EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber

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EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN? - Albert Helber Mentale Evolution und menschliche Geschichte

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Geschichten werden beschrieben: Charles Darwin beschreibt eine Geschichte des Entstehens, beschreibt eine „Evolutionsgeschichte“, aus der auch der Mensch mit seiner anthropologischen Evolution hervorgeht. In unserer abendländischen Vorstellung ist kognitive Intelligenz das uns vom Homo sapiens überlassene- und uns Menschen charakterisierende Erbe. Es macht uns Menschen zu etwas Besonderem in der biologischen Evolution. Die Weitergabe von Gedanken und Ideen von Mensch zu Mensch schafft eine zweite-, eine Kulturgeschichte des Menschen. Ist Hararis „Kurze Geschichte der Menschheit“ 2 eine Kulturgeschichte, zumal eine „kognitive Revolution“ diese Geschichte einleitet? „Kognitive Intelligenz“, Gedanken und Ideen bewirken die schöpferische Intelligenz des Menschen. Bestimmen schöpferische Intelligenz, bestimmen Gedanken und Ideen aber auch das menschliche Verhalten? Zweifel sind angebracht: Der Homo sapiens steht am Ende einer biologischen Entwicklungsreihe und beschenkt uns mit Gedanken und Ideen, deren eventuelle Auswirkungen auf die menschliche Geschichte wir heute erst erahnen. Zuvor haben die Hominiden in Millionen Jahren ein Verhalten entwickelt, das ihnen ein Überleben in einem wechselnden Umfeld ermöglicht. Eine Analyse der Entwicklung des menschlichen Verhaltens, eine „mentale Evolution“ des Menschen und deren Auswirkungen auf seine Geschichte versuche ich in einer „Mentalgeschichte des Menschen“ zu analysieren. „Evolutionsgeschichte“, „Kulturgeschichte“ und „Mentalgeschichte“ haben einen jeweils anderen Ausgangspunkt und auch eine unterschiedliche Zielorientierung.

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      Seit Darwins Evolutionslehre wird der Mensch zu einem Objekt der archäologischen Anthropologie. In vielen Regionen unserer Erde werden unterschiedlich erhalten gebliebene Schädel- und Skelettreste von Hominiden oder vom Homo sapiens ausgegraben. Erstmals werden Entwicklungslinien des Menschen diskutiert. Aus Veränderungen der Schädelform oder anderer Skelettreste erstellt die archäologische Forschung einen Stammbaum des Menschen, vom vierfüßigen Primaten ausgehend, über den auf zwei Beinen gehenden aufrechten Australopithecus und den hominiden Greifern Homo habilis oder Homo erectus schließlich zum Homo sapiens führend. Auch beobachten die Archäologen immer wieder Skelettreste, die sich der angesprochenen Entwicklungsreihe entziehen, zu Seitenlinien führen und aus der historischen Forschung unzugänglichen Gründen verschwinden. Dass auf der Erde lebende Tierarten oder Hominiden untergehen und für immer verschwinden können ist ein Ergebnis archäologischer Forschung.

      Bestätigt wird der archäologisch entwickelte Stammbaum zum Homo sapiens schließlich durch eine in den letzten Jahrzehnten möglich gewordene Altersbestimmung entdeckter Skelettreste. Das Alter der Schädel- und Skelettreste wird mit deren formalen Veränderungen verglichen und so ein Stammbaum erstellt. Aus archäologischen Befunderhebungen und deren zeitlicher Einordnung entsteht so der Stammbaum des modernen Menschen, oder jener Stammbaum, wie er den heutigen Vorstellungen der Wissenschaft entspricht. Was dieser Stammbaum nicht liefern kann sind historisch gesicherte Hinweise auf ein unterschiedliches Verhalten der Zwischenglieder des menschlichen Stammbaums und dessen Lenkung durch mentale Fähigkeiten. Die Archäologie kann aus der Zunahme des Schädelumfanges oder aus der Ausweitung des Schädelinnenraumes ein kontinuierlich größer werdendes Gehirn vom nichtmenschlichen Primaten zum Homo sapiens erkennen oder kann diese Zunahme der Hirngröße durch vergleichende Untersuchungen an Tier und Mensch bestätigen. Sie kann aber nicht auf mentale Fähigkeiten oder mentale Entwicklungsschritte der Zwischenglieder des menschlichen Stammbaums verweisen.

      Archäologische Spurensuche des Menschen ist eine wichtige Spezialität der Anthropologie, doch ist moderne Anthropologie eine interdisziplinär-, v.a. eine multidisziplinäre Wissenschaft. Jede wissenschaftliche Disziplin liefert ihren Beitrag und erst in der Zusammenschau entsteht ein reales Bild der Menschwerdung: Die Archäologie liefert mit ihren Befunden einen frühen Beweis für die Evolution des Menschen und mit ihren Befunden an unterschiedlichen Orten unserer Erde Beweise für frühe Wanderungen des Menschen. Die Verhaltensforschung an Tieren6 und an nichtmenschlichen Primaten 7,8,9,10,11,12 offenbart jenes biologische Fundament an mentalen Fähigkeiten, auf denen der Sonderweg zum Homo sapiens beginnt und sich fortsetzt. Während die Verhaltensforschung an Tieren einen Ausgangspunkt der mentalen Evolution zum Menschen analysiert, liefern Verhaltensanalysen des Menschen deren Endpunkt. Die Entwicklungspsychologie von Individuen beobachtet, wie sich evolutionäre Entwicklungsschritte in der individualpsychologischen Entwicklung in rascher Folge wiederholen. Schließlich beschreibt die Ethnologie das Leben indigener-, von der Moderne noch wenig veränderter Gruppen. Heutige indigene Gruppen sind zwar Sapiens-Menschen, doch sind ihre Gemeinsamkeiten ein wichtiger Hinweis auf genetisch erworbene-, von Kultur noch unbeeinflusste Verhaltensweisen. Auch die Genetik liefert mit der Entwicklung der biologischen Uhr im mitochondrialen Genom für die Evolution wichtige Befunde13 . Für im Genom feststellbare Veränderungen wird eine zeitliche Zuordnung möglich. Am Leipziger Forschungsinstitut für Anthropologie ist aus Knochenmaterial erstmals ein Neandertal-Genom analysiert worden 14. Der Autor dieses wichtigen Unternehmens Päabo aber schränkt ein: „Genetische Analysen an noch älteren Skelettresten werden immer schwieriger“ und genetische Aussagen für menschliches Verhalten sind unsicher: „Wir wissen so gut wie nichts darüber, wie ein Genom in die Besonderheiten eines werdenden Individuums umgesetzt wird“. Schließlich liefert die Neurophysiologie über vergleichende Analysen des Gehirns an unterschiedlichen Primaten oder an Untersuchungen an Neugeborenen bis ins Alter wichtige Entdeckungen zur Entwicklung, zumal die Embryonalentwicklung des Menschen diesen mit seiner biologischen Evolution verbindet15. Der Mensch ist ein Produkt der Evolution. Für diese Erkenntnis erhielten am 10. Dezember 1973 die Ethologen Konrad Lorenz, Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Physiologie und Medizin. Für ihre Studien an Vögeln, an Bienen und an Fischen wurden Verhaltensforscher von Tieren geehrt, deren Ergebnisse weitreichende Parallelen zu menschlichem Verhalten offenbarten. Es wurden Verhaltensforscher gewürdigt, die eine neue Wissenschaft der „Ethologie“ begründeten 6. Ihr Ziel ist die biologische Grundausstattung menschlicher Psychologie zu betonen: Für Ethologen ist der Mensch in seinem Verhalten genetisch gelenkt, doch ermöglichen ihm auch biologisch entstandene Strukturen zu lernen und zu variieren. Für Ethologen ist die Darwinsche Theorie der Evolution die Basis, mit welcher allein das menschliche Verhalten erklärt werden kann. Der Mensch ist ein der biologischen Evolution entsprungenes-, ein über Jahrmillionen werdendes Wesen, ist genetisch gelenkt und, von Genetik ausgestattet, fähig zu lernen und zu entscheiden.

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      Biologische Fähigkeiten der Energie-, der Stoffwechsel-oder der Fortpflanzungskontrolle hat der Mensch alle von seinen biologischen Vorfahren der Säuger übernommen. Auch seine mentalen Fähigkeiten sind Produkte der biologischen Evolution. Was den Menschen zum Homo sapiens macht sind schließlich mentale Fähigkeiten, die er von Primaten übernimmt und in der Evolution vom nichtmenschlichen Primaten zum Homo sapiens weiterentwickelt. Viele Schritte mentaler Fähigkeiten - vom Reagieren zum Handeln, vom Kurz- zum Langzeitgedächtnis, von der Neugier zur Aufmerksamkeit, von Emotion zum Gefühl, vom Gefühl zum Verstand, von Gedanken zu Ideen, von der Zugehörigkeit zur Gruppe zum individuellen Selbst, von emotionaler- zu kognitiver Intelligenz und schließlich vom Nichtbewusstsein zum Bewusstsein - haben diese mentale Evolution geformt. Sie übernimmt Funktionen von evolutionären Ahnen, verändert sie und entwickelt Neues. Viele aufeinander aufbauende Stufen der Entwicklung menschlicher Mentalität münden schließlich in ein Verhalten, das den Sapiens-Menschen lenkt, unsere individuelle Entwicklung und schließlich menschliche Geschichte formt. Diese Entwicklung nach zu zeichnen ist eine Herausforderung, zumal die Evolution zum Menschen, v.a. seine mentale Evolution, jene Basis liefert, die heute unser Verhalten lenkt.

      Eine Zusammenfassung der Ergebnisse von Verhaltensforschern an Tieren oder nichtmenschlichen Primaten, von gemeinsamen ethnologischen Befunden an über die Erde verteilten indigenen Gruppen, von Befunden aus Neurophysiologie, aus Genetik und aus Archäologie liefert eine Menge an Daten, die eine Analyse der mentalen Evolution des Menschen ermöglichen. Die Ethologie der letzten 50 Jahre beweist eine schrittweise Entwicklung menschlicher Mentalität ausgehend von Trieben und Instinkten, über zusätzliches Lernen von Emotionen bis zu einer emotionalen- und schließlich einer kognitiven Intelligenz. Diese mentale Evolution spiegelt sich wiederum in der

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