Das Lächeln von Kleopatra. Albert Morava

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Das Lächeln von Kleopatra - Albert Morava Die Flucht

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herrschte dichter Nebel, der sich nur langsam lichtete; einige graue Krähen hüpften vor dem Fabrikeingang herum, auf der Suche nach Nahrung.

      An der Tür klopfte es und Nina, die Putzfrau, trat herein, mit einem trockenen Wischtuch in der Hand.

      "So ein Nebel", sagte sie. "Trotzdem wird jetzt das Fenster geputzt".

      "Der Nebel kommt aus Russland ", meinte Jan.

      "Unsinn! Nur bei uns in der Ukraine kommt der Nebel aus Russland. In Prag kommt der Nebel aus Deutschland."

      "Von der Meteorologie her mag es stimmen ", gab Jan zu und runzelte leicht die Stirn.

      Trotz der Kälte draußen war es im Zimmer warm, Nina hatte einen leichten, grauen Arbeitskittel an, mit zwei großen Taschen. In der linken Tasche, die etwas ausgebeult war, schien sie etwas zu verbergen.

      Sie trat resolut ans Fenster heran und machte Anstalten, es aufzumachen. Mit einer kräftigen Handbewegung wischte sie Tamaras Namen lachend weg. Der Wischlappen wurde nass . Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, stützte sich mit den Hüften am Fensterrahmen ab und öffnete das Fenster. Sie hatte muskulöse, leicht behaarte Waden und trug keine Kniestrümpfe. Energisch wischte sie das Fensterglas von beiden Seiten ab bis es richtig blank war.

      "So", sagte sie, "jetzt blickst du wieder durch".

      "Tja", sagte Jan, "Ihren Durchblick möchte ich haben. Was haben Sie eigentlich in der Tasche, stört es nicht beim Arbeiten?"

      "Ein Geschenk von dem jungen Mann nebenan", sagte sie stolz. "Einen Remington! Zwar gebraucht, aber er funktioniert. Wir haben ihn soeben ausprobiert."

      Sie zog den Rasierapparat aus der Tasche und schaltete ihn ein; leise und zufrieden summte er wie eine glückliche Katze.. Sie stellte ihr linkes Bein auf einen Stuhl und fuhr damit mit einer liebevoll-sinnlichen Bewegung über ihre Wade. Der Kittel verrutschte und öffnete sich in der Mitte. Jan schaute verlegen weg.

      "Mein Sohn kann ihn brauchen", sagte sie "und du auch." Mit einer beiläufigen, mütterlich anmutenden Handewegung strich sich über Jans Stoppelkinn. " Und der Junge nebenan hat jetzt einen neuen".

      "Nat?"

      "Ja. Der Dunkelhaarige. Der andere ist ja noch nicht da, der Blonde."

      "Kommen Sie morgen ! Der hat sicher auch was zu verschenken."

      "Was?"

      "Vielleicht eine Jeans."

      "Jeans? Mein Sohn würde sich freuen."

      Sie steckte den Rasierapparat in die Tasche, machte die Tür auf und verschwand.

      Im Nebenzimmer verstummten die Remingtongeräusche. Nat, der ebenfalls von der Schauspielerei träumte, übte sich jetzt im Rezitieren von Gedichten aus einem seiner Lieblingsbücher. Mit heiterer, sonorer Stimme deklamierte er:

       Das Mondschaf steht auf weiter Flur.

       Es harrt und harrt der großen Schur.

       Das Mondschaf.

       Das Mondschaf rupft sich einen Halm

       und geht dann heim auf seine Alm.

       Das Mondschaf.

      Nat liebte dieses tragikomische Scherzstück aus der Galgendichtung von Christian Morgenstern. An seiner Seelenverbundenheit mit dem Dichter war nicht zu zweifeln. Und die große Schur passte irgendwie auch zu seinem Remington. Nach den ersten zwei Strophen wurde seine Stimme tragisch:

       Das Mondschaf spricht zu sich im Traum:

       "Ich bin des Weltalls dunkler Raum."

       Das Mondschaf.

       Das Mondschaf liegt am Morgen tot.

       Sein Leib ist weiß, die Sonn' ist rot.

       Das Mondschaf.

      Er räusperte sich und klappte das Buch zu. Draußen ging endlich eine kühle, gelbe Sonne auf, der Nebel hatte sich gelichtet. Jan hörte dieses Gedicht nicht zum ersten Mal, er kannte es bereits.

      ********

      Im Nationaltheater seiner Kleinstadt wurde in seiner frühen ein Gastspiel eines der kleinen Theater Prags aufgeführt: die Galgendichtung des Münchner Poeten Morgenstern - darunter Das Mondschaf.

      ( Morgenstern galt in seiner Zeit als sozialkritisch und starb später an Tuberkulose. Seine Galgendichtung wurde mit der Tonkulisse von Händels barocker Musik präsentiert. Im Anschluss auf die Rezitation wurde die Entstehung und die handwerkliche Herstellung verschiedener Arten von barocken Streichinstrumenten erklärt.

      Zu Morgensterns Poesie wurde angemerkt, dass diese Poesie in Nazi-Deutschland als unerwünscht galt, da Morgenstern im Verdacht war, jüdisches Blut zu haben. Dieses Blut konnte nicht nachgewiesen werden. )

      Die roten Plüschsessel im Saal waren so bequem, dass sie zum Einschlafen verführten. Das war auch einem von Jans Professoren passiert, der sogar zur Belustigung der Schüler während der Vorstellung einschlief und schnarchte.

      In der Pause flanierten die Schüler und die Professoren beiderlei Geschlechter im Foyer des Theaters, allesamt festlich angezogen.

      Insbesondere fiel dabei eine noch junge Lehrerin auf, die wie ein Bild von Modigliani aussah, und einen spanischen Nachnamen hatte. Sie trug als einzige eine extravagante, lange rote Robe. Sie unterrichtete Latein und Französisch. Verheiratet war sie mit einem großen, bullig wirkenden Arzt mit schaufelähnlichen Händen und dem Gesicht einer Bulldogge. Doch möglicherweise war er sogar ein sensibler Mann und unbestreitbar erfolgreich als Gründer des lokalen Fußballvereins.

      Das Gedicht wurde von Morgenstern auch in recht einfacher, lateinischer Fassung mit dem Titel Lunovis geschrieben und die langhaarige Lateinlehrerin trug es später ihren Schülern in einer ihrer Unterrichtsstunden vor. Die Botschaft wurde von keinem ihrer Kollegen verstanden.

      Irgendwann versuchte diese Lehrerin, sich das Leben zu nehmen. Ihre Ehe wurde geschieden, sie wurde versetzt und verließ die Stadt. Die Stelle wurde lange nicht nachbesetzt. Das Mondschaf in beiden Fassungen blieb für immer in Jans Gedächtnis.

      2 Pogrom

       Jans Vater, der als parteiloser Arzt in seiner Heimatstadt praktizierte, hatte die Galgendichtung in seinem Bücherschrank; sie stand dort in einer Eintracht neben Adolf Hitlers Mein Kampf. Dieses Buch wurde Jans Eltern im Jahr 1944 zur Vermählung von der deutschen Reichsverwaltung der Stadt geschenkt, allerdings musste das Brautpaar vorher durch entsprechende Nachforschungen nachweisen, dass unter den Vorfahren der Familie keine Juden waren. Juden wurden keine gefunden, Jan war kein Jude. Bei ihm zu Hause waren die Juden so gut wie nie ein Thema gewesen, nur gelegentlich wurden sie

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