Der Schokoladenverkäufer. Petrus Faller
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Und so verschwand er wieder und allmählich
Hinein in Einen Raum, keinem sichtbaren ähnlich.
Einen Ort, der immer schon sein Zuhause war,
Zurück zu seinen Freunden, Unbekannter Ruchira.
III
Das alte Jahr lag grad im Sterben und das neue trat hervor,
Da hörte schon das ganze Land
„Booja-Booja“ in seinem Ohr.
„Abgefahrenes Süßzeug, sag ich Dir!“
„Göttliche Verführung, jenseits von hier!“
Und alle, die der Versuchung nicht widerstehen,
Sind herzensfroh,
Denn diese Lebenszeit
Ist nicht verloren.
Mit rein oberflächlichem Knabber-Geschmack,
Tüten voll Klick und Riegeln von Klack,
Weil der Schoko-Macher hat sich selbst vergessen,
Und weggeschmissen, was er scheinbar besessen.
Nun am Ende unserer Geschichte ist alles Da.
Und ich bin mir sicher, wenn alles einmal war
Oder nur als Witz sich verflüchtigt hat in der Zeit,
Der Schokoladen-Macher
Hätt’ immer noch seine Booja-Booja-Heiterkeit.
Bloß froh, dass er erfuhr
Vertrauen und Liebe pur
Im Booja-Booja von mir und dir.
Den Hof machen
Zutaten: Charme, Humor, Charme, Chuzpe
Der Schokoladenverkäufer warf sich wild und ungebremst in den sich nun ausbreiteten Strom der Vermarktung. Er wechselte vom heiß geliebten Fahrrad in die blecheiserne, mit Plastik ausgekleidete Gebärmutter, die sich sogar in Embryonalhaltung in hoher Geschwindigkeit und neuerdings sogar mit Internet-Nabelschnur steuern ließ, und fuhr Land, auf Land ab, um die Welt mit köstlichsten, damals noch geheim gehaltenen, veganen Bio-Pralinen zu beglücken.
Die erste zielstrebig angesteuerte Anlaufstelle war immer das zentrale, meist sehr hässliche Parkhaus einer Stadt. Er zog seinen schweren dunklen Koffer, prall gefüllt mit legalen Drogen, aus der Heckklappe seiner Blechkiste. Zog den versenkten Griff an zwei langen Stangen aus der schwarzen Box, kippte sie leicht und rollte damit direkt ins freie Feld irgendeiner, immer-gleichen deutschen Fußgängerzone, die an einem brandneuen, strahlenden Morgen grauer und eintöniger nicht hätte sein können. Er nahm zwei, drei tiefe Atemzüge, schaltete seinen Verstand von Selbstzweifel auf Abenteuer und schritt schnurstracks in jeden Laden, der ihm subjektiv gefiel. Mit knapper, souveräner, deutscher Freundlichkeit wurde er am frühen, noch unbefleckten Morgen empfangen. „Haben Sie denn überhaupt einen Termin?“, tönte es, worauf er charmant und in gespielt verdutztem Ton konterte: „Haben Sie ihn etwa vergessen?“
So ein Schokoladenverkäufer mit dem Herz eines Wandermönchs war sich halt für nichts zu schade und er wusste bereits, dass letztlich nur die Angst, das Gesicht zu verlieren, die Grenze eines jeglichen Geschäftsdeals oder Liebesantrags darstellte. Man kam als strahlender, überzeugter Held, die Taschen voller Illusionen, und wurde entweder mit deutscher knapper Höflichkeit als unerwünschter Bittsteller wieder hinauskomplimentiert bzw. gleich abgewiesen oder als unerwarteter und langersehnter Schoko-Prinz gefeiert und umarmt. Dazwischen gab es nichts.
Der hohe Norden, bekannt für seine Kaffeehändler und steuergeldgierigen Konzerthäuser, schien allerdings nicht für Schokoladenprinzen gemacht worden zu sein. Die strahlend weiße Jacht, die zehntausendste Musicalaufführung waren erstrebenswerter als jeder vielfach ausgezeichneter, handgemachter, dunkelbraun bestäubter Edel-Schoko-Trüffel. Der Schokoladenverkäufer setzte mehrmals stolz die Segel – der Wind ging ihm bald, langsam aber sicher, auf die Nerven –, doch egal welchen Steg er ansteuerte, es war kein Land in Sicht. Er hatte noch nie so viele Krawatte tragende, gleich aussehende, gehetzte Menschen in einer Stadt gesehen, die sich in der Mittagspause ihre schicken, immer größer werdenden, prächtigen, männlichen Gebärmütter in der Waschanlage putzen und volltanken ließen. Kein Wunder, dass die Menschen dort zwischen zwei aufgeweichten, weißen, amerikanischen Weißbrotscheiben mit Form-Ei und Gurke endeten, aber ihren Namen nicht für dunkle, bitter-zarte Süchte hergaben.
Etwas weiter unten auf der Landkarte kam der Pott, den der Schokoladenverkäufer schon vor Jahren als Buchverkäufer bereist hatte, was in einem vollkommenen Desaster endete. Und es sollte ihm auch diesmal nicht besser ergehen: zwei Versuche, zwei Reinfälle. Auf der ersten Messe tropfte das Regenwasser durch die Decke der Messehalle und dementsprechend war der Umsatz, weniger als ein ganz kleiner Tropfen auf einem lauwarmen Stein. Beim zweiten Ausstellungsversuch begrub die Dekoration den mehr als gutmeinenden Schokoladenverkäufer gleich zu Beginn unter sich. Es sollte der schnellste Messeabgang aller Zeiten werden. Der Pott musste warten, wurde verschoben auf die nächsten Inkarnation. So sorry!
Rechter Hand, wenn man von oben auf das Display schaute, links wenn man von oben kam, lag nun praktischerweise die gerade wieder frisch erblühende Hauptstadt, die ja keiner angeblich begrenzten Nation erspart wurde: Berlin. Um es gleich vorwegzunehmen, der Schokoladenverkäufer fühlte nach 10 Minuten Subway-Fahrt: „I am a New Yorker!“
Berlin, Anfang der Zweitausender. Der Schokoladenverkäufer merkte schon sehr bald, dass man hier in den Geschäften mit süßer, sanft bestäubter Freundlichkeit nicht sehr weit kam. Diese offene, edle Schokoladen-Andacht war für jeden Berliner ein Affront. Der Schokoladenverkäufer war eine ganz andere Stimmlage gewohnt, die traditionell badische Symphonie, die immer interessiert, halb schwebend, torkelnd und etwas selbstverliebt den heimeligen Raum erfüllte. In Berlin wurde grundsätzlich geschrien, angemacht oder überhaupt nicht zugehört. Jedes Angebot und Nachfragen war eine Kriegserklärung und überhaupt war alles viel zu teuer. Irgendwann war es unserem Schokoladenverkäufer klar, dass es „die“ Berlinerinnen und Berliner überall und unter gewissen Umständen mit jedem Riegel machen würden, Hauptsache billig, aber sexy. Handgemachte Schokolade ging ihnen am Arsch vorbei.
Der pure Größenwahn war damals die Essenz dieser Stadt und der Schokoladenverkäufer wunderte sich abermals über Werbeikonen und berühmte Geschichtenschreiber und ihre Gazetten, die absurd süße Dinge in den Hauptstadthimmel hoben, die jegliche Qualitätsprüfung nie hätten standhalten können. Diese angeblichen Erfolgstorries aus der süßen Wirtschaft mussten aus den Evangelien inspiriert worden sein, denn ohne blinden Glauben und unfreiwillig teuer erkauftem Taufbekenntnis entbehrten sie jeder kaufmännischen Realität. Nach zwei Minuten Verkaufsgespräch wusste der Schokoladenverkäufer, dass das nichts werden konnte. Leider, leider behielt er wie so oft recht.
Das geliebte Berlin lief deshalb für die nächsten Jahre unter dem Titel „Größenwahn mit Vorkasse“ oder abgemildert als „Gehypetes Start Up mit Lastschrifteinzug“. Es gab in jenen Jahren für Schokoladenverkäufer keinen unsteteren Platz als Berlin. Erst als dann endlich Millionen von Touristen und fleißige, aufgeräumte Schwaben die Stadt überrannten, kam die Verschlimmbesserung. Es war zwar immer noch