Verlorene Fassung. Ute Dombrowski
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Seit Susanne vor fast einem halben Jahr hierher versetzt worden war, hatte sie sich immer besser gefühlt. Sie war angekommen, auch wenn das Schicksal direkt zu Beginn ihres Lebens in Eltville nochmal grausam zugeschlagen hatte: Karin, ihre erste Bekannte an diesem Ort, die dann ihre Vermieterin und Freundin geworden war, war tot. Ermordet. Es war eine schwere Zeit, doch sie hatten den Täter überführt. Lia, Karins Freundin und das eigentliche Opfer des Arztes, war im März zu ihrer Schwester nach Italien gezogen und Susanne fühlte sich seitdem recht einsam.
Sie ging jetzt regelmäßig zum Training und Marcel, der Meister der Kampfkünste, hatte sie auf ihrem Weg aus der Wut begleitet. Sie hatte ihn noch immer nicht von den Beinen geholt, wenn sie miteinander kämpften, aber das machte Susanne nicht mehr verrückt.
So, wie er es prophezeit hatte, war sie ruhiger geworden und konnte ihre Wut auf sich endlich begreifen. Marcel hatte sie zu sich selbst geführt, besser, als jeder Psychologe es gekonnt hätte. Auch Ferdinand hatte sie schon gelobt, wenn sie statt mit überschießender Energie mit Ruhe und Gelassenheit an einen Fall herangegangen war. Robin hatte genickt, wenn sie vom Training erzählte.
„Ich wusste es. Du bist ganz anders, wenn du nicht wütend bist. Und ich wusste, dass du dir verzeihen kannst.“
Ja, sie hatte sich verziehen. Die Strafversetzung konnte und wollte sie nicht rückgängig machen, doch sie litt nicht mehr darunter und sie konnte mit Abstand an die Sache in Potsdam denken.
Nur mit einem hatte sie nach wie vor keine Berührungspunkte: Eric war abweisend, kühl und arrogant. Manchmal erwischte sie sich zwar dabei, wie sie an den Kuss dachte, der so viel Sehnsucht ausgelöst hatte, aber dann wischte sie den Gedanken rasch weg, denn das Gespenst Bianca würde immer zwischen ihnen stehen.
Gestern hatte sich nach langer Funkstille ihr Exfreund Phillip gemeldet, der sich sofort nach ihrer Abreise mit anderen Frauen getröstet hatte. Er berichtete bei seinem Anruf von einer neuen Kunstausstellung, denn er war sehr kreativ und fleißig gewesen.
„Ich habe neue Energien in mir gespürt! Als du weg warst, hat es mich wieder in den Fingern gejuckt und nun habe ich eine Ausstellung in Wiesbaden, also ganz in deiner Nähe. Dann werde ich endlich eine Gelegenheit haben, dich wiederzusehen.“
„Ah ja“, hatte Susanne nur gesagt.
„Ich vermisse dich immer noch wahnsinnig. Vielleicht gibt es einen Neuanfang für uns. Jetzt kann ich mir auch vorstellen zu pendeln. Deine Mutter würde das sehr freuen.“
Na prima, dachte Susanne, da kann ich doch gar nicht nein sagen, wenn ich meiner Mutter eine Freude machen kann mit einer aufgewärmten Beziehung. Früher hätte sie ihn angeschrien und getobt, heute fühlte sie sich überlegen und besonnen.
„Ich muss viel arbeiten und weiß nicht, ob ich Zeit habe. Wir können ja nochmal telefonieren. Mach‘s gut.“
Phillip war damals anscheinend so überrascht gewesen, als sie ihn nicht beschimpfte, dass er nicht einmal nachhakte und sich ebenfalls brav verabschiedete.
Sie lächelte, stand auf und ging dann in Richtung Altstadt. Heute war seit drei Wochen ihr erster freier Tag. Sie hatten einige Fälle gehabt, die viel Zeit in Anspruch genommen hatten, aber nun war es ruhig und die Verbrecher wollten ihr wohl nicht den Frühling vermiesen. Sie schlenderte durch die Altstadt, kaufte sich ein Eis und grüßte den einen oder anderen, denn sie hatte die Leute in ihrer Nachbarschaft bereits kennengelernt. Nicht, dass sie enge Kontakte geknüpft hatte, nein, das wollte sie nicht. Es war einfach ein freundliches Miteinander.
Susanne lenkte ihre Schritte zurück zum Rheinufer, um noch eine Weile in der Sonne zu sitzen. Ihr Telefon klingelte und sie schnaufte, als sie sah, dass es ihre Mutter war. Am liebsten wäre sie nicht dran gegangen, doch ihre Mutter würde es hartnäckig immer weiter versuchen.
„Hallo Mama“, sagte sie freundlich. „Was gibt es denn?“
„Ich hoffe, du gehst mit Phillip vernünftig um und fauchst ihn nicht wieder an, wenn ihr euch trefft.“
Susanne war nicht mehr erschüttert, dass ihre Mutter nicht einmal eine Begrüßung für sie erübrigen konnte, nein, sie kannte das bereits und ließ es an sich abprallen.
Ihre Mutter redete ununterbrochen weiter, wie stolz sie auf Phillip war. Susanne hörte geduldig zu, aber als sie nun auch noch stolz sein sollte, erklärte sie mit ruhiger Stimme, dass sie ja nicht wüsste, was Phillip geschaffen hatte, also müsste sie sich die Kunstwerke erst ansehen.
„Es ist traumhaft, Farben und Formen, die förmlich explodieren.“
Susanne wollte etwas erwidern, kam aber nicht zu Wort.
„Aber du hast dich ja nie für seine Kunst interessiert. Es war dir nicht gut genug. Du hast solch einen Mann gar nicht verdient, aber er möchte dich unbedingt zurückerobern.“
„Mama, ich bin auf der Arbeit angekommen und muss auflegen.“
Nachdem sie das Handy in die Hosentasche geschoben hatte, atmete sie mehrmals tief durch. Sie wollte sich den Tag nicht verderben lassen, doch wie immer tat es weh, dass sie ihrer Mutter nichts rechtmachen konnte. Sie hatte immer gehofft, diese Frau würde einmal für sie eintreten, aber diese Hoffnung musste sie schon vor langer Zeit aufgeben.
Ein Schiff fuhr langsam stromaufwärts. Susanne sah ihm hinterher und freute sich, als jemand winkte.
„Das ist aber nett“, flüsterte sie.
In ihrer Hosentasche vibrierte es. Wer konnte das sein? Mutter? Phillip? Die Neugier siegte und sie war froh, als sie Robins Nummer sah.
„Hallo Susanne, ich weiß, du hast frei, aber vielleicht interessiert es dich, dass wir eine Leiche haben.“
„Ach du je! Wo denn?“
„In den Weinbergen. Ich bin eben losgefahren. Magst du mitkommen?“
Einen freien Tag gegen eine Leiche eintauschen? Eigentlich wollte sie gar nichts tun, aber Robin zu einem Tatort zu begleiten war schon etwas Besonderes. Und morgen würde sie sich sowieso damit beschäftigen müssen. Sie seufzte.
„Ich bin am Rheinufer, kannst du mich abholen?“
„Ja, komm zum Anleger, dann sammle ich dich ein.“
Eine Viertelstunde später saß Susanne neben Robin im Auto. Er entschuldigte sich nochmals, dass er sie angerufen hatte.
„Ach, das macht nichts. Ich wollte mich zwar ausruhen, aber eine Leiche toppt alles. Weißt du Näheres?“
„Nein, nur, dass es ein männlicher Toter sein soll. Er liegt bei einer Schutzhütte. Die Spusi ist bereits dort.“
Robin grinste.
„Ferdinand meinte, ich soll dich anrufen und fragen, ob du mitkommen möchtest.“
„Aha, ihr denkt also, ich bin so eine, die nur die Arbeit im Kopf hat. Dabei gibt es andere interessante Dinge in meinem Leben.“
„Zum Beispiel?“
Susanne lachte.
„Erwischt. Gut, ich gebe zu, es gibt nichts Spannenderes