Ben Hur. Lewis Wallace
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»Ja, ich kannte sie, sie waren gute Leute. Damals war ich noch ganz jung.«
Diesmal sah der Türhüter gedankenvoll zu Boden. Plötzlich hob er sein Haupt.
»Wenn ich dir auch keinen Platz im Hause anweisen kann, so will ich dich doch nicht abweisen,« sagte er. »Rabbi, was ich kann, will ich für dich tun. Ihr sollt nicht im Freien auf dem Hügel bleiben! Aber beeile dich, denn die Dunkelheit bricht herein.«
Josef beeilte sich, seine Gattin und den Esel herbeizuführen. Maria hatte den Schleier zurückgezogen.
»Blaue Augen und goldiges Haar,« murmelte der Wächter, als er sie erblickte. »So sah der junge König aus, als er vor Saul trat, ihn durch seinen Gesang zu erheitern.«
Er nahm den Leitriemen aus Josefs Hand und sagte zu Maria:
»Friede sei mit dir, Tochter Davids!« und zu Josef: »Rabbi, folge mir!«
Er führte sie durch den Hof der Herberge, dann auf einem schmalen Pfade zum grauen Kalksteinfelsen, der im Westen den Khan überragte.
»Wir gehn zur Höhle,« bemerkte Josef kurz.
Der Führer wartete, bis Maria an seine Seite gekommen war. »Die Höhle, zu der wir nun gehn,« sagte er zu ihr, »mußte auch deinem Ahn David eine Zufluchtsstätte bieten. Von dem Felde zu unseren Füßen und vom Brunnen unten im Tale pflegte er seine Herden hierher in Sicherheit zu bringen; auch als er schon König war, kam er nicht selten zu dem alten Hause hier zurück und brachte auch eine, große Menge Tiere mit. Die Krippen sind noch so erhalten, wie sie zu seiner Zeit waren. Besser ein Bett auf dem Boden, wo er geschlafen hat, als eines im Hofraume oder draußen am Saume der Straße.«
Eine niedrige, schmale Hütte war vor den Eingang der Höhle gebaut. An der Vorderseite befand sich eine Tür, die sich um gewaltige Angeln drehte. Der Führer öffnete sie und rief:
»Tretet ein!«
Sie traten in den Raum und blickten sich um. Durch die geöffnete Tür strömte das Licht auf einen unebenen Boden und ließ in der Mitte des Raumes Haufen von Getreide und Heu, irdene Gefäße und andere Hausgeräte wahrnehmen. Längs der Seitenwände standen aus Stein gemauerte Krippen, die auch für Schafe niedrig genug waren. Stallungen oder gesonderte Abteilungen waren nicht zu sehen.
»Diese Vorräte«, sagte der Führer, »sind für Wanderer wie ihr. Nehmt davon, was ihr benötigt.« Dann wandte er sich zu Maria: »Kannst du hier ruhen?«
»Diese Stätte ist heilig,« antwortete sie. »So will ich euch verlassen. Friede sei mit euch!«
Als er sich entfernt hatte, machten sie sich eilig daran, die Höhle wohnlich herzurichten.
Zu einer bestimmten Stunde am Abend hörte der Lärm in der Herberge auf. Gleichzeitig erhob sich jeder Israelit, blickte mit feierlich ernstem Gesichte gegen Jerusalem, kreuzte die Hände über der Brust und betete, denn es war die heilige neunte Stunde, zu welcher im Tempel auf dem Berge Moriah in Gottes geheimnisvoller Nähe das Opfer dargebracht wurde. Als das Gebet zu Ende war, begann das Gewoge aufs neue, jeder beeilte sich, ein Nachtmahl zu bereiten oder seine Lagerstätte herzurichten. Etwas später wurden die Lichter ausgelöscht; alles schwieg und sank in Schlaf.
Ungefähr um Mitternacht rief jemand auf dem Dache: »Was ist das für ein Licht am Himmel? Wachet auf, Brüder, wachet auf und schauet!«
Schlaftrunken richteten sich die Leute auf und blickten um sich, Staunen erfaßte alle, als sie zu vollem Bewußtsein gekommen waren. Ein Lichtstrahl, der in unermeßlicher Ferne über den nächsten Sternen seinen Anfang nahm, fiel schräg zur Erde, an seinem Beginne ein verschwindend kleiner Punkt, erweiterte er sich allmählich, so daß er auf der Erde sich auf Meilen zu erstrecken schien. Der Khan war so vom Licht beschienen. daß auf dem Dache jeder des andern Gesicht und das Staunen, das sich auf demselben malte, deutlich sehen konnte.
Minutenlang blieb der Strahl unverändert am Himmel. Das Staunen der Leute verwandelte sich in Scheu und Furcht: die Zaghaften zitterten, die Kühnsten sprachen nur im Flüsterton.
»Habt ihr je Ähnliches gesehen?« fragte einer.
»Es scheint gerade über dem Berge dort zu sein. Ich kann nicht sagen, was es ist: ich habe auch nie etwas Ähnliches gesehen,« lautete die Antwort.
»Ich weiß, was es ist,« rief einer. »Die Hirten haben einen Löwen gesehen und Feuer gemacht, um ihn von den Herden fernzuhalten.«
Die Umstehenden atmeten erleichtert auf und sagten:
»Ja, so ist es! Wir sahen die Herden heute drüben im Tale weiden.«
Die Beruhigung dauerte aber nicht lange. Einer der Umstehenden rief:
»Nein, nein! Wenn man alles Holz in allen Tälern Judas auf einem Haufen zusammentrüge und in Brand steckte, könnte die Flamme kein so starkes und helles Licht geben.«
Tiefes Schweigen folgte dieser Bemerkung auf dem Dache, das nur einmal unterbrochen wurde, solange die Erscheinung dauerte.
»Brüder!« rief ein Jude von ehrwürdigem Aussehen, »was wir hier schauen, ist die Himmelsleiter, die unser Vater Jakob im Traume gesehen. Gepriesen sei der Herr, der Gott unserer Väter!«
Drittes Kapitel
Ungefähr zwei Meilen südöstlich von Bethlehem liegt eine Ebene, die durch einen Gebirgszug von der Stadt geschieden ist. Gegen die Nordwinde wohl geschützt, war das Tal dicht mit Maulbeerbäumen, Zwergeichen und Fichten bewachsen, während die angrenzenden Schluchten mit Oliven- und Maulbeergebüsch bestanden waren. Alles das war um diese Jahreszeit von unschätzbarem Werte für die Schafe, Ziegen und Rinder, aus denen die wandernden Herden zusammengesetzt waren.
Am äußersten Ende des Tales befand sich unter einer schroffen Felswand eine geräumige, Jahrhunderte alte Schafhürde. Hirten, die am Tage vorher auf diese Ebene hinaufgezogen waren, um neue Weideplätze zu suchen, hatten bei Sonnenuntergang ihre Herden hineingetrieben, weil sie dort vor wilden Tieren in Sicherheit waren. Am Eingange zündeten sie ein Feuer an und nahmen ein einfaches Mahl, dann setzten sie sich zur Ruhe und Unterhaltung nieder, während einer Wache halten mußte. Nach einer Weile legten sie sich zum Schlafe nieder, und nur der Wächter schritt draußen auf und ab.
Die Nacht war, wie die meisten Winternächte in dem hügeligen Lande, hell und frisch; zahllose Sterne funkelten am Himmel. Kein Lüftchen regte sich. Nie schien die Luft so rein, und die Stille der Nacht war mehr als Schweigen; es war eine heilige Stille, ein Wink, daß der Himmel sich niederneigte, um der lauschenden Erde etwas Freudiges zuzuflüstern.
Langsam verstrich die Zeit. Endlich war es Mitternacht, und der Wächter wollte schon seine Ablösung wecken, um sich selbst zur Ruhe zu legen, als er plötzlich überrascht stehen blieb. Ein heller Lichtstrahl umgab ihn wie sanftes Mondlicht. Atemlos wartete er. Aber das Licht wurde immer heller, bis es die ganze Umgebung blendend erleuchtete. Von Schrecken erfaßt, rief er:
»Wacht auf, wacht auf!«
Die Hunde sprangen auf und liefen heulend davon. Die Herden rückten erschrocken eng zusammen. Die Männer standen auf und griffen zu den Waffen.
»Was