Der Schokoladenverkäufer. Petrus Faller
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Das selbstgemachte und vollkommen unnötige Endzeit-Drama basiert auf der Weigerung, nicht nur das zu lieben, was Mann scheinbar besitzen kann, wie etwa Geld, eine auf Hochglanz polierte, bald selbstfahrende Gebärmutter, Immobilien, sinnstiftenden Nachwuchs oder eine geheiratete Frau – was ja heute auch nicht mehr funktioniert. Die Zeichen der Zeit fordern stattdessen vor allem die Männerwelt auf, endlich die Welt an sich, als Ganzes, ohne Wenn und Aber zu lieben und zu schützen. Tag für Tag für den Erhalt der Natur und die Shakti zu kämpfen, zu leben und allen Menschen zu dienen. Buchstäblich allen. Zu dienen, der Perfektionierung des eigenen Selbstbildes und Lebensstils zu entsagen, das ist Liebe. „Ich liebe Dich“ bezieht sich nicht nur auf das scheinbare Gegenüber. Das Wörtchen „Dich“ bedeutete schon immer „Alles“! Es stellt sich in den Dienst von Allen.
Es fehlt der Aufbruch der wahren Diener der Liebe. Es fehlt die große männliche Hingabe, der Menschheit und Umwelt jetzt als Ganzem ins Auge zu blicken, dem Versagen und grandiosen Scheitern gewahr zu werden und neue Schritte zu gehen – nur dann bricht die Panzerung des Herzens und dieser Planet hat eine Zukunft.
Womit wir verheißungsvoll und dramaturgisch unspektakulär beim Öffnen der Pralinenschachtel angelangt sind. Den weichen Kern, die zarte Füllung und die sinnliche Verführung herbeizusehnen – der Schokoladenverkäufer würde sich jetzt das französische Wort „Ganache“ auf der Zunge zergehen lassen – und gespannt die erste Praline zu erwarten.
In ergebener Dankbarkeit für alle KundInnen, Lieferanten, LKW-Driver, EinkäuferInnen, EinzelhändlerInnen, Paketzusteller, Großhändler, Spediteure, Banker und Katzen und Fans von Booja-Booja.
Mr. Booja-Booja
An dem legendären zartbitter-süßen Tag, als Mr. Booja-Booja1 in das gerade mal wieder grandios gescheiterte Leben des tränenüberströmten Schokoladenverkäufers trat, konnte dieser nicht im Geringsten ahnen, was ihn erwarten sollte.
„Alle können nur durch das Booja-Booja ins Unbekannte gelangen. Alle.“
Booja-Booja hatte bereits 25 Jahre zuvor spontan das Licht der Welt erblickt und mit ihm Mr. Booja-Booja. Diese zwei betörende Worte wurden damals geschaffen, um später als Schokoladen-Trüffel und Eiscreme-Kugeln die Welt zu beglücken und zu verzaubern.
Ein verrückter Narr und sein sinnlich-süßes Mantra waren geboren. Booja-Booja schallte zum ersten Male durch die manifeste Welt, als die Flowerpower-Bewegung der 1970er Jahre sich zu Ende neigte. Humor und Verführung manifestierten sich jetzt dort, wo sie dringender denn je gebraucht wurden. Aber tatsächlich vergingen noch einmal 20 Jahre, ausgenommen einer Kekse-artigen Experimentierphase, bis im Jahr 1998 in einem fernen Königreich, das sich selbst immer mal wieder als Insel bezeichnete, sich in Wirklichkeit aber als Kontinent fühlte, die von Mr. Booja-Booja weisgesagten, famosen Trüffel und die unwiderstehliche Eiscreme, unbeabsichtigt und ohne Vorahnung das vegane Licht der Welt erblickten.
Es war fast unmöglich gewesen, etwas Genaueres über den Businessplan, die Geschäftspraktiken oder die geheimen Rezepturen zu erfahren, ja über das Leben von Mr. Booja-Booja selbst. Allein das Wort „Booja-Booja“ zu „Bio-Schoko-Trüffel-Vegan“ werden zu lassen, hatte 20 Jahre gedauert. Die Welt der Maitres de Chocolat beobachtete damals mit einem müden Lächeln die Bemühungen der Booja-Booja Schokoladenmacher. Das war doch reine Blasphemie,was da ohne Milch und Sahne hergestellt und als Schokolade verkauft wurde.
Woher kam Mr. Booja-Booja? Wo und als was hatte er gearbeitet? Und wo waren seine Referenzen? Wollte er jemals etwas anders als durch Booja-Booja die Welt zum Lachen, ja zum hingebungsvollen Schmelzen bringen? Wer war dieser Mr. Booja-Booja überhaupt? Und was hatte der immer noch tränenüberströmte Schokoladenverkäufer damit tun? Das Einzige, was sich in alten Aufzeichnungen über Mr. Booja-Booja herausfinden lies, waren folgende verifizierbare Tatsachen:
Man sah ihn oft mit einen etwas traurig dreinblickenden, kleinen wuscheligen Hund, der sein ständiger Begleiter war. Ab und an beugte er sich zu ihm hinab und warf ihm liebevoll das Wort „Booja-Booja“ zu, sozusagen als Leckerli, um den Hund zu beruhigen, ihn liebevoll über den Kopf zu streicheln und ihm echte Aufmerksamkeit zu schenken.
Mr. Booja-Booja wurde ausschließlich mit einer gepunktete Mütze auf dem Kopf gesehen, sein weißes Leinenhemd war stets sehr weit aufgeknöpft, um der gewaltigen Hitze in seinem Körper einen Art Kamin zu gewähren, die dann allerdings die meisten Frauen und ab und an auch ein paar furchtlose Männer in sexuelle Ekstase versetzte, ja in einen Rausch. Er war ein verrückter, erleuchteter Narr. Verführung pur, hemmungslos und „very sexual“. Das Beste, was einem in dieser Welt passieren konnte.
Sein Lachen und sein Humor waren markerschütternd, wobei Mann und Frau seinen Hund nie ärgern sollten, da sonst ein gewaltiges Donnerwetter die Welt heimsuchte.
Der sich gerade wieder beruhigende Schokoladenverkäufer hingegen verbarg im ersten Teil seines Lebens seine wahre Identität. Er war weder roh noch gekocht, weder Fleisch noch Fisch, weder dafür noch dagegen, weder hü noch hott. Sein Leben spielte sich jenseits von Kommen und Gehen, von Reden und Schweigen, von Lieben und Hassen, kurz jenseits von Schokolade und Eisdiele ab. Er wartete nicht, er ging aber auch nicht. Mit allem, womit er zu tun hatte, wollte er eigentlich nichts zu tun haben. Überhaupt, das war sein Lebensmotto.
Seine Karriere als Verkäufer begann ausgesprochen früh. Im Alter von zehn Jahren verkaufte er auf dem Schulhof Aufkleber verschiedener Fußballvereine, die er zuvor aus einem Abfallcontainer einer Druckerei herausgefischt und zurechtgeschnitten hatte. Im Alter von 12 begann er ausgefallene Klamotten zu nähen, die er an seine Freunde verkaufte. Mit 15 saß er in verräucherten Kneipen, obwohl er weder trank noch paffte, seinen besten rauchenden und trinkenden Kumpels zur Seite, und spielte sehr erfolgreich Karten, da sein Freund ein verwegener Spieler war und alle Tricks und Schlichen kannte und diese auch perfekt einzusetzen wusste. Beide hatten immer genug Geld und waren gleichzeitig fasziniert vom Spiel, wie jeder echte Händler und jede wahre Händlerin im tiefsten Inneren ein verkappter Zocker oder eine verkappte Zockerin sein musste.
Der Schock kam mit Anfang 20, als er merkte, das dieses Geldspiel bitterer Ernst war, tatsächlich der Sinn des Lebens selbst, das einzige, was die Menschen der westlichen Welt wirklich interessierte. So setzte er eines Tages wieder einmal alles auf rot und erkannte im blendenden Licht der Kronleuchter, noch während das Roulette sich surrend drehte, dass die Kugel getürkt war und es hier in dieser bedingten Welt absolut nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren gab. Das Casino des Vollkonsums, die Manipulation unserer größten Wünsche, war nur eine tödlich-langweilige Freizeitbeschäftigung, eine grandiose Täuschung.
Geld, die wahnwitzigste aller Religion, die die Menschheit hervorgebracht hatte, war kein vergnügliches jugendliches Spiel mehr, das schlicht und ergreifend die Lebensgrundlagen sicherte, sondern immer nur noch mehr Täuschung, Macht und rohe Gewalt bedeutete und sicherte.
Er wartete erst gar nicht ab, wohin die Kugel fiel und verließ den mit schweren Vorhängen ausgekleideten Raum, sah ein letztes Mal in die auf einmal leeren Augen der leicht bekleideten, jungen Frauen im Casino und kehrte nie wieder. Von da an Bestand sein Verkaufsladen aus leeren Regalen, ja aus der Leere selbst.
Das materielle Dasein meinte es gut mit unserem Schokoladenverkäufer. Schon die Vorfahren hatten ihm vorausschauend und in großer Weisheit ein leergeräumtes Geschäft