Die Glocken der Stille. Arber Shabanaj

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Die Glocken der Stille - Arber Shabanaj

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unterzubringen, sobald er erfuhr, dass ich Journalist war. Schon möglich, um mir damit eine Art „Kommodität“ gestalten zu wollen, hielt er für mich sogar den Nebensitz frei.

      Während der Fahrt, als sich jemand dort hinsetzen wollte, argumentierte der Fahrer spontan, der Sitz sei für den Gutachter reserviert, der feststellen würde, ob sein Bus noch fahrtüchtig sei und der würde während der Fahrt dazusteigen.

      „Sie wurde von mir erfunden, die Geschichte mit dem Gutachter.“, sagte der Fahrer, nachdem wir die ersten einhundert Meter gefahren waren. Damit wollte er mir wohl klar machen, dass er den Platz für mich freihielt, um mich nicht mit einem weiteren Fahrgast zu belästigen.

      „᾿Bruder‘(! ...), der vermeintliche Gutachter taucht kaum auf.“, beschwerte sich einer der Fahrgäste. Derselbe sagte, dass er von Übelkeit heimgesucht wird, wenn er stehen müsse.

      Zwischenzeitlich stand ich kurz davor, dem Fahrer zu sagen, den Sitz jenem Fahrgast anzubieten, als plötzlich zwischen den Haltestellen auf dem Weg jemand stand und mit Gesten ums Anhalten bat.

      Der Fahrer machte eine Ausnahme und hielt an! Ein junger Mann, mit einer Narbe an der rechten Wange, stieg ein. Irgendwie, sobald ich denjenigen sah, tauchte auf einmal in meiner Erinnerung Mark auf, Frau Dudens Sohn, mit der charakteristischen Narbe, die ihn unvergesslich machte.

      „Wie geht es, Freund?“, fragte der Junge mit einer Art Naivität, die dir bestätigte, dass du es mit jemandem zu tun hattest, der nicht allzu oft aus dem Haus kam, um sich auf eine Reise zu begeben.

      „Aus der Stadt W. kommst du?“, fragte ich ihn.

      „Nein“, antwortete er mir, „doch um etwas zu erledigen bin ich in die Stadt W. gekommen.“

      Ich schaute ihn prüfend an.

      „Und du“, fragte er mich, „woher kommst du?“

      „Aus Berlin bin ich.“, war meine Antwort.

      „Lehrer sind Sie?“, fragte erneut der junge Mann, und schaute auf mein Buch, das ich gerade aufgeschlagen hatte.

      „Als Lehrer hatte ich die Universität abgeschlossen, doch arbeite ich als Journalist.“

      „Einmal haben sie auch über mich geschrieben.“, meinte der Junge und atmete tief ein. „Schon möglich, dass du es gelesen hast: ᾿Der Junge mit der Narbe‘.“

      In der Tat erinnerte ich mich an die Schrift und die Diskussion, die der Artikel in unserer Redaktion ausgelöst hatte. Unabhängig davon, dass jener bei der „Allgemeinen“ veröffentlicht wurde. Der Redaktionschef war baff, dass Menschen etikettiert werden durften, sowohl in den Titeln, als auch in der Schrift. Gerd, der Vizechef, fügte hinzu, dass es nicht seriös wäre, der Erzählung einen derartigen Titel zu geben, wie: „Behinderter, der den Normen entspricht“, oder „Blinder, der sich selbst gefunden hat“.

      „Hast du jemanden in W.?“, fragte ich ihn.

      Der Junge wirkte plötzlich mitgenommen, doch gleich beherrschte er sich wieder.

      „Wie soll ich sagen … Ich bin einfach so hier wegen einer Sache. Es ist das erste Mal für mich und ich kenne keinen hier.“

      „Dann wirst du in einem Hotel buchen müssen?“, fragte ich ihn weiter, überzeugt davon, dass er sich auch so verhalten würde.

      „Doch, doch.“, antwortete er mir. „Möglicherweise wird mein Aufenthalt sich um einen weiteren Tag verlängern.“

      Der Bus hatte letztendlich nicht mehr mit den ausgebesserten Schlaglöchern zu tun und so schüttelte er uns nicht mehr so sehr.

      „Hast du Eltern?“, fragte ich ihn.

      „Ja.“, antwortete er kurz und bündig. „Ich habe Mutter und Vater.“

      „Sie arbeiten, sicherlich.“, fragte und bejahte ich, abgesehen von dem Alter des jungen Mannes mit der Narbe.

      „Ah, nein.“, sagte er und atmete erneut tief ein. „Sie sind in Rente.“

      Danach floss unser Gespräch leichter über mehrere Tagesprobleme, über die Sportsphäre und eher weniger über Themen des Kunst- und Kulturlebens. Der Junge mit der Narbe lebte in einem Dorf. Vor kurzem hatte er seinen Wehrdienst in einer Panzerbrigade beendet und jetzt arbeitete er als Traktorfahrer und Erntehelfer. Diese Kontinuität, wie es scheint, könnte den Korrespondenten der „Allgemeinen“ beeinflusst haben über ihn zu schreiben. Denn, wäre der einmalige Titel nicht gewesen, wäre der Text an dem Tag danach schon vergessen.

      Es war nur logisch, dass wir beide uns an das Hotel „Inter City“ wandten, das ich bereits gut kannte und damit der Junge sich ebenfalls ein Zimmer mieten konnte.

      „Wie heißt du?“, fragte ich ihn.

      „Flober.“, antwortete er und ich zuckte zusammen. „Flober Marsch.“

      „Und du?“

      „Skipetar Sotti.“, antwortete ich und gab ihm die Hand.

      Mein Hotelzimmer war schön, möglicherweise war es das gleiche Zimmer, in dem ich vor drei Jahren übernachtet hatte. Auch das Zimmer von Flober war gemütlich eingerichtet.

      Da die Reise nach W. nicht von kurzer Dauer war, spürte ich die Notwendigkeit sobald wie möglich Mittag zu essen.

      „Flober“, sagte ich, „willst du Mittag essen?“

      „Ja.“, antwortete er, und wie ein treues Lamm folgte er mir. Dennoch war ich dabei, ihn wie einen Reisebegleiter und Kumpel zu betrachten.

      Das Restaurant war das Gleiche: Mit den Tischbezügen und mit dem Standardwandfarbton und durch die Bilder aufgefrischt. Der einzige Unterschied waren die Menükarten auf den Tischen und die Baumwollgardinen. Aus der Anlage erreichte uns eine klassische Musik und ab und an war das Klappern der Deckel der Kochtöpfe und der Pfannen aus der Küche minimal zu hören.

      Es war zu erkennen, dass Flober selten in einem Restaurant war und er bevorzugte das gleiche Menü zu kosten, was ich bestellt hatte.

      Während der Junge, wie jeder neuankommende Besucher, sich bemühte, mit dem Restaurant vertraut zu werden, landeten meine Augen auf dem Tisch am Fenster, dort wo - wie damals auch -, ein Blumenstrauß stand. Es war der Tisch vom Mark und Flora.

      Ich war mir sicher, dass sie nicht mehr hierhin kommen werden, weil die Beiden jetzt ein richtiges Paar sein mussten. Sie hatten ihr Zuhause und hierher kämen sie höchstens, um sich an ihre jungen Zeiten zu erinnern.

      „Flober, du hast einen sehr interessanten Namen.“, sagte ich ihm. „Wie es scheint, waren deine Eltern große Sympathisanten des Gustave Flaubert, von der ᾿Frau Bovary‘.“, fügte ich hinzu, überzeugt davon, dass jemand mit dem großen französischen Schriftsteller sympathisierte und ihm dessen Nachnamen als Vorname gewidmet hatte.

      „Ah, nein Skipetar“, sagte er und schien dabei zu überlegen, „viele Menschen haben das Gleiche behauptet. Doch weder Mutter, noch Vater sind belesen. Sie sind ganz einfache Menschen, Landarbeiter.“

      „Nun dann, woher?“, bestand ich darauf, obwohl mir im Klaren war, dass ich meine Art der Fragestellung damit übertraf.

      „Prost,

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