohne geographische- oder kulturelle Berührung. Die Älteren lehren, die Kinder ahmen nach und lernen, was die Alten können. Das allzeit Gewesene wird reproduziert. Die Vergangenheit der Alten ist auch die Zukunft der Jungen. Veränderungen und Wechsel finden nicht statt. Der Ist-Zustand wird akzeptiert und Wachstum oder Veränderung findet nicht statt.
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Was ich mit Imitationslernen zu beschreiben versuche, wird sich in heutigen Gesellschaften wiederholen: Wandel und Veränderungen sind in unserer heutigen Moderne immer nur das Können oder die Gedanken von Wenigen. Sie werden nachgeahmt oder als Prägung an Jüngere weiter gegeben und von diesen wieder an ihre Kinder. Aus dem Können oder den Gedanken eines Erneuerers wird auf diese Weise nach Generationen eine Art von Kultur oder Zeitgeist, die jetzt von Vielen vertreten und hochgehalten werden und eine Volks- oder Religionsgemeinschaft charakterisiert. Auch in unserer modernen Gesellschaft ist für die meisten ein nachahmendes Lernen, eine Orientierung an Anderen, eine „Individualisierung mit“ in den Worten des Heidelberger Familientherapeuten Stierlin 35 leichter als ein „intendiertes Lernen“ oder eine „Individualisierung gegen“, mit welchen man sich von Anderen absetzt und sich unterscheidet. In vom Können, vom Wissen oder von Gewohnheiten Erfahrener geprägter Geschichte der Hominiden entsteht durch Nachahmung Zusammenhalt von ethnischen Gruppen und Clanbewusstsein. In der heutigen Moderne erkenne ich analoge Tendenzen in der Bildung von Parteien, von Volks- oder Religionsgemeinschaften. Sie alle gehen von einzelnen Gründerfiguren aus und werden für Viele zur Orientierung.
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Was ich beim imitierenden Lernen von Erfahrenen beschreibe, wird in der Eltern-Kind-Beziehung durch eine, von biologischen Faktoren gesteuerte verwandtschaftliche Bindung verstärkt. Das Kind lernt, indem es v.a. die Eltern nachahmt, welche als Ergänzung die Aufmerksamkeit des Kindes lenken. Die Eltern-Kind-Beziehung ist jedoch nicht nur durch Aufmerksamkeitslenkung oder „priming“ charakterisiert. Eltern begleiten jede erlernte Aktivität des Kindes mit Resonanz: Sie reagieren auf jede Aktivität des Kindes mit liebevollen Gesten, mit zufriedenem Lächeln oder freudigem Ausruf. Zwischen Eltern und Kind entwickelt sich eine gestische- und schließlich eine erste lautliche Kommunikation. Aus Nachahmung wird so eine aus sozialem Lernen entstehende emotionale Kommunikation. Da schließlich unterschiedliche Glieder einer Gruppe nachgeahmt werden, entwickelt sich ein Netz aus emotionalen Beziehungen. Das Miteinander durch Sympathie und gelegentlich auch das Gegeneinander durch Antipathie wird in Zukunft den Zusammenhalt der Gruppe durch Empathie bestimmen. Neben Gewinn von Erfahrung, von Können und Wissen bedeutet imitierendes Lernen einen Schritt hin zur Entwicklung von Emotionen. Ihr Aufkommen wird nun das Zusammenleben in der Gruppe formen und gestalten. Beim imitierenden Lernen gemachte Erfahrungen, durch Imitation erworbenes Können und Wissen werden von Emotionen ergänzt, die ein neues Zusammenleben der Gruppe schaffen werden. Emotionale Intelligenz entsteht und macht aus einem Individuum eine andere Person, ein soziales Wesen, das sich an Anderen orientiert.
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