Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien. Leo Deutsch

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Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien - Leo Deutsch gelbe Buchreihe

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dieser Sachlage war es mir nicht schwer, die Anklage zu widerlegen. Unter meinen Büchern fand sich nicht ein einziges polnisches, überhaupt keines, gegen das ein Verbot in Deutschland ergangen war; der Besitz einiger Exemplare des „Sozialdemokrat“ involvierte noch kein Vergehen. Die Untersuchung reduzierte sich somit darauf, ob ich mit jenen Personen in Verbindung stand, und ob ich nicht dennoch in Deutschland verbotene Schriften verbreitet hätte.

      Der Zufall allein hatte somit zu meiner Verhaftung geführt. – „Wären Sie nicht im

      ‚‚Freiburger Hof‘ abgestiegen, hätte niemand daran gedacht. Sie zu verhaften“, meinte der Untersuchungsrichter, Herr Leiblein.

      Nachdem ich das erfahren, wurde mir leichter zumute. – „Es ist also vorläufig noch nicht alles verloren“, überlegte ich; „möglich, dass die Sache glatt abläuft und ich bald freigelassen werde; wenn nur die russische Regierung aus dem Spiele bleibt.“ – Das ungefähr waren die Gedanken, die mich beschäftigten, während der Untersuchungsrichter das Protokoll niederschrieb. Ganz unvermittelt sagte er dann, auf einen Herrn deutend, der etwas abseits an einem Tische saß: „Das ist der Übersetzer, der uns in Ihrer Sache unterstützt, ein Professor unserer Universität ...“

       Ich hatte nicht genau hingehört. Während des Verhörs hatte ich mich bereits einige Mal nach jenem Herrn umgeschaut; er schien mir bekannt, und seine Anwesenheit beunruhigte mich unwillkürlich.

      „Sie können mit dem Herrn Professor sich russisch unterhalten“, schloss Herr Leiblein, als er für kurze Zeit das Zimmer verließ, um ein Schriftstück zu holen.

      „Erkennen Sie mich nicht wieder?“ wandte sich der Übersetzer an mich.

      * * *

      Professor Thun – Meine Verteidigung

       Professor Thun – Meine Verteidigung

      „Professor Thun?!“ rief ich, im höchsten Grade erstaunt.

      „Freilich! Habe ich mich denn so verändert, dass Sie mich nicht gleich erkannten?“ Er erwartete jedoch kaum eine Antwort auf seine Frage und fügte unvermittelt hinzu: „Also, wie kann ich Ihnen helfen?“

      „Wissen Sie, wer ich eigentlich bin?“ fragte ich, statt zu antworten, und es überlief mich kalt.

      „Allerdings, ich kenne Ihren wirklichen Namen ... Aber erschrecken brauchen Sie deshalb nicht! Sie sind ja ganz bleich geworden.“

      In der Tat hatten mir seine Erklärungen einen nicht gelinden Schrecken eingejagt.

       Ich hatte Professor Thun ungefähr anderthalb Jahre vor dem in Rede stehenden Vorgang kennen gelernt, und zwar in Basel, wohin ich mich begeben hatte, um etwas abseits von den Kolonien russischer Flüchtlinge zu sein. Ich war an der Universität immatrikuliert und hörte Nationalökonomie und Statistik bei Professor Thun. Einer der Baseler Arbeiterführer, Karl Moor, hatte mich persönlich mit dem Professor bekannt gemacht, der mich einfach für einen russischen Studenten hielt, meinen wirklichen Namen damals nicht kannte, sondern den angenommenen Namen Nikolaus Kridner. Er hatte mich aufgefordert, ihn zu besuchen, und mich in seinen Plan, eine Geschichte der revolutionären Bewegung in Russland zu schreiben, eingeweiht. Von diesem Plane hatte ich bereits vorher erfahren, und zum Teil hatte mich das nach Basel gelockt. – Professor Thun war ein geborener Rheinländer, hatte in Dorpat studiert und dann einige Jahre im Inneren Russlands zugebracht, sprach daher geläufig Russisch und wusste in russischen Verhältnissen ziemlich gut Bescheid. Als er aus unseren Gesprächen ersah, dass mir die Geschichte der russischen revolutionären Bewegung nicht unbekannt sei, schlug er mir vor, ihm bei der Arbeit zu helfen, was ich natürlich mit Freuden annahm. So kam es, dass wir ziemlich intim bekannt wurden.

      Auf diese Weise lernte ich denn auch die Anschauungen kennen, die Professor Thun in Bezug auf die russischen Terroristen und ihre Taten hegte; er verdammte sie rückhaltlos. Seiner Überzeugung nach war es Pflicht der europäischen Regierungen, solchen Personen das Asylrecht zu verweigern und sie wie gewöhnliche Verbrecher der russischen Regierung auszuliefern. Besonders erinnerte ich mich lebhaft des folgenden Vorganges. Professor Thun hatte im Baseler „Freisinnigen Verein“ vor einem zahlreichen Publikum einen Vortrag gehalten über „zwei Episoden der russischen revolutionären Bewegung“. Diese Episoden waren: das Attentat gegen Alexander II. und der Tschigiriner Prozess. Als er auf den letzteren zu sprechen kam, beschrieb er eingehend, wie „Stefanowitsch, Bochanowski und Deutsch aus der Kiewer Feste ausgebrochen waren“, und schloss mit der Bemerkung, dass derartige Verbrecher im Auslande weilen und dass „es leider“ bisher nicht gelungen sei, ihrer habhaft zu werden.

      Ich hatte dann Gelegenheit, nach dem Referat mit ihm über diese Dinge zu sprechen, und empfing den Eindruck, dass wenn Professor Thun meinen wirklichen Namen kennen würde, er zweifellos nicht nur den Verkehr mit mir abbrechen, sondern unter Umständen vielleicht bereit sein würde, mitzuwirken, dass man meiner „habhaft werde“. Das veranlasste mich denn auch, meine persönlichen Beziehungen zu ihm auf ein Minimum zu reduzieren, und bald darauf verließ ich Basel.

      Jetzt stand ich diesem Manne plötzlich als Gefangener gegenüber, und er wusste, wer ich bin! Man male sich also meine Empfindungen aus.

      „Woher wissen Sie meinen Namen?“ fragte ich, vor Erregung bebend.

      „Ihr Freund Karl Moor hat ihn mir mitgeteilt, als Sie Basel verlassen hatten.“

      „Und obwohl Sie wissen, wer ich bin, bieten Sie mir Ihre Hilfe an?“ fragte ich erstaunt.

      „Ja; sagen Sie, womit Ihnen gedient ist, und ich will tun, was ich kann.“

       Ich konnte es kaum fassen, aber ein Blick in seine Augen sagte mir, dass ich ihm vertrauen dürfe. Es war jenes intuitive Vertrauen, das man zu einem Menschen fasst und das dann auch grenzenlos ist.

      „Ich danke Ihnen“, sagte ich. „Also, wenn es mir nicht gelingt, auf legalem Wege aus diesem Gefängnis zu kommen, werde ich versuchen zu fliehen. Würden Sie mir beistehen?“

      „Einverstanden“, sagte er einfach und ernst.

      Ich konnte es noch immer nicht fassen; derselbe deutsche Professor, der in meiner Gegenwart öffentlich sein Bedauern darüber geäußert hatte, dass die Schergen des Zarismus meiner noch nicht „habhaft“ geworden sind, mit anderen Worten, dass ich noch nicht am Galgen hing, derselbe Mann bietet mir seine Hilfe, um aus einem deutschen Kerker zu fliehen!

      Er lieferte mir jedoch unverzüglich den Beweis, wie ernst es ihm war.

      Als Übersetzer war er im Besitz aller Bücher, Briefe usw., die man mir abgenommen hatte. Er nahm mein Notizbuch, das man ihm ebenfalls eingehändigt hatte, bot es mir an und gab mir den Rat, einige Seiten, auf denen, wie er bemerkt hatte, Adressen eingetragen waren, welche mir schaden konnten, zu vernichten. Ich machte natürlich sofort Gebrauch davon.

      * * *

      Fluchtpläne

       Fluchtpläne

      Dann schlug ich ihm vor, er möchte unverzüglich nach Zürich reisen, dort meinem Freunde Axelrod mitteilen, was vorgefallen, ihn instruieren, wie er bei meiner Befreiung auf legaler Weise mitwirken könne, schließlich mit ihm die Mittel zur Bewerkstelligung meiner eventuellen Flucht zu erwägen, im Falle die Gefahr entsteht, dass die deutsche Regierung mich an Russland

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