SPQR - Der Fluch der Mumie. Norbert Wibben

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für einen neuen Versuch, so drückte sie sich aus. Sie meinte, allein durch seine Anwesenheit im Bus bedroht zu werden. Sie hoffte, auf der Polizeistation, anders als von der im Kaufhaus zu Hilfe gerufenen Polizei, ernst genommen zu werden. Deshalb suchte sie die Dienststelle in Kirchdorf auf und erstattete dort eine Strafanzeige. Das habe ich in dem Telefonat mit dem Nachbarn herausbekommen.«

      Mit einem schnellen Seitenblick forscht er nach einer Reaktion in Inges Gesicht. Die bleibt nicht aus. Ungläubiges Erstaunen drückt sich auch in ihrer Frage aus.

      »Sie konnte es also nicht lassen? Dabei hatte ich ihr dringend abgeraten, eine Anzeige zu erstatten.«

      »Aha. Dann habe ich richtig vermutet. Diese Frau …«

      »Annegret Heil«, ergänzt Inge.

      »… genau, so heißt sie. Sie ist demnach diejenige, weshalb du zum Kaufhaus gerufen wurdest. Das hatte ich mir nach dem Durchlesen deines Berichtes gedacht. – Wie schätzt du es ein, könnte Murat Osakin ihr gefolgt sein? Welchen Eindruck hattest du von ihm, wäre das denkbar?«

      »Für seine Anwesenheit im Bus kann es verschiedenste Gründe geben, die nichts damit zu tun haben, was diese Frau vermutet. – Er studiert als ausländischer Student ein Semester im Austauschprogramm. Ich glaube ihm, dass er durch den Einkaufstrolley beinahe zu Fall gebracht worden ist. Das haben auch diverse Zeugen bestätigt. – Die gute Frau hat sich offenbar total in ihre Abneigung Fremden gegenüber verstiegen! Warum sollte er sie verfolgt haben? Dass er einen erneuten Raub versuchen wollte, halte ich für ausgeschlossen. Das kann ich mir nach meinem Eindruck von ihm nicht vorstellen. Ist es nicht eher wahrscheinlich, dass er einfach den gleichen Bus genommen hat? Annegret Heil hat sich vermutlich unnötig geängstigt.«

      »Das werden wir hoffentlich klären. – Was studiert dieser junge Mann denn? Und woher stammt er?«

      »Das ist doch unerheblich!«

      Inges Antwort klingt energischer als von ihr gewollt. Sie denkt kurz an die Aussage der Frau von gestern zurück, die offensichtlich ein Vorurteil gegen Fremde hat.

      »Ich bin heute wohl noch nicht so richtig auf dem Damm«, entschuldigt sie sich sofort. »Annegret Heil hat vermutlich ein Problem mit Ausländern, so sieht es für mich jedenfalls aus. Und das habe ich dir unbewusst auch unterstellt … Bitte vergiss das. Sie war wortwörtlich der Meinung, dass Täter von der Polizei geschützt würden, anstatt diese außer Landes zu verweisen. – Ich habe Murats Ausweis gesehen, er stammt aus Ägypten. Er studiert an der Hochschule Wismar ein Semester im Studiengang Verfahrens- und Umwelttechnik.«

      »Die betreiben auf Poel eine Außenstelle. Da wäre es doch denkbar, …«

      »… genau, dass er mit dem Bus auf die Insel fahren musste. Falls er kein Auto oder Fahrrad besitzt.«

      »Anwar! Wach auf!«

      Ein junger Student richtet seine zusammengesunkene Gestalt auf. Er reibt sich erschrocken die Augen und blinzelt in helle Sonnenstrahlen. Aus dieser Aura strahlenden Lichts tritt ein älterer Mann in weißem Kittel auf ihn zu. Der Laborleiter des Außeninstituts der Wismarer Hochschule, Arnulf Mirkow, grinst den aufgeschreckten Jüngling mit erhobenem Zeigefinger an.

      »Du hast vermutlich eine anstrengende Nacht hinter dir. Oder welchen Grund gibt es sonst dafür, dass du mitten in einem Versuch einschläfst?«

      Der Student sucht angestrengt nach einer Erklärung. Dass er einen durchzechten Abend verbracht haben könnte, wäre eine Möglichkeit. Doch das könnte er nicht mit seinem Glauben vereinbaren. Dem freundlichen Laborleiter die Wahrheit zu gestehen, und von der Ursache des schlechten Schlafs zu berichten, erscheint Anwar jedoch keine erstrebenswerte Alternative zu sein. Deshalb nickt er nur und stellt eine schuldbewusste Miene zur Schau.

      »Ich habe einfach nicht geschlafen«, antwortet er in recht gutem Deutsch. Arnulf Mirkow lächelt verstehend und schlendert weiter zu den anderen Versuchsaufbauten.

      Anwar studiert an der Hochschule Wismar ein Semester als ausländischer Student im Austauschprogramm. Er führt im Studiengang Verfahrens- und Umwelttechnik auf dem Gelände des Lehr- und Forschungsstandortes Malchow Versuche durch. Das befindet sich auf der Insel Poel. Hier sammelt und untersucht er zusammen mit anderen Studierenden Pflanzen des Strandbewuchses. Dazu gehören ebenso angespülte Algen, die getrocknet zu Dämmmaterial für Häuser verarbeitet werden sollen. Seegras konnte sich inzwischen zu einem zugelassenen und zertifizierten Dämmstoff mausern, warum nicht auch weitere Gewächse?

      Anwars Gedanken driften kurz ab. Es war in der ersten Woche nach seiner Ankunft in Wismar gewesen. Er hatte sich zu einer Sammelaktion gemeldet, obwohl noch Semesterferien waren. Er brannte darauf, schnellstmöglich mit seinen Forschungen zu beginnen. Um sich mit anderen Studenten austauschen zu können, beabsichtigte er, sein Deutsch zu verbessern. Die Alternative, sich über Englisch zu unterhalten, wäre zwar möglich, aber für seinen Aufenthalt in diesem Land vermutlich nur in der Hochschule oder dem Außeninstitut angebracht. Anwar wollte sich im täglichen Leben, bei Einkäufen und auch sonst in seiner Freizeit, in der Landessprache verständigen können. Weil sich sein Äußeres mit einer nur unwesentlich dunkleren Hautfarbe kaum von den Einheimischen unterscheidet, will er nicht durch seine Sprache auffallen. Er hatte in der Vergangenheit darüber berichten hören, dass es in manchen Landesteilen durchaus Fremdenfeindlichkeit gibt. Ihm ist das bisher nicht widerfahren. Er fühlt sich vielmehr in der Küstenstadt und nicht nur von den anderen Studenten, herzlich aufgenommen, zumindest von den meisten.

      Anwar richtet seine Gedanken zurück auf seine Ankunft. Der Winter war angeblich äußerst mild, doch ihm kam es so vor, als wäre er am Nord- oder Südpol gelandet. Jedenfalls stellte er sich die Temperaturen dort so ähnlich wie die zu diesem Zeitpunkt an der Küste der Ostsee vor. Er weiß noch, dass er sich zuerst wunderte, warum das Meer, an dem er sich jetzt aufhält, hier so genannt wird. Er kannte es bisher nur unter der Bezeichnung »Baltic Sea«.

      Anwars Gedanken beschäftigen sich mit der ersten Wanderung am Küstenstreifen. Er fühlte sich durch den feinen Sand unerwartet zurück in seine Kindheit versetzt. Szenen vergangener Tage blitzten auf. Er besuchte damals zusammen mit dem Vater die Ausgrabungsstätten im Tal der Könige. Er erinnert sich, dass er versuchte, einen Hügel hinaufzukommen. Das war wegen des rutschigen Untergrundes unmöglich.

      Er schüttelt unbewusst den Kopf. Dass diese Bilder die Ursache für seine schlechte Nachtruhe sein könnten, leuchtet ihm nicht ein. Das sind glückliche Jahre gewesen, warum sollten sie heute seinen Schlaf beeinträchtigen? Begann das nicht erst im Anschluss an einen Besuch in einem Museum in Berlin?

      Anwar runzelt die Stirn und versucht, sich an jedes Detail zu erinnern. Er hatte etwa vier Wochen nach Beginn des Wintersemesters an einer Exkursion dorthin teilgenommen. Sie war vom Studentenwerk besonders für die ausländischen Gaststudenten organisiert worden. Sie besuchten damals, es war Ende Februar, eine Ausstellung zu den Pharaonen Ägyptens. Obwohl er selbst von dort stammt, weckte das sofort sein Interesse. Das galt jedoch nicht so sehr der Historie, sondern vielmehr, was in einem anderen Land über die ehemaligen Herrscher berichtet wird. Er bewunderte die Büste der Nofretete, die offenbar der unangefochtene Star des Neuen Museums ist. Sie wurde um 1340 v. Chr. gefertigt und farbig bemalt.

      Aber sie kann nicht der Grund für seine Träume sein. Ob das möglicherweise mit dem Skarabäus zusammenhängt, den er auffing? Ein anderer Student war gegen eine Stele gestolpert, wodurch diese umkippte und eine Glasvitrine zerschlug. Das war sein ebenfalls aus Ägypten stammender Mitstudent Murat gewesen. Der Herzskarabäus wurde dadurch herausgeschleudert und wäre auf dem Steinfußboden vermutlich in viele Stücke zersprungen, wenn Anwar ihn nicht

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