Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien. Leo Deutsch

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien - Leo Deutsch страница 11

Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien - Leo Deutsch gelbe Buchreihe

Скачать книгу

Haft in Freiburg erwies er mir unendlich viele Liebesdienste, wobei er ernstlich Gefahr lief, seine Stellung zu kompromittieren. So veranstaltete er geheime Zusammenkünfte in der Freiburger Kathedrale mit meinen Freunden, die herbeigeeilt waren, um im Notfalle mir behilflich zu sein; er vermittelte den brieflichen und mündlichen Verkehr zwischen mir und meinen Genossen usw. Da er beständig zu mir Zutritt hatte, infolge des Vertrauens, das ihm die Gerichtsbehörde als einem angesehenen Professor entgegenbrachte, ließ er mich öfters in das Übersetzerbüro rufen, wo wir ungestört verhandelten oder auch plauderten. Bei diesen Besuchen sah ich, wie er von ganzem Herzen bestrebt war, mir zu helfen. Das ging so weit, dass er mir seine Wohnung als Zufluchtsort anbot, wenn ich gezwungen wäre zu fliehen. Zuweilen machte er sich dabei über seine eigene Rolle lustig.

      „Nun schau einer an“, sagte er lachend, „ich, ein deutscher Professor in Amt und Würden, bin zu einem russischen Verschwörer geworden, und die friedliche badische Stadt ist der Schauplatz einer Verschwörung.“

      Aus dem Verkehr mit dem Untersuchungsrichter wusste er genau, wie meine Sache stand, und hielt mich natürlich darüber auf dem Laufenden.

      * * *

      Bei dem ersten Verhör gab ich dem Untersuchungsrichter folgende Darstellung der Sachlage:

       Ich bin als russischer Student studienhalber ins Ausland gegangen. Hier habe ich geheiratet und habe ein Kind. Bisher hielt ich mich in der Schweiz auf, jetzt wollte ich in Freiburg bleiben, wohin meine Frau, die in Zürich weilt, mir folgen sollte. Meinen Unterhalt erwarb ich zum Teil durch literarische Arbeiten, zum Teil bestritt ich ihn aus eigenen Mitteln. In der Schweiz besuchte ich die Universität als Hospitant. [Diese Angaben waren insofern notwendig, als Buligin, auf dessen Pass ich reiste, verheiratet war, mit Frau und Kind in Zürich weilte und dort die Universität besuchte.] Was meine politischen Anschauungen anbetrifft, so war ich in dieser Beziehung bisher nicht zur vollen Klarheit gelangt; während meines Aufenthalts in der Schweiz jedoch wurde ich unter dem Einfluss der deutschen Literatur Anhänger der Sozialdemokratie und beschloss, soweit meine Kräfte reichen zur Verbreitung dieser Anschauungen in meinem Vaterlande zu wirken. [Das entsprach so ziemlich der Wirklichkeit. Etwa ein Jahr vor den hier geschilderten Vorgängen, im Sommer 1883, hatten Plechanow, Wera Sassulitsch, Axelrod und ich die sozialdemokratische Organisation „Zur Befreiung der Arbeit“ begründet; Zweck dieser Organisation war die Verbreitung der Marxschen Lehre in Russland durch Übersetzungen und Originalabhandlungen. Die Schriften, die ich in meinem Koffer führte, waren eben dieser Art, die Erstlinge unserer schriftstellerischen Tätigkeit, die vor kurzem die Druckerpresse in der eigens hierfür errichteten Druckerei verlassen hatten.] Als ich aus verschiedenen Gründen beschloss, nach Deutschland zu übersiedeln, nahm ich die bei mir vorgefundenen sozialdemokratischen Schriften mit, um sie hier eventuell an Landsleute zu verkaufen. Diese Schriften sind in Deutschland nicht verboten, ihr Besitz involviert daher nicht im Entferntesten ein Vergehen, geschweige denn ein Verbrechen gegen deutsche Reichsgesetze.

      „Und nun“, schloss ich, „werde ich in der freien deutschen Stadt, in Freiburg, ohne jede gesetzliche Grundlage verhaftet! Verhaftet ohne Einhaltung irgendwelcher gesetzlicher Formalitäten, allen möglichen Erniedrigungen unterworfen, in den Kerker gesperrt wie ein gemeiner Verbrecher. Dessen nicht genug: in meiner Gegenwart erdreistet sich die Polizei, eine freie Bürgerin des deutschen Staates ohne jeden Anlass wie eine Dirne, wie eine Verbrecherin anzugreifen und zu verhaften. Da möchte ich doch wirklich fragen: Welcher Unterschied besteht zwischen dem konstitutionellen Rechtsstaate Deutschland und dem absolutistisch-despotischen Russland? Schlimmer kann schließlich auch niemand in Russland behandelt werden!“

      Diese Worte schienen einigen Eindruck auf den Richter gemacht zu haben. Er schritt aufgeregt auf und ab, indem er dem Schreiber meine Aussagen diktierte, gab mir wiederholt sein Mitgefühl kund und äußerte sein scharfes Missfallen über das Verhalten der Polizei bei meiner und der jungen Dame Verhaftungen. An einer Stelle meinte er: „Ganz wie bei Shakespeare: ‚Aber das Tuch, das Tuch!’“

      Ich hatte den Eindruck, dass der Mann auf meiner Seite war. Später bestätigte mir auch Professor Thun, dass Herr Leiblein erklärt hatte, ihm komme die Sache durchaus harmlos vor, seiner Meinung nach werde hier ein „vollkommen Unschuldiger“ in Haft gehalten, und er hoffe, ich werde bald in Freiheit gesetzt werden.

      So hatte ich denn begründete Hoffnung, auf vollständig legalem Wege das deutsche Gefängnis verlassen zu können. Trotzdem stiegen immer wieder Zweifel in mir auf, und der Gedanke an die Flucht kam immer von neuem. In der ersten Zeit meiner Haft wäre diese Flucht bei einiger Hilfe von auswärts auch durchaus nicht schwierig gewesen.

      Als ich so zwischen Hoffnung und Fluchtplänen hin und her schwankte, wurde ich eines Tags in das Besuchszimmer geführt.

      * * *

      Der Rechtsanwalt

       Der Rechtsanwalt

       Ich erwartete, dort Professor Thun zu finden, und war erstaunt, als ich einem mir gänzlich unbekannten Manne gegenüberstand. Er nannte mir seinen Namen, der mir leider jetzt entfallen ist, und teilte mir mit, er sei Rechtsanwalt, und meine Freunde hätten ihn aufgefordert, meine Verteidigung zu führen; er gerierte sich sofort als Mitglied der deutschen Sozialdemokratie, als Parteigenosse und forderte mich auf, ganz offen gegen ihn zu sein, da meine Freunde ihm bereits alles, was meine Vergangenheit anbetreffe, erzählt hätten.

      „Sie wollen einen Fluchtversuch unternehmen?“ fragte er mich im Flüsterton, und als ich bejahte, erwiderte er eifrig: „Das wäre ein unverzeihlicher Schritt Ihrerseits! Ich habe soeben die Akten eingesehen. Ihre Sache steht sehr günstig, und ich zweifle nicht, dass man Sie bald freilässt. Warum wollen Sie sich der Gefahr einer Flucht aussetzen? Misslingt der Versuch, dann verschlimmern Sie Ihre Lage bedeutend. Ich habe auch mit dem Untersuchungsrichter gesprochen; er ist überzeugt, dass nichts von Bedeutung gegen Sie vorliegt. Sobald die Recherchen über Ihre Personalien in der Schweiz ein günstiges Resultat ergeben, wird man Sie freilassen.“

      „Nun, und wenn man gleichzeitig Recherchen über meine Personalien in Russland anstellt?“ wendete ich ein.

      „Es liegt nicht der geringste Grund für eine solche Annahme vor“, erwiderte der Jurist. „Ein solches Vorhaben müsste doch auf irgendeine Weise sich bemerkbar machen. Wir haben doch schließlich hier in Deutschland nicht russische Zustände, das Verfahren ist nicht geheim. Im Gegenteil, das Gesetz bestimmt, dass die Untersuchung nicht geheim gehalten werden darf, und mir, als Ihrem Rechtsbeistand, sind anstandslos alle Akten in Ihrer Angelegenheit ausgeliefert worden. Es müsste also in diesen Akten irgendwo erwähnt sein, dass man sich mit Russland verständigen wolle. Bei unserem Prozessverfahren ist es absolut ausgeschlossen, dass eine derart komplizierte Erhebung geheim bleiben sollte.“

      „Ja“, warf ich ein, „woher haben Sie aber die Gewissheit, dass nicht die Gerichtsbehörde, wohl aber die administrativen oder politischen Behörden unterdessen mit den russischen sich ins Einvernehmen setzen?“

       „Verwaltung und Polizei dürfen sich in Deutschland nicht unaufgefordert in Gerichtssachen mischen. Sie wurden verhaftet, weil Gründe für die Annahme vorlagen, dass Sie in Beziehung mit Personen stehen, die in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden; sind Sie jedoch einmal freigesprochen – und weder ich noch der Untersuchungsrichter haben den geringsten Zweifel, dass man Sie freispricht –, so werden Sie unbedingt entlassen; es handelt sich einzig um die Bestätigung Ihrer Personalien in der Schweiz. Sie können sich darauf verlassen: als deutscher Jurist kenne ich doch unser Gesetz und Gerichtsverfahren; Sie dagegen urteilen auf Grund der russischen Zustände, die aber absolut andere sind.“

      Zwar sagte mir eine innere Stimme, dass der deutschen Gesetzmäßigkeit nicht so ganz zu trauen sei, aber Vernunftgründe

Скачать книгу