Siebenkäs. Jean Paul

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Siebenkäs - Jean Paul

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Schulrat noch immer fort und hielt ihre Hand, »schicken Sie sich ums Himmels willen in den Willen Gottes – es ist ja leichtlich zu richten und zu schlichten. – Ich verstatte gern eine Traurigkeit des Herzens; aber eine gemäßigte sei es.« Lenette sah ihren Mann gar nicht an, sondern durchs Fenster. Der Schulrat erzählte jetzo erstlich alles das, was ich schon erzählt habe – indes Firmian, unter dem Horchen und Blicken auf ihn, die glühende Hand der abgekehrten Lenette faßte –; dann fuhr er fort: »Als ich hereintrat, du großer Gott, so lag Ihro Gnaden vor der Frau Advokatin auf den Knieen mit weltlichen Tränen und war gesonnen – ich muß es besorgen –, ihr ihre teure Ehre zu nehmen. Ich aber riß solchen auf, ganz freimütig, und fragte ihn mit paulinischer Unerschrockenheit, die ich vor Gott und Menschen zu verantworten gedenke: ›Ew. Gnaden, sind das die Lehren, die ich Denenselben als Ihr Privatlehrer gegeben habe, soll ein Christ solchergestalt auf die Kniee fallen? Pfui, Hr. von Meyern, pfui, Hr. von Meyern!‹« – Jetzo geriet der Schulrat wieder in einen entsetzlichen Eifer und fuhr in der Stube, die Hände tief in den plüschnen Rocktaschen, auf und ab. Firmian sagte: »Gegen einen solchen Hasen gibt es leicht einen Feldscheu und einen Gartenzaun; aber was gehet es dich an, Liebe«, sagt' er, »und über was weinest du so sehr?« – Sie fing stärker an; da stemmte der Rat die Hände in die Seite und sagte zornig zu ihr: »So? Frau Armenadvokatin, solche schlechte Wurzeln fassen meine heutigen Tröstungen bei Ihnen? – Ich hätte mich dessen ganz und gar nicht vermutet. So hab' ich denn ganz umsonst, muß ich merken, Ihnen in meiner Kutsche, da ich die Ehre hatte, Sie von Augsburg hieher zu fahren, die großen Glückseligkeiten der Ehe, noch dazu, eh' Sie nur solche schon genossen, gleichsam in den Wind mit allem möglichen Feuer vorgehalten; und es ist Ihnen ordentlich alles wie weggeblasen, was ich Ihnen im Wagen sagte, wie selig eine Gattin durch einen Gatten wird, wie sie über seinen Besitz oft beinahe vor Freude weinen muß, wie beide nur ein Herz sind und ein Leib, und beide alles miteinander teilen, Freud' und Leid, jeden Bissen, jeden Wunsch, ja das kleinste Geheimnis ... Aber der Schulrat Stiefel ziehet, seh' ich, mit einer langen Nase ab, Frau Advokatin!«... Da überfuhr und trocknete sie heftig zweimal hintereinander die Augen, blickte ihn gewaltsam heiter mit den freundlichsten Augen an und sagte tief heraufgezogen, aber linde und nicht schmerzlich, nichts als: »Ach!« – Der Schulrat senkte seine Hand mit den bloßen Fingern auf ihre niederhängende wie ein Priester und sagte: »Der Herr aber sei Ihr Arzt und Helfer in allen Ihren Nöten (er konnte nun selber vor kommenden Tränen wenig mehr sagen), Amen, das heißet, ja, ja, es soll also geschehen.« Hier umarmte und küßte er den Mann, aber sehr warm und sagte: »Schicken Sie zu mir, wenn bei der Frau Liebsten kein Trost verfangen sollte – und Gott richte doch beide auf. – O... weswegen ich eigentlich da bin... Die Rezension vom Oster-Programm muß am Mittwoch fertig sein – ich schulde Ihnen auch acht oder mehr Zeilen Honorar für den letzten Wisch, dem Sie ein paar gute Wischer gegeben.«

      Aber als er geschieden war, blieb Lenette nicht so getröstet zurück, als man vermuten sollte; sie lehnte am Fenster, in ein tiefes, aber verzweifelndes Staunen und Sinnen verloren. Firmian stellte ihr vergeblich vor, daß er ja seinen oder ihren jetzigen Namen niemals mehr ändere und daß ihre Ehre und Ehe und Liebe ja nicht an elenden Namenzügen hängen, sondern an seiner Person und an seinem Herzen. Sie unterdrückte ihr Weinen, aber den ganzen Abend blieb sie bekümmert und schweigend.

      Niemand nenne aber den guten Firmian zu argwöhnisch, wenn er, der erst einen verunglückten Kirchenräuber der Ehe, den Venner, losgeworden, jetzo an einen vulkanischen Ausbruch denkt, der leicht über eine weite Strecke seines Lebens Steine und Asche werfen kann, wenn sein Freund Stiefel wirklich, wie es scheint, seine Lenette, obwohl schuldlos, liebgewonnen. Das ganze Verhalten desselben von den Höflichkeiten des Hochzeittages bis zu seinen häufigen Besuchen und bis auf seine heutige Erbosung über den Venner und auf seine Erweichung, alles das machte ein zusammengehörendes Gemälde einer innigen, wachsenden, obwohl rechtschaffenen und unbewußten Liebe aus. Ob ein versprungener Funke davon in Lenettens Herzen sich verhalte und nachglimme, das konnt' er noch nicht wissen; aber trotz der Rechtschaffenheit seines Freundes und seiner Frau mußte bei den jetzigen Verhältnissen sein Sorgen so stark als sein Hoffen sein.

      – Lieber Held! – Bleib aber einer! – Das Schicksal will, wie ich immer deutlicher merke, allmählich die einzelnen Stücke zu einer guten Drill-Maschine, um den Diamanten deines Stoizismus zu durchbohren, ineinander fügen, oder auch aus Dürftigkeit, häuslichem Verdruß, Prozessen und Eifersucht nach und nach britische Scher- und Seng-Maschinen geschickt zusammenbauen, um wie am feinsten englischen Tuche jede kleine falsche Faser wegzuscheren und wegzusengen. Wenn dergleichen geschieht, so komme nur als ein so herrlicher englischer Zeug aus der Presse, als je einer auf die Leipziger Tuch- und Buchhändlermesse geliefert worden, und du wirst glänzen.

      Viertes Kapitel

       Eheliche partie à la guerre – Brief an den haar-lustigen Venner – Selbertäuschungen – Adams Hochzeitrede – das Abschatten und Verschatten

      Ich beobachte nichts schärfer und protokolliere nichts weitläufiger als zwei Tag- und Nachtgleichen, die eheliche, wenn nach den Flitterwochen die Sonne in die Waage tritt, und die meteorologische draußen, weil ich imstande bin, aus der Witterung in beiden das Wetter wunderbar auf lange Zeit vorauszusagen. Am wichtigsten ist mir das erste Gewitter im Frühjahr und im Ehestand; die andern alle ziehen aus seiner Gegend her. – Als der Schulrat zum Hause hinaus war: umfaßte der Armenadvokat seine zürnende Huldin und überschüttete sie mit allen Beweismitteln, mit Beweisen zum ewigen Gedächtnis, mit halben Beweisen, mit Beweisen durch Augenschein, mit Haupteiden und Schlußfiguren, womit nur eigne Zärtlichkeit zu erhärten oder fremde zu bekehren ist. – – Der Beweistermin strich ohne Nutzen vorbei: er hätte ebensogut den harten kalten Taufengel in der Hauptkirche umhalsen können, so kalt und stumm verblieb der seinige. Der Pelzstiefel war der blutstillende Tourniket um Lenettens offne strömende Pulsader gewesen: durch sein Fortgehen hatt' er den Lerchenschwamm seiner Zunge von ihren Augen gezogen – und nun gossen sie ohne Maß darnieder.

      Siebenkäs ging oft ans Fenster und in die Kammer, um ihr zu verbergen, daß er sie nachahme und daß ihn ihr Schmerz, der so wenig vernünftig war, gleichwohl zu einem sympathetischen hinreiße. Man erträgt und verzeiht einen übertriebnen Kummer leichter, den man selber machte, als den andere verursachen. Den andern Tag drückte eine unausstehliche Stille das Zimmer. Da es bloß das erste Beet in der ehelichen Samenschule war, in das die Kerne zu Zankäpfeln gelegt wurden: so hörte man noch kein Rauschen der Saat dabei. Eine Frau vermags im ersten Zwiste noch nicht, sondern erst im 4ten, 10ten, 10000ten ist sie imstande, zugleich mit der Zunge zu verstummen und mit dem Torso zu lärmen und jeden Sessel, den sie wegschiebt, jeden Querl, den sie hinstreckt, zu ihrer Sprachmaschine und Sprachwelle zu verbrauchen und desto mehr Instrumentalmusik zu machen, je länger ihre Vokalmusik pausiert. Lenette Wendeline verrichtete und fragte alles so leise, als hätte ihr Ehe-Lehnpropst das Podagra und krümmte seine wunden Füße am zitternden Bettbrette.

      Den dritten Tag fiel es dem Propste verdrüßlich, und mit Recht. Ich bekenn' es, ich will mich gern und stark mit meiner Frau, wenn ich sie hätte, veruneinigen und ich bin bereit, mit ihr in einen Wortwechsel zu geraten statt in einen Briefwechsel; aber etwas würde mir ans Leben greifen, das lange trübe weinende Nachzürnen derselben, das wie der Schirokkowind einem Manne zuletzt alle Lichter, Gedanken und Freuden ausbläst und am Ende das Lebenslicht selber. So ist uns allen ein heftiges Gewitter im Sommer nicht unangenehm, eher erfrischend; aber man muß es verwünschen, bloß des elenden trüben nassen Wetters wegen, das darauf einfällt und einige Tage Bestand hat. Siebenkäs war desto verdrüßlicher, da er nichts in der Welt seltener war als eben verdrüßlich. Wie andere Juristen sich selber unter die torturfreien Menschen zählen, so hatte er sich längst selber durch den Epiktet so gegen die Folter der Seele, den Kummer, verteidigen lassen, wie er die Kindmörderin gegen eine andere verteidigt hatte. Die Juden glauben: nach der Ankunft des Messias werde die Hölle ans Paradies gestoßen, damit man einen größern Tanzsaal habe, und Gott tanze vor. – Siebenkäs tat das ganze Jahr lang nichts als alle seine Marterkammern und Kreuzschulen

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