Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul

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Pascal trug nämlich einen großen eisernen Ring mit Stacheln um den bloßen Leib, um sich durch einen kleinen Druck darauf sogleich mit Schmerzen für jeden eiteln Gedanken abzustrafen: sollen nicht vielleicht die kleinern und schönern Ringe auf ähnliche Weise jeden eiteln Gedanken mit kleinen, aber vielen Schmerzen züchtigen? Wenigstens scheinen sie diese Bestimmung zu haben, da gerade Eitle die meisten tragen und die beringelte Hand am meisten bewegen.

      Oft laufen unwillkommne Besuche froher ab als andere: man war heute lustig genug, Siebenkäs war in seinem Haus wie zu Hause – er guckte mit dem Venner auf den Markt. Die Frau hatte, nach ihrer Erziehung und nach der kleinstädtischen Sitte der mittlern Stände, nicht den Mut, im Konzert eines männlichen Gesprächs etwas anders zu sein als stumm, höchstens obligat, sie ging und trug ab und zu und versaß die beste Zeit unten bei andern Weibern. – Der höfliche galante Rosa Everard kehrte gegen sie seine Hexenkunst, eine Frau auf einen Platz festzubannen, fruchtlos vor. Er klagte vor dem Ehemann, in Kuhschnappel sei wenig echte Feinheit und noch kein einziges Liebhaber-Theater, worauf man spielen könne wie in Ulm – die besten Moden und Bücher verschreib' er vom Auslande.

      Siebenkäs bezeugte ihm bloß seine Freude über das – Bettelvolk auf dem Markt. – Er machte ihn aufmerksam auf die kleinen Buben, die in die rotgemalten Holztrompeten stießen, um, wenn nicht Jericho, doch das Trommelfell zu zerblasen. Aber er fügte mit Wohlbedacht hinzu, er solle darum die andern armen Teufel nicht übersehen, die in ihren Kappen die versprungene Nachlese des zerspalteten Klafterholzes, wie Bauinspektoren die Zimmerspäne, erhöben. – Er fragte ihn, ob er mit andern Kameralisten auch Lotterien und Lottos verwerfe und ob er glaube, daß das gemeine Wesen von Kuhschnappel bei der alten umgestürzten Tonne unten leide, auf deren Boden oben ein Zeiger, der um ein Zifferblatt von Pfefferkuchen und von Pfeffernüssen fuhr, gegen geringen Einsatz von den Teilnehmern umgeschnellt wurde auf Gefahr des Lottodepartements, eines gierigen alten Weibstücks, da mancher Junge statt eines Nüßchens einen Kuchen erwischte. Siebenkäs hatte das Kleine lieb, weil es in seinen Augen ein satirischer zerrbildnerischer Verkleinerspiegel alles großen bürgerlichen Pompes war. Der Venner gewann solchen zweideutigen Darstellungen nicht den geringsten Geschmack ab; allein der Advokat hatte auch gar nicht daran gedacht, durch sie eine andere Langeweile zu zerstreuen als seine eigene. »Darf ich doch«, sagt' er einmal, »mit mir selber alles laut sprechen, was ich nur will; was gehts mich an, daß ein anderer hinter meinem Rücken zuhört oder vor meinem Bauche?«

      Endlich warf er sich, nicht ohne Beifall des Venners, der nun mit der Frau ein vernünftiges Wort zu reden hoffte, ganz unter das Marktvolk hinab. Everard wurde durch Firmians Entfernung erst in sein Element, in sein rechtes Hechtwasser gesetzt. Er stellte einleitend vor Lenetten ein Modell von ihrer Geburtstadt auf; er kannte viele Gassen und Leute in Augsburg und war oft vor der Fuggerei vorbeigeritten, und ihm sei es noch wie heute, sagt' er, daß er sie einmal neben einer ungemein schätzbaren Matrone, was gewiß ihre Mutter gewesen, einen Damenhut nähen sehen. Er nahm ohne Bedenken in seine rechte Hand die ihrige, die sie ihm wie aus Dank für so teuere Erinnerungen leicht ließ, und drückte diese; dann ließ er plötzlich nach, um zu sehen, ob sie nicht im Gedränge der Finger etwas erwidert habe oder dem Verlust des Drucks wieder beizukommen suche – aber er hätte ebenso gut Götzens eiserne Hand mit seinen Diebsdaumen pressen können als ihre heiße. Er kam jetzo auf ihre Putzarbeit, sprach über die Coiffüren-Muster als ein Mann, der die Sache verstand, und nicht wie Siebenkäs, der ohne die geringste Sachkenntnis sich in dergleichen mischte, – und bot ihr zwei Lieferungen sowohl von Ulmer Mustern als von kuhschnapplerischen Kundleuten an. »Ich kenne einige Damen«, sagt' er und zeigte ihr in einem Taschenkalender das Verzeichnis von seinen Engagements zu den künftigen Wintertänzen, »die ich schon zwingen kann; ich tanze mit keiner, die nicht etwas von Ihnen aufhat.« – »So schlimm wirds wohl nicht sein«, versetzte vieldeutig Lenette. Er mußte sie letztlich bitten, ein wenig vor ihm zu arbeiten, weil er den Kern ihrer kriegerischen Macht zu schwächen hatte durch Teilung, wenn sie die Augen auf die Nadeln und nur die Ohren gegen ihn postieren konnte. Sie errötete, als sie zwei Stecknadeln ergriff und eine in das rote kleine runde Nähkissen des – Mundes steckte; das litt er nun nicht, er kannte die Gefahren eines Besteckens ganz – eines Bedornens gegen Hasen wie er –, es sei nun, daß eine dieses Stilett selber oder daß sie nur den giftigen Grünspan davon hinunterschlucke. Er zog eigenhändig das Stichgewehr aus ihrer Lippenscheide, ritzte aber – wenigstens bejammerte er dieses – wenig oder nicht den Amarellen-Mund. Ein rechtschaffener Venner glaubt sich in solchem Fall zu den Heilkosten und Schmerzengelde verpflichtet; Everard zog freiwillig seine englische Patent-Pomade heraus und strich sie auf ihren linken Zeigefinger und trug mit diesem Pflaster-Spatel – er mußte aber dabei ihre ganze Hand als den Schaft des Fingers anfassen und oft ohne seinen Willen drücken – den Salben-Lack auf die unsichtbare Wunde auf. Das unglückliche Stilett selber steckte er in sein Hemde, indem er ihr seine eigne Jabot-Nadel daraus gab und dabei seine zarte weiße Brust gern – erkältete. Ich bitte Leute, die den Dienst verstehen, inständig, meinen Helden freimütig zu beurteilen und mir im gesessenen Krieggericht die Bewegungen und Plane anzuzeigen, die falsch gewesen wären.

      Daher ließ er die Verwundete nicht mehr arbeiten, sondern sich bloß die ausgebaueten Aufsätze vorweisen; von einem bestellt' er ein Exemplar für die gnädige Frau v. Blaise. Er bat sie, ihn aufzuprobieren, und rückte selber den Aufsatz so, wie ihn die Frau v. Blaise trug. Beim Himmel! er stand noch besser, als er gedacht hatte; und er schwur, so müss' er der Heimlicherin auch lassen, da sie besonders einerlei Länge mit Madame habe. Das letzte war erlogen und diese um eine ganze halbe Nasenlänge kürzer- auch sagt' es Lenette, die jene in der Kirche gesehen. – Rosa blieb dabei und setzte Seele und Seligkeit (denn in solchen Zwisten sprach er ordentlich ruchlos) zum Pfande, die gnädige Frau sei nicht länger, er nehme das Abendmahl darauf, er habe sich 100mal mit ihr gemessen und sie sei einen halben Zoll länger als er selber. »Beim Himmel!« sagt' er plötzlich und sprang auf, »ich führe ja ihr Längenmaß wie ihr Tailleur bei mir, ich darf mich ja nur mit Ihnen messen.«

      Ich will hier kleinen Mädchen eine goldne Kriegregel, die ich selber gemacht, nicht vorenthalten – »Streite nie lange mit einem Manne, worüber es sei – die Wärme im Wortwechsel ist auch eine – man vergisset sich und greift zuletzt zu Beweisen durch syllogistische Figuren, die der Feind begehrt und dann umsetzt in poetische, ja in plastische Figuren.«

      Lenette stellte sich, im schnellen Wirbel der Begebenheiten schwindelnd, gutmütig an das Rekrutenmaß, an ihren Rekruten Rosa; er lehnte seinen Rücken an ihren: »So ists nichts«, sagt' er »ich seh' es nicht« und schnallte seine rücklingsgebognen, gerade über ihrer Herzgrube eingeknöpften Finger wieder auf. Er sprang herum, stellte sich vor sie, umfing sie locker und wiegte sich gegen sie, um durch die Nivellierwaage des Auges zu erforschen, ob beider Stirnen in einer Ebene lägen. Seine klaffte um einen ganzen Zoll über ihre hinaus; er umschnürte sie fester und sagte errötend: »Sie hatten doch recht; aber ich hatte nur Ihre Schönheit zu Ihrer Länge addieret« und drückte in solcher Nähe seinen roten Mund gar wie Siegellack auf die Urkunde der Wahrheit, auf ihren.

      Sie wurde beschämt, verlegen, weich und unwillig, hatt' aber nicht den Mut, gegen einen vornehmen Patrizium in ihre Entrüstung auszubrechen. Nun sprach sie kein Wort mehr. Er setzte sie und sich ans Fenster und sagt' ihr, er woll' ihr, hoff' er, andere Lieder vorlesen, als da unten verkäuflich herumgetragen würden. Er war nämlich einer der größten Dichter in Kuhschnappel, wiewohl er bisher mehr seine Verse bekannt gemacht, als daß diese ihn bekannt gemacht hätten. Seine Gedichte glichen wie die meisten jetzigen ganz den Musen selber, indem sie, wie die Musen, echte Kinder des Gedächtnisses waren. Jede altfränkische Stadt hat wenigstens ihren neumodischen Gecken, der die Honneurs macht; und jede kalte prosaische, reichsgerichtlichstilisierte hat doch ihr Genie, ihren Dichter und Empfinder; oft werden beide Stellen von einem Subjekte verwaltet wie hier. Der Große und der Kleine Rat hießen ihren Rosa ein Kraftgenie, von der Genie-Seuche angesteckt. Diese Seuche gleicht der Elefantiasis, welche Troll in seiner Reise durch Island im 24. Briefe richtig beschreibt und die darin besteht, daß der Patient an Haaren, Ritzen, Farbe, Beulen der Haut und allem völlig einem Elefanten ähnlich sieht, nur daß er seine Stärke nicht hat und in einem kalten Klima lebt.

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