Verborgen. Dieter Aurass

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8 - Katrins Erinnerung

       Es hatte sich wie der geilste Job der Welt angehört.

       »Hausdame und Gesellschafterin gesucht«, lautet der Text der Stellenanzeige, der mir aus der Tageszeitung entgegengesprungen kam. Das Tolle daran war, dass in diesem speziellen Fall keine ältere Dame gesucht wurde, die einer anderen älteren Dame die Besorgungen erledigt, den Hintern abwischt oder ihr die Zeit vertreibt. Das Jobprofil passte haargenau auf mich, sowohl vom Alter als auch von den gewünschten Fähigkeiten.

       Einen Tag später machte ich mich zu einem Vorstellungsgespräch auf den Weg. Ich hatte die richtige Mischung aus seriösen und trotzdem schicken Klamotten ausgesucht und motivierte mich immer wieder selbst dahingehend, dass ich es schaffen würde.

       Das Ehepaar Helmholtz machte einen netten Eindruck. Heinz Helmholtz war achtundfünfzig Jahre alt, etwas dicklich und nur einssechzig groß, was er durch das Tragen von Stiefeletten mit zehn Zentimeter hohen Absätzen zu kaschieren versuchte. Seine grauen Haare begannen licht zu werden, und auf den Wangen zeichneten sich die roten Äderchen einer Couperose im Frühstadium ab. Irgendwie wirkte er sympathisch, in dem Versuch, durch jugendliche Klamotten, die hohen Absätze und eine sehr joviale Art jünger zu wirken, als er wirklich war.

       Seine Ehefrau, Tanja Helmholtz, war fünf Jahre jünger als er und rein äußerlich das komplette Gegenteil. Durch zahlreiche Schönheitsoperationen war es ihr gelungen, das Verblühen ihrer früheren Schönheit zumindest zum Teil aufzuhalten. Sie hatte zwar noch immer die gleiche Figur wie vor dreißig Jahren, aber natürlich war sehr offensichtlich der Zug der Schwerkraft an ihren Brüsten durch Implantate aufgehalten worden, die Falten im Gesicht durch künstliche Straffung gemildert und die Lippenfältchen durch Einspritzungen von Collagen beseitigt worden. Aber als junge Frau musste sie auf jeden Fall das Aussehen eines Modells gehabt haben - sowohl im Gesicht als auch figürlich. Lediglich ihre mangelnde Körpergröße hatte eine Karriere in diesem Beruf verhindert. Tanja Helmholtz war nur wenige Zentimeter größer als ihr Mann. Das war wahrscheinlich ein weiterer Grund für die hohen Absätze ihres Mannes. Aber auch die Heirat mit dem zu dieser Zeit bereits erfolgreichen Manager hatte nicht den erhofften Karrieresprung im Modellbusiness herbeigeführt - so behauptete es zumindest die Klatschpresse. Was hatte da nähergelegen, als die ein Jahr nach der Heirat geborene Tochter in die nicht vorhandenen Fußstapfen der Mutter treten zu lassen, zumal sie bereits mit sechzehn mehr als einen Kopf größer gewesen war als ihre Eltern. Selbstverständlich war ihr Vater auch gleichzeitig ihr Manager geworden.

       Ich war froh, dass ich mich in den Zeitschriften und im Internet so gut über meine hoffentlich neuen Arbeitgeber informiert hatte.

       Beide zeigten sich begeistert von meinen Qualifikationen und allgemeinen Ansichten. Sie versicherten mir wieder und wieder, dass ich genau die Frau sei, die sie gesucht hätten.

       Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut aufzulachen, als die beiden mir meine zukünftigen Aufgaben schilderten: Führen des Haushaltsbuchs, Beaufsichtigung des Personals, Überwachung der Vorräte, spezielle Besorgungen und Erledigungen im Zusammenhang mit Partys oder Empfängen und andere, nicht wirklich belastende Sonderaufgaben. Es hörte sich fast zu schön an, um wahr zu sein, und ich unterschrieb mit Freuden und ohne lange nachzudenken den Arbeitsvertrag.

       Alles ließ sich zu Beginn so easy an, wie ich es mir vorgestellt hatte und erstmals seit langer Zeit war ich richtig glücklich.

       Sechs Wochen nach meinem Arbeitsantritt fand eine Party in der Villa statt, die ich im Auftrag der Familie Helmholz organisierte. Nichts wirklich Großes, nur etwa einhundert Personen, anlässlich eines Besuchs der Tochter Tatjana aus den USA. Bis zu diesem Tag hatte ich das gefeierte Supermodell noch nicht kennengelernt, sondern lediglich die Bilder im Haus gesehen und die Berichte in der Klatschpresse gelesen. Als ich nun bei dieser Gelegenheit Tatjana zum ersten Mal persönlich kennenlernte, hätte die Enttäuschung nicht größer sein können.

       Das von der Presse hochgelobte Supermodell präsentierte sich als abweisend, unnahbar, arrogant, hochmütig, absolut egozentrisch … und anscheinend strunzdumm.

      »Kleines, bringen Sie mir einen Manhattan auf Eis«, waren die ersten Worte, die sie an mich richtete. In der kommenden Stunde beleidigte Tatjana mich zwei Mal, behandelte mich fünf Mal herablassend und stellte mich zu meinem Entsetzen einigen mir unbekannten Gästen als … ›die billige Schlampe meines Vaters‹ vor.

       Um zweiundzwanzig Uhr entdeckte Heinz Helmholtz mich weinend in einer Abstellkammer. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten, mich in der Kammer versteckt und meinem Selbstmitleid ergeben. Er nahm mich in den Arm, tröstet mich, führte mich in sein privates Billardzimmer und überredete mich zu einem Glas Sekt. Aus dem einen Glas wurden ruck zuck drei Flaschen, von denen vermutlich mehr als zwei auf mein Konto gingen. Frustration ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber, vor allem, wenn es um die Menge an Alkohol geht, die man besser nicht getrunken hätte.

       Ich wachte mit einem solchen Brummschädel auf, dass ich glaubte, es könne meinen Kopf sprengen.

       Die Sonne schien direkt durch das Fenster auf mein Gesicht und mit fest zusammengepressten Augenlidern tastete ich auf dem Nachttisch nach meiner Schlafmaske. Im nächsten Moment fuhr ich mit einem Satz auf, als ich feststellte, dass da kein Nachttisch war. Ein schneller Rundblick bestätigte meine Befürchtung: Ich befand mich nicht in meinem, sondern in einem fremden Schlafzimmer. Als ich die Decke zurückschlug, schockierte mich meine Nacktheit, obwohl ich sie bereits vorher gefühlt hatte. Die getrocknete weiße Substanz, die zwischen meinen Beinen und in meinen Schamhaaren klebte, war für mich der letzte Beweis dafür, was mir mit großer Wahrscheinlichkeit widerfahren war.

       Als ich mit einem eng um mich geschlungenen Laken aus dem Zimmer flüchtete, stellte ich fest, dass es sich um den Schlafraum meines Arbeitgebers handelte.

       Selbst nach einer halben Stunde unter der Dusche meines kleinen Appartments im Souterrain der Villa fühlte ich mich noch immer beschmutzt. Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben feststellen, dass man ein Gefühl nicht abwaschen oder wegrubbeln kann. Selbst wenn ich keine Erinnerung an das eigentliche Geschehen hatte, empfand ich es immer noch als Vergewaltigung und hätte schreien können vor Wut und Frustration. Aber zumindest meine rasenden Gedanken hatten sich ein wenig beruhigt und es gelang mir, mich auf eine Richtung zu konzentrieren und nicht immer wieder abzuschweifen. Ich entschloss mich, meinen Chef - nein, meinen Vergewaltiger - mit seiner Tat zu konfrontieren. Die möglichen Konsequenzen waren mir in diesem Augenblick absolut egal. Damit durfte das Schwein auf keinen Fall davonkommen, so viel stand für mich fest.

       Nachdem ich mich halbwegs hergerichtet hatte, machte ich mich auf den Weg von meiner Souterainwohnung nach oben und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass das Ehepaar Helmholtz mit Töchterchen Tatjana beim gemeinsamen Frühstück auf der sonnenbeschienenen Terrasse in fröhlicher Runde zusammensaß. Schon im Wohnzimmer hörte ich das vereinzelt aufbrandende Gelächter des fürchterlichen Trios und mir schossen die Tränen in die Augen.

       Ich zögerte nur kurz, bevor ich an den reich gedeckten Frühstückstisch herantrat. Mein Magen zog sich kurz zusammen, als ich sah, wie sich Tatjana aus einer Flasche Sekt der gleichen Sorte, die mir am Abend zuvor Heinz Helmholtz ausgeschenkt hatte, ein Glas füllte. Aber ich riss mich zusammen.

       »Wir müssen reden, Herr Helmholtz!«

       »Waren wir nicht gestern schon beim Du, Kleines?«, fragte er mich lächelnd.

      

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