EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber
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Allesfresser zu werden offenbart einen Lernerfolg, eine frühe Form von mentaler Intelligenz. Die frühen Hominiden erkennen, wie sehr sie von der umgebenden Natur abhängig sind. Sie lernen ihre Situation zu verstehen. Mit einer Neuorientierung zum Allesfresser entscheiden sie sich, wenn auch noch unbewusst, gegen eine allzu große Wanderung oder zu viel Mobilität und ziehen eine umschriebene Verortung oder Zugehörigkeit zu einer Region vor. Der Allesfresser macht sich unabhängig von speziellen Angeboten. Er passt seine Bedürfnisse dem Umfeld an und nicht das Umfeld seinen Bedürfnissen. Er weist einen Weg für die kommenden 2 Millionen Jahre Entwicklung: Durch eine intelligente-, eine sogar unbewusst erahnte Neuorientierung zum Allesfresser mindern die frühen Hominiden ihre Abhängigkeit von Natur und Umfeld und betonen gleichzeitig deren nützliche Vielfalt. Der Hominide „versteht“ und beginnt zu „fühlen“, dass er von und mit der Natur leben muss. Der Hominide lernt und versteht, dass er von der ihn umgebenden Natur abhängig ist und diese bewahren muss.
„Organisation des Lebensunterhalts“ ist die ursprünglichste- und umfassendste Definition von Ökonomie, schreibt Marshall Sahlins in „Stone age economics“30. Die Wandlung der Hominiden zum „Allesfresser“ hat die „Organisation des Lebensunterhalts“ für aufkommende Hominiden erleichtert: Wer nach unterschiedlichsten Nahrungsmitteln greift und nur wenig ablehnt oder aussortiert, hat die Chance des Überlebens. Er organisiert seinen Lebensunterhalt „for use and not for exchange“, „for living and not for wealth“. Vom Umfeld lernen bedeutet einen ersten-, einen frühen- und v.a. einen beachtenswerten Schritt in der Menschheitsgeschichte, der etwa 2 Millionen Jahre später in eine Veränderbarkeit oder Machbarkeit des Umfeldes verändert wird und einen Konflikt auslösen wird, an dem wir heute leiden.
Diese Erkenntnis hat die archaischen Hominiden über fast zwei Millionen Jahre überleben lassen. Dann entdecken sie das Feuer und lernen auch dieses zu benutzen: In der Prärie wütende Feuer hinterlassen verkohlte Tiere. Daran gewohnt, auch von Kadavern zu leben, erkennen sie, dass vom Feuer gegartes Fleisch viel besser schmeckt als Reste von Kadavern. Sie erfahren weiter, dass gebratenes Fleisch viel länger haltbar ist als rohes Fleisch und werden in der Zukunft wieder die Fleischnahrung bevorzugen. Gebratenes Fleisch am Lagerfeuer wird zu einem gemeinsamen Erlebnis.
Nicht immer aber behält im evolutionären Ablauf seine Wichtigkeit, was früher einmal das Überleben sicherte: Aus einem Sammler und Jäger wird in Europa der Neandertaler oder europäische Homo erectus des Klimas wegen ein Jäger, der von vielen und großen Beutetieren wie Mammuts, wie Großkatzen, Hyänen und Bären lebt. Er hat sich, am Umfeld sich orientierend, vom Allesfresser zum Fleischkonsumenten zurück entwickelt und lebt von gejagten Tieren. Mit der Auswanderung des Homo sapiens aus Afrika vor ca. 80 000 Jahren und dessen Zuwanderung in Europa und anderen Regionen unserer Erde beginnt, wo immer der Homo sapiens hinkommt, ein fast weltweit zu beobachtender „overkill“ des Großwildes. Die sprachlich und auch handwerklich geschickteren Sapiens-Menschen übernehmen das Kommando und erobern sich die Jagdgebiete. Für die Neandertaler wendet sich das Jagdglück, die Beutetiere werden weniger und die Nahrung wird knapp. Eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten gelingt dem Neandertaler im eiszeitlichen Norden nicht. Der Homo sapiens jagt, der homo neandertalensis hungert und wird schließlich verschwinden oder sich den Sapiens-Menschen anschließen. Vor ca. 26 000 Jahren stirbt einer der Letzten seiner Art in einer spanischen Höhle. Wo am Anfang zur menschlichen Linie die Umstellung zum „Allesfresser“ das Überleben der archaischen Hominiden sicherte bedeutet die klimabedingte Orientierung zum Jäger und Fleischesser für den Neandertaler den Untergang und auch das Ende der archaischen Hominiden. Der bessere Jäger und Beutekiller und auch Pflanzen fressende Homo sapiens übernimmt die Jagdgründe des Neandertal-Menschen und verursacht ihren Untergang oder vermischt sich mit ihnen.
6. Nachahmung oder soziales Lernen.
Wer von Natur und Umfeld lernt benutzt deren Vielfalt als Angebot. Wer nachahmt will von jenen lernen, die auch in der Gruppe leben und miteinander das Leben in der Gruppe bestimmen. Wer nachahmt will v.a. von jenen lernen, die schon Erfahrungen gesammelt haben. Er will sehen oder hören was andere tun und wie sie es tun. „Learning to do an act from seeing it done“ ist eine prägnante Definition für Nachahmung. Nachahmung ist die älteste und wohl auch wichtigste Form des Lernens, ist Lernen als „trial and error“, ist Lernen als Spiel. Nachahmung ist auch in der Individualentwicklung die früheste Form des Lernens. Imitierendes Lernen ist in der biologischen Welt früh verankert: Vogelküken beobachten ihre Eltern, wie sie vom Nest wegfliegen und versuchen es schließlich selbst. Ist ihr Versuch nun Instinkt oder durch Nachahmung erlerntes Verhalten? Nicht immer haben wir darauf eine Antwort. Junge Säugetiere spielen und raufen miteinander, erwerben sich Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit und Selbstsicherheit im Umgang. Die erfahrenen Alten stehen daneben und beobachten, was die Jungen noch zu lernen haben. Imitierendes Lernen ist Beobachtung durch den Lernenden, ist Übung des Beobachtenden durch „trial and error“ und ist früh schon verbunden mit einer Demonstration durch den Lehrenden, ist Lernen durch Prägung. Imitierendes Lernen durch eine von neuronaler Kontrolle gelenkte motorischen Intelligenz erhält bei Säugetieren und Primaten eine besondere Wichtigkeit und wird von Hominiden übernommen und erweitert.
Imitierendes Lernen lebt von Beobachtung und Prägung. Auch Beobachtung aber muss gelernt werden. Wer beobachtet muss wissen, was beobachtet werden soll. Was beobachtet wird ist abhängig vom mentalen Entwicklungsgrad eines Menschen. Beobachtet werden zunächst Objekte, mit denen der Hominide sich beschäftigt und spielt. Formen, Konsistenz oder Farben charakterisieren das Objekt und werden irgendwann auch über seinen handwerklichen Gebrauch entscheiden. Beobachtet werden Ereignisse. Man will wissen, wie Andere mit den Objekten umgehen, wie sie sich bewegen, spielen, singen etc. Beobachtet werden auch Ziele: Für angehende Jäger und Sammler ist es wichtig zu beobachten, welche Tiere gejagt werden, welche Pflanzen oder Beeren gesammelt werden und welche gefährlich oder giftig sind. Objekte, Ereignisse, Handlungsziele machen neugierig, werden beobachtet und gelernt, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein. Ob die Hominiden sich des Beobachtens oder Nachahmens schon bewusst waren, wissen wir nicht. Wenn Kinder in der Individual-entwicklung beobachten, nachahmen und lernen, so geschieht dies spielend und ohne besondere Aufmerksamkeit oder Bewusstheit. Mentale Intelligenz ist ein prozesshaftes Geschehen in der Evolution und auch in der Individualentwicklung des Menschen. Wann in der mentalen Evolution zum Menschen zum ersten Mal bewusst erlernt wurde, wissen wir nicht und auch nicht welches Bewusstsein welchen Lernschritt begleitet. Auch Bewusstsein ist ein Entwicklungsprozess vom Gefühl zum Verstand.
Parallel zum Beobachten der Kinder benutzen tierische- und menschliche Eltern für ihre Kinder die „Aufmerksamkeitslenkung“ oder das sog. „Priming“. Durch Deutung, durch Kopfwendung oder durch Benutzen von Lauten oder Namen werden Kinder auf etwas aufmerksam gemacht. „Objekt-priming“ macht auf Objekte aufmerksam, „Goal-priming“ auf Handlungsziele. Die Aufmerksamkeitslenkung oder das „Priming“ kann von Emotionen oder Gefühlen und so bereits vorhanden auch vom Verstand gelenkt werden. In welcher Form es beim Beobachten und Lernen der frühen Hominiden eingesetzt wurde wissen wir nicht. Da schon Tiere die Neugier ihrer Kinder lenken, wird „Priming“ auch das Nachahmen der frühen Hominiden begleitet haben. Die Psychologen R. Byrne und A. Russon 36 unterscheiden schließlich nochmals zwei zum Ziele führende Aktionen, welche das Lernen stimulieren. Sie unterscheiden eine „action level imitation“, in welcher die manuelle Form der Aktivität beobachtet wird und eine „program level imitation“, mit welcher die Intention oder die Absicht einer Handlung hinterfragt wird. Bei „program level imitation“ aber geht es um mehr