Gulligold - Serienmorde in Münster. Michael Wächter
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„Wie geht es ihnen?“, fragte sein Chirurg, der auf Visite vorbeikam.
„Gut“, sagte Hans, „bis auf Schmerzen beim Stuhlgang.“
„Das ist verständlich nach so einem Eingriff!“, entgegnete sein Operateur. „Sie hatten inkarzinierte Hämorrhoiden, die wir operativ eliminiert haben. Aber ihre Defäkation ist wieder initiiert und refunktionalisiert!“
Hans schmunzelte. „Wozu dieses Fachchinesisch?“, dachte er, „Gut dass ich weiß, dass das heißt: Gewebe am Darmausgang entfernt, Stuhlgang wieder möglich und in Gang kommend.“
Schließlich ging das Ärzteteam wieder. Hans lehnte sich zurück ins Kissen. Sein Handy vibrierte. Das Kommissariat war dran. Meier-zu-Brokenhoff ersehnte wohl seine Rückkehr.
Bernd Berendsen war wieder auf Tour. Der Abend mit den beiden Studentinnen war noch lang geworden – junge „Dinger“, die von einem Leben als Starreporterinnen träumten. Wie naiv und idealistisch die doch alles sahen! Doch sie sahen auch toll aus, besonders die Blonde! Aber sie war pfiffig, und Bernd konnte sich gut vorstellen, dass sie nach ihrem Praktikum von der Bildzeitung übernommen werden würde.
Inga, die Rothaarige, war anders. Sie war keine Jägerin auf der Jagd nach Beute, Infos und Stories. Sie war der Typ Analytikerin. Berendsen war sich sicher, dass sie eher in der Forschung stranden würde, als Metallurgin oder Ingenieurin. Aber diese Lilly …
Sein Kopf meldete sich. Jetzt brauchte er eine Aspirin. Oder einen Grog. Und eine steife Brise, wie es sie nur im Norden gab. Er musste wieder auf die Autobahn.
Aspirin. Nicht Grog. Bevor es auf die Autobahn ging, wollte er lieber einen klaren Kopf haben.
Als Hans damals das erste Mal zu mir gekommen war, fragte ich mich: „Wen habe ich da vor mir sitzen?“. Mein Blick ging vom kalt gewordenen Earl-Grey-Tee hinüber zu ihm. Er war ein stattlich gebauter, großer Mann mit freundlichem Lächeln. Trotz seiner Größe ging er gebeugt, zog die Schultern vor und senkte das Haupt. Er wohnte in Hiltrup. Von Beruf war er Physik-Lehrer.
„Ich bin wie ein verdurstendes Mauerblümchen, das im Schatten vegetiert und nach Wasser und Sonne lechzt“, hat er sich in seiner Erzählung kurz beschrieben. Selbstmitleid? Depressionen? Erin Trauma? Ich wollte ihm helfen, wieder die Augen zu öffnen, um die Sonne der Freude im Leben zu sehen, und die Wurzeln wieder zu beleben, um das Durst stillende, klare Bergwasser aufsaugen zu können, dass seine verdurstende Seele vermisste.
Hans Haferkamp schrieb ich damals auf seine Patientenakte. Seine Entwicklung, sein Werdegang und seine Therapie bis hin zu einem neuen, glücklich-befreiten Leben waren so ungewöhnlich, dass er mich bewegte und immer mehr fesselte. Daher entschloss ich mich später auch, dieses Buch zu schreiben – die Erzählung davon, wie Patient Hans Haferkamp nach einer Scheidung ein neues Leben begonnen hat und die Verstrickung seiner Seele in das depressive Dunkel überwand. Fast ganz ohne meine Hilfe. (Denn Sie wissen ja vielleicht: Dass sich ein Mensch an seinem eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht, in den er gefallen ist, das ist physisch und physikalisch unmöglich. Psychisch jedoch gibt es da Möglichkeiten: Einen „Baron-von-Münchhausen-Effekt“ in Gang zu setzen, denke ich, das wäre in der Verhaltenstherapie ein durchaus lohnenswertes Unterfangen, wenn es um Depressionskrankheiten geht. Man muss mit dem Patienten halt nur den Arm trainieren, der den Zopf greifen muss, um dem trüben Sumpf zu entkommen! Beim Patienten wird so eine Selbstheilung möglich – eine Operation, bei dem der Therapeut mit in den Sumpf fassen muss, ist somit überflüssig. Den „Sumpf“ überlasse ich daher lieber dem Kommissar, den ich damals schließlich mitbehandeln musste, einige Monate nachdem er auf der Hochzeit seines Freundes „aus dem Verkehr gezogen“ wurde).
Kriminalkommissar Heveling war wieder im Dienst. Als er den Stapel alter Ermittlungsakten durchgearbeitet hatte, machte er sich auf den Weg zu Meier-zu-Brokenhoff. Auf dem Gang traf er Simon. Kollege Simon war immer guter Laune. Heveling mochte seine aufmunternde Art – gerade jetzt, wo er zum Chef musste. Simon war da ein guter Weggefährte. Wie der Seelsorger auf dem letzten Gang mit dem Delinquenten zum Henker.
„Hey Martin!“, strahlte er von weitem. „Auf dem Weg zum Chef? Kopf hoch! Kennste den? Sagt der Kollege von der Verkehrskontrolle: Sie sind gerade mit 65 durch eine 30’er-Zone gefahren! Antwortet die Rentnerin: Aber Herr Wachtmeister! Sie Charmeur! Ich bin doch schon 81!“.
„Geil!“, schmunzelte Heveling.
„Oder den? Sagt der Kollege von der Autobahnpolizei im OP: Ich habe heute einen Geisterfahrer getroffen. Er war sehr entgegenkommend!“
„Noch besser!“, lachte Heveling.
„Oder den? Sagt der Kollege von der Sitte: Sie sind aber heute …“
„Simon, Sorry, wir sind da! Ich muss jetzt rechts abbiegen. Zum Chef!“, unterbrach ihn Heveling.
Der Weg zu Meier-zu-Brokenhoff war immer ein steiniger Weg, obwohl der Aufzug sanft hochfuhr und der Linoleumboden im Flur des Kommissariats frisch gewischt und gebohnert war. Es war ein steiniger Weg für Heveling, und ihm war, als ginge er barfuß durch ein ausgetrocknetes Bachbett voll kleiner, spitzer Kieselsteinchen. Diese pieksten und stachen an den Fußsohlen, und als Heveling dann an der Tür von Meier-zu-Brokenhoff geklopft hatte, da hatte er den Eindruck, als sei der Bach eiskalten Gebirgswassers in Form einer Sturzflut das Bachbett hinab gekommen, das er mühsam erstiegen war.
„Heveling, kommen sie rein!“, rief Meier-zu-Brokenhoff barsch durch die noch geschlossene Tür seiner Amtsstube. „Was haben sie inzwischen an Ergebnissen?“
„Guten Morgen, Chef!“, versuchte Martin ihn beim Eintreten anzulächeln, doch Meier-zu-Brokenhoffs versteinertes Gesicht ließ sein Lächeln erfrieren.
„Guten Morgen, Heveling. Gibt es neue Ergebnisse?“, hakte Meier-zu-Brokenhoff nach.
„Chef, ich …“, wollte Martin beginnen, doch der nicht gerade schlanke Meier-zu-Brokenhoff stand aus seinem Sessel auf, ging auf Kriminalkommissar Heveling zu und nahm ihm den Stapel Ermittlungsakten ab.
„Zeigen sie mal!“, schnaufte er, begab sich mit seiner ganzen Leibesfülle und dem Stapel Akten zum benachbarten, leeren Schreibtisch und schien beides krachend auf der Tischplatte abzuladen.
„Gern…“, konnte Martin Heveling noch nachschieben, doch Meier-zu-Brokenhoff griff schon die erste Akte heraus und nahm unter lautem Vorlesen die anhaftende Notiz zur Kenntnis.
„Vermisstenanzeige Mühlmann“, murmelte er, „ABD-Angestellte, vermisst, Spuren erfolglos geprüft, Suche einstellen.“
Kriminalhauptkommissar Meier-zu-Brokenhoff drehte sich um, sah Heveling an und schien noch förmlicher, noch dienstlicher zu werden, als er es ohnehin schon war.
„Herr Heveling! Meine Notiz vor ihrer OP war eine ironische Frage! Eine rhetorische Frage, ob sie die Suche wirklich tatsächlich vorläufig einstellen wollen – keine Dienstanweisung, den Fall zu den Akten zu nehmen! Ich kann der Staatsanwaltschaft doch nicht melden, dass wir dieses Jahr vier Mord- und Vermisstenfälle haben, die von ihnen erfolglos bearbeitet und nun eingestellt worden sind!“
„Chef,