Ben Hur. Lewis Wallace

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Ben Hur - Lewis Wallace

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      »So nennt man mich,« erwiderte Josef und wandte sich um.

      »Und du?« – O, Friede sei mit dir, mein Freund, Rabbi Samuel!«

      »Das gleiche wünsche ich dir!« Der Rabbi hielt inne, blickte auf die Frau und fügte dann hinzu: »Friede sei mit dir und mit deinem Hause und mit all den Deinigen!«

      Beim letzten Worte legte er eine Hand auf die Brust und verneigte sich gegen die Frauengestalt. Diese hatte, um ihn zu sehen, den Schleier etwas zurückgezogen, so daß ihr Antlitz sichtbar wurde. Sie schien erst seit kurzem dem Mädchenalter entwachsen zu sein.

      Die Männer reichten einander die Hand, dann fragte der Rabbi:

      »Ihr habt also einen langen Weg vor euch; doch nicht bis Joppe?«

      »Nein, nur bis Bethlehem.«

      Der bisher offene und freundliche Blick des Rabbi verfinsterte sich, und aus seiner Kehle kam es wie ein Geknurre herauf.

      »Ja, ja, ich verstehe,« sagte er. »Du bist in Bethlehem geboren und gehst nun mit deiner Tochter dahin, dich der kaiserlichen Verordnung gemäß wegen Besteuerung einschreiben zu lassen. Den Kindern Jakobs ergeht es wie einst den Stämmen in Ägypten; nur haben sie jetzt weder einen Moses noch einen Josua. Wie tief sind doch die Mächtigen gesunken!«

      »Sie ist nicht meine Tochter,« antwortete Josef. »Sie ist das Kind Joachims und Annas aus Bethlehem, von denen du sicher gehört hast, denn sie standen in hohem Ansehen –«

      »Ja,« bemerkte der Rabbi ehrerbietig, »ich weiß von ihnen; sie stammten in gerader Linie von David. Ich kannte sie gut.«

      »Nun, sie sind schon tot,« sprach Josef weiter. »Sie starben in Nazareth. Joachim war nicht reich; doch hinterließ er ein Haus und einen Garten seinen beiden Töchtern Marian und Maria. Diese ist eine von ihnen; um ihr Erbteil sicherzustellen, mußte sie nach Vorschrift des Gesetzes ihren nächsten Verwandten heiraten. Sie ist nun meine Gattin.«

      »Und du warst –«

      »Ihr Oheim.«

      »Ja, ja! Da ihr beide in Bethlehem geboren seid, zwingt dich der Römer, sie dorthin mitzunehmen, damit auch sie aufgeschrieben werde!« Der Rabbi schlug die Hände zusammen, blickte flammenden Auges gegen den Himmel und rief: »Noch lebt der Gott Israels! Sein ist die Rache!«

      Mit diesen Worten wandte er sich ab und entschwand. Auch Josef und seine Gattin brachen bald auf. Sie zogen zum Tor hinaus und wandten sich dann links, um die Straße nach Bethlehem zu nehmen. Auf holperigem Wege an vereinzelten wilden Ölbäumen vorbei kamen sie in das Hinnomtal. Voll zärtlicher Sorge schritt Josef, den Leitriemen in der Hand, an der Seite seiner Gattin.

      Die Sonne brannte heiß auf die steinige Fläche der berühmten Örtlichkeit. Maria, die Tochter Joachims, zog daher den Schleier weg und entblößte ihr Haupt. Sie schien nicht älter als fünfzehn Jahre zu sein. Gestalt, Stimme und Haltung deuteten an, daß sie das Mädchenalter noch nicht lange verlassen hatte. Ihr Angesicht war länglichrund, seine Farbe mehr blaß als hell. Die Nase war tadellos, die leicht geöffneten Lippen waren voll und rot und gaben den Mundlinien einen Ausdruck von Zartheit, Wärme und Vertrauen. Die Augen waren blau und groß und von gesenkten Lidern mit langen Wimpern beschattet. Reiches, goldfarbenes Haar in der Tracht der jüdischen Bräute fiel, um ihr Bild vollkommen zu machen, über ihren Rücken lose bis zum Sattelkissen herab, auf welchem sie saß. Ihre ungewöhnliche Schönheit wurde noch erhöht durch einen Hauch von Reinheit, den nur die Seele verleihen kann, und durch einen Zug von Verklärung, wie er jenen eigen ist, die ihren Geist vorzugsweise auf das Überirdische richten. Oft erhob sie, während die Lippen still sich bewegten, die tiefblauen Augen zum fast minder blauen Himmel, oft faltete sie die Hände auf der Brust wie zum Lobe Gottes und zum Gebete. Von Zeit zu Zeit blickte Josef mitten in seiner Erzählung nach ihr, und wenn er ihren verklärten Gesichtsausdruck sah, vergaß er seinen Gegenstand und schritt gesenkten Hauptes und voll Verwunderung den beschwerlichen Weg weiter.

      So durchwanderten sie die ausgedehnte Ebene und erreichten endlich die Anhöhe Mar Elias, Von hier erblickten sie durch ein Tal Bethlehem, dessen weiße Mauern einen Hügelkamm krönten und aus dem Braun blätterloser Gärten hervorleuchteten. Hier hielten sie Rast und stiegen dann ins Tal hinab, wo ein großes Gedränge von Menschen und Tieren herrschte. Josef befürchtete, er könne in dem überfüllten Bethlehem kein Obdach mehr finden, und zog eilends weiter, bis er an die vor dem Tore gelegene Herberge kam. Die Herbergen im Orient, die man nach einem persischen Wort Khans nannte, waren meist nur geschlossene Umzäunungen, manchmal ohne Haus und Dach. Bei ihrer Anlage wurde nur Rücksicht auf die Wasserverhältnisse, auf sichere und schattige Lage genommen. Es gab darin keinen Wirt und keinen Koch, nur einen Türhüter, der den Neuankommenden mitteilte, ob noch Platz vorhanden war. Eine Vergütung brauchte man nicht zu bezahlen, mußte aber auch selbst für Beköstigung sorgen.

      Josef war zwar aus Bethlehem gebürtig, hatte aber infolge seiner langen Abwesenheit dort kaum noch einen Bekannten, dessen Gastfreundschaft er in Anspruch nehmen konnte, besonders da es bei der Langsamkeit der römischen Behörden Monate dauern konnte, bis die ausgeschriebene Zählung beendet war. Darum war er auf die Herberge angewiesen und sehr besorgt, bei dem Andrang keinen Einlaß mehr zu finden. Und wirklich fand er beim Nähertreten, daß die Herberge überfüllt war.

      Der Türhüter saß auf einem großen Zedernblock vor dem Tore. Hinter ihm lehnte ein Spieß an der Mauer, ein Hund saß an seiner Seite.

      »Ich bin aus Bethlehem,« sagte Josef, nachdem er ihn begrüßt hatte. »Ist kein Platz für –«

      »Es ist kein Platz mehr übrig.«

      »Du dürftest von mir gehört haben. Ich bin Josef von Nazareth. Ich stamme aus dem Geschlechte Davids.«

      Auf diese Bemerkung hatte Josef seine Hoffnung gebaut. Ein Nachkomme Davids zu sein, galt als die höchste Ehre, und auch jetzt blieb die Berufung auf seine Abstammung nicht ohne Wirkung. Der Torhüter glitt vom Zedernblocke herab, berührte mit der Hand seinen Bart und sagte ehrfurchtsvoll:

      »Rabbi, ich kann dir nicht sagen, wann dieses Tor sich zuerst einem Wanderer zum Willkomm öffnete; es sind gewiß mehr als tausend Jahre, und in dieser ganzen Zeit ist kein Beispiel bekannt, daß ein rechtschaffener Mann abgewiesen worden wäre, außer es war für Unterkunft kein Raum mehr. Wurde es so dem Fremden gegenüber gehalten, so muß der Wächter, der einem Nachkommen Davids den Eintritt verweigert, einen triftigen Grund haben. Darum begrüße ich dich abermals, und wenn du mit mir gehen willst, werde ich dir zeigen, daß nirgends im Hause ein Platz frei ist. Darf ich fragen, wann du angekommen bist?«

      »Eben jetzt.«

      »Unter den vielen hier warten die meisten schon länger. Sie alle sind wie du infolge des kaiserlichen Befehls gekommen. Dann lagert hier noch eine Karawane aus Damaskus mit Kamelen und Gütern.«

      Josef blickte zu Boden. Dann sagte er mit Wärme:

      »Ich frage nichts nach mir, aber ich habe mein Weib bei mir und die Nacht ist kalt, kälter hier oben als in Nazareth. Sie kann nicht unter freiem Himmel bleiben. Ist vielleicht in der Stadt noch Raum?«

      »Diese Leute« – der Hüter zeigte mit der Hand auf die Menge vor dem Tore – »haben sämtlich die Stadt durchsucht und, wie sie melden, alle Plätze schon besetzt gefunden.«

      Wieder betrachtete Josef den Boden, während er halb zu sich selber sprach: »Sie ist so jung! Wenn ich ihr draußen auf dem Hügel ein Lager bereite, wird der Frost ihr Tod sein.«

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