Tod einer Kassenpatientin. Rainer Bartelt

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Tod einer Kassenpatientin - Rainer Bartelt

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würden. Und nun wollten sie sie auch noch abschieben. Einfach so, von jetzt auf gleich!

      Aber was gab es für mich für Alternativen? Welchen Sinn würde eine Weigerung meinerseits machen? Am Ende gab ich nach und stimmte zu, Gerda in ein mir vollkommen unbekanntes Pflegeheim zu verlegen, auch wenn ich kein gutes Gefühl dabei hatte. Der Klinikdame war das egal. Gerdas Verlegung ins Heim wurde schneller in die Tat umgesetzt, als ich auf Dienstreise gehen konnte. Nach dem morgendlichen Telefongespräch war sie schon mittags im neuen Zuhause, während ich – anstatt wie geplant zum Bahnhof zu fahren – in ihrem eigentlichen Wunsch-Pflegeheim saß und mit der Verwaltung darüber diskutierte, wie man Gerdas spätere Rückkehr in ihre eigene Wohnung am besten organisieren könne. Erst danach fuhr ich zum Bahnhof.

      Abends berichtete mir Petra per Telefon von Gerdas ersten Erfahrungen mit der Kurzzeitpflege: Nicht Petra, sondern unsere Nachbarin Yvonne hatte mit ihrer Tochter meine Mutter als Erste in ihrem neuen Zimmer besucht, dabei Gerda bildlich gesprochen auf (noch) gepackten Koffern vorgefunden mit dem dringenden Wunsch, dort sofort weggeholt zu werden. Hier wolle sie auf keinen Fall auch nur eine einzige Stunde länger bleiben.

      Bis heute ist mir nicht klar, denn weder Yvonne noch Petra noch Gerda selbst – mit der ich kurz danach telefonierte – konnten mir genau Aufschluss geben, was denn nun an diesem für ihre Kurzeitpflege von der Klinik ausgewählten Pflegeheim so schrecklich war, dass man es dort nicht wenigstens vorübergehend ein paar wenige Tage aushalten konnte. Sicher es war ein altes Gebäude (das ehemalige Arbeitsamt, das mir vor Jahrzehnten zu meiner jetzigen Arbeit verholfen hatte), rein optisch auch nicht besonders sorgfältig renoviert, in den Fluren roch es zudem etwas unangenehm. (Nach Urin, meinte Petra) Aber das Zimmer war ausreichend eingerichtet, das Essen war okay, es gab ein Atrium und sogar ein kleines Restaurant und eine gemütliche Sitzecke im Flur. Auf meinen beruflichen Reisen war ich nicht selten bescheidener einquartiert.

      Vielleicht missfiel Gerda die Tatsache, dass sie das Badezimmer mit einer anderen Frau teilen musste, aber auch das war nicht anders als in der Klinik. Im Nachhinein erscheint mir am wahrscheinlichsten, dass die ihr unbekannten Pflegekräfte weniger freundlich oder hilfsbereit waren als erwartet und dass es gleich am Anfang ihres kurzen Aufenthaltes kontroverse Diskussionen über ihre medizinische Versorgung und anderes gegeben hatte. Aufschluss hätte ich vielleicht erhalten, wenn ich miterlebt hätte, wie sie sich vier Tage später vom Pflegepersonal verabschiedete. Als sie endlich feststellen konnte, dass es in dieser von ihr als Hölle auf Erden wahrgenommenen Unterkunft für sie persönlich nichts mehr zu befürchten gab und es jetzt endgültig zurück in ihre Wohnung ging, schrie sie ihren Frust heraus, dass die Wände wackelten. Das Personal war zutiefst erschrocken über diesen plötzlichen Wutausbruch und Petra ebenso. Ich bekam von alledem leider nichts mit, weil ich gerade Muttis Koffer und ihre anderen Utensilien im Auto verstaute. Jedenfalls trauerte Gerda diesem Pflegeheim keine Minute nach, und umgekehrt war es wohl genauso.

      Auch zuhause Albtraum ohne Ende

      Der zweite Klinikaufenthalt und die nachfolgende Kurzzeitpflege markierten einen deutlichen Wendepunkt in Gerdas neuer Karriere als Pflegeperson. Schon als sie noch in dem von der Klinik ausgewählten Pflegeheim war, wurde uns klar, dass die von der Krankenkasse geförderten Maßnahmen der Pflegestufe 1 nicht ausreichend waren. Und dass der allgemeinmedizinische Teil des MDK-Gutachtens nicht den Tatsachen entsprach. Petra und mir war wichtig, dass Mutti deutlich mehr trank, richtig aß und sich in ihrer Wohnung mehr bewegte, damit sich ihre Magenprobleme besserten. Wir waren uns einig, Medikamente allein würden dabei nicht helfen.

      Glücklicherweise unterschrieb Gerda noch im Heim eine Generalvollmacht auf meinen Namen mit Petra als Zeugin. Wir waren erschrocken, als wir sahen, dass Mutti schon so zittrig und schwach war, dass sie kaum noch ihre Unterschrift auf das Papier brachte. Nur zwei Monate zuvor hatte sie noch ohne Mühe ganze DIN-A4-Seiten mit lesbarer Handschrift vollgeschrieben, meistens Briefe an meine Schwester Eva. Das Erlebnis im Pflegeheim berührte mich so sehr, dass ich noch am gleichen Tag einen ausführlichen Widerspruch gegen das Gutachten der Medizinischen Dienste formulierte und per Einschreiben an die Krankenkasse sandte. Dabei widersprach ich auch den Aussagen des MDK-Gutachters über die tägliche Trinkmenge („ca. 1500 ml selbstständig“) und Muttis Stuhlgang („regelmäßig und täglich“). Unter anderem schrieb ich:

      „Diese Aussagen sind einfach unwahr. Dies ist belegt durch einen kurz nach der Untersuchung stattgefundenen Notarzteinsatz (Protokoll=Anlage 1) und einen nachfolgenden stationären Klinik-Aufenthalt, bei dem meine Mutter als dehydriert diagnostiziert wurde, mit vollständig nicht funktionierenden Verdauungsorganen.

      Der Gesundheitszustand meiner Mutter hat sich seit der Untersuchung durch den MDK nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert: Sie ist antriebsschwach, depressiv mit Tendenz zur Suizidgefährung und hat – zusätzlich zur Neigung zur Dehydrierung - Harninkontinenz in einem Ausmaß, dass ihr Einlagen nur noch bedingt weiterhelfen.

      Wenige Tage danach, Gerda war inzwischen wieder in ihrer Wohnung, war ich gezwungen, erneut über ihren Gesundheitszustand zu berichten. In einer E-Mail an den ambulanten Pflegedienst schrieb ich: „Sehr geehrte Frau..., leider hat meine Mutter gestern Abend einen gesundheitlichen Rückfall erlitten, der sich durch erneutes Übergeben mit Magenschmerzen geäußert hat…

      Zu allem Unglück fing Gerda an, außerdem noch über starke Schmerzen beim Wasserlassen zu klagen: Blasenentzündung, vermutlich ein Souvenir aus der Kurzzeitpflege im Katastrophenheim! Jetzt musste der neue Hausarzt ran, um schnell zu helfen, doch der konnte nicht kommen, weil im Erholungsurlaub. Der Vertretungsarzt kannte meine Mutter nicht und wollte sie ohne Untersuchung nicht mit Medikamenten versorgen. Ihre erste Urinprobe ging dann auf dem Transport durch den Pflegedienst auch noch verschütt (buchstäblich!), also musste Gerda noch einen weiteren Tag länger auf Abhilfe warten. Unsere liebe Nachbarin Yvonne machte mir die Hölle heiß: „Mit einer Blasenentzündung ist nicht zu spaßen. Die Bakterien wandern den Körper hoch zur Niere, und dann ist Feierabend! Ich habe dasselbe bei meiner Mutter erlebt und mache mir noch heute Vorwürfe, dass ich damals nicht schnell genug gehandelt habe. Du musst sofort was tun, Rainer!“ Gut gesagt, aber was sollte ich, was konnte ich tun?

      Endlich war das Rezept des Vertretungsarztes da und der Fahrdienst der Apotheke auf dem Weg, um das dringend benötigte Antibiotikum zuzustellen. Am gleichen Abend beschwerte sich meine Mutter bei mir: „Die Schwester hat heute Nachmittag Sturm geklingelt, ich fand‘ das einfach unerhört, mich so zu stören!“ „Warum bist du denn nicht an die Tür gegangen?“ „Warum sollte ich, sie hat doch einen Schlüssel zu meiner Wohnung!?“ Ich glaube, in diesem Moment zweifelte ich das erste Mal am klaren Verstand meiner Mutter. Natürlich war es nicht die Pflegekraft, die Sturm geklingelt hatte – denn die hatte ja einen Schlüssel, wie meine Mutter wohl wusste –, sondern der Fahrdienst der Apotheke, der verzweifelt versucht hatte, seine dringend erwartete Lieferung an den Mann zu bringen. Währenddessen lag Gerda im Bett, wartete mit Ungeduld auf ihre Medikamente und rückte und rührte sich nicht. Am Ende holte ich die Pillen tags darauf selbst in der Apotheke ab und sorgte dafür, dass meine Mutter sie der Vorschrift nach einnahm. Allerdings war seit den ersten Schmerzen schon eine ganze Woche verstrichen, eine Zeit, die die Bakterien sehr wahrscheinlich genutzt hatten, um sich – ausgehend von Gerdas Blase – in ihrem Körper auszubreiten.

      Bekanntlich scheißt der liebe Gott immer auf den größten Haufen, und der Teufel macht es anscheinend ebenso. Gerade dachten wir, die Situation hätte sich etwas beruhigt und man könne jetzt mit geringeren Sorgen als zuvor den noch ausstehenden Termin der urologischen Untersuchung in der Klinik abwarten, da ging Gerdas einzige einigermaßen funktionstüchtige Brille zu Bruch. Wie, das war nachträglich nicht mehr in Erfahrung zu bringen. Nur dass umgehend Ersatz beschafft werden musste, daran gab es keinen Zweifel, denn ohne Brille war Gerda praktisch blind. Sie war stark weitsichtig und konnte ohne ihre Sehhilfe weder lesen noch fernsehen noch Kreuzworträtsel lösen (bis

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