Weiblich, kompetent, FÜHRUNGSKRAFT. Rainer Bartelt
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Damals wie heute unterrichteten auch Lehrerinnen an diesem öffentlichen, allgemeinbildenden Gymnasium, aber die Wortführer in der sich über viele Stunden hinziehenden Aussprache waren ohne jeden Zweifel ihre männlichen Kollegen. Und so formte sich schon damals vor meinem geistigen Auge das erste genderbezogene Vorurteil:
—> Männern geht es nicht um die Sache, sie wollen sich in erster Linie präsentieren!
(Als Wissender, als Logik-Genie, als Obermotz — wie auch immer...)
Durch diese männliche Unart wäre die nervig lange Diskussion am Ende fast so ausgegangen wie das sprichwörtliche Hornberger Schießen, denn die Testosteron-befeuerten Streithähne hatten allergrößte Mühe damit, sich auf die eine, pädagogisch einzig richtige Strafmaßnahme zu einigen: Den Pädagogen unter ihnen war die eine Hälfte der rechtlich zulässigen Strafen zu streng, den Hartlinern war die andere Hälfte zu lax. Ein Wunder, dass am Ende doch noch eine Einigung dabei herauskam. (Mehr darüber in: „Wir haben alle mal klein angefangen“, eBook vom gleichen Autor.)
Mag es an der spezifischen Vorliebe meiner Geschlechtsgenossen für jede Art von Wettkampfsport liegen oder nicht, gleiches erlebte ich danach auch als technischer Angestellter in einem mittelständischen Traditionsunternehmen der gehobenen Messtechnik-Branche:
Kampfplatz Vertrieb
Das Telefon klingelt, der Kollege (wahrscheinlich ein studierter Ingenieur) hebt ab. Als leises Murmeln vernehme ich, wie am anderen Ende der Leitung ein Hilfe suchender Kunde sein ihm auf den Nägeln brennendes Messproblem schildert.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Mein Kollege präsentiert die gesuchte technische Lösung und legt auf. Wahrscheinlicher: Es folgt ein längeres Streitgespräch. Weil nämlich der (ebenfalls männliche) Kunde am anderen Ende der Leitung in den meisten Fällen mit dem von meinem Kollegen präsentierten Lösungsvorschlag überhaupt nicht einverstanden ist.
Buchstäblich Jahrzehnte hat es gedauert, bis in unser Großraum-Vertriebs- und Beratungsbüro die erste Frau (eine Ingenieurin) einzog. Mit einem Mal war alles anders:
Das Telefon klingelt, meine Kollegin hebt ab:
„Ach Herr Meier! Wie schön, dass Sie endlich wieder einmal bei uns anrufen — wir haben uns ja ewig nicht gesprochen! Wie geht es Ihrer Familie...“
Wie von Zauberhand ist das Kundenproblem in weite Ferne gerückt. Die unterschwellige Botschaft: Nicht das Problem ist wichtig, Herr Meier ist wichtig! Und so fühlt er sich auch. Ganz anders als bei meinem Kollegen:
Vielleicht hat Herr Meier vor dem Anruf in unserem Büro schon tage- und/oder nächtelang über seinem Problem gebrütet. Hat Bücher gewälzt, stundenlang gegoogelt, mit Kollegen diskutiert. Kurz und gut, seine halbe Firma hat er deswegen verrückt gemacht. Und nun kommt mein Kollege, holt einmal tief Luft und knallt Herrn Meier die perfekte Lösung vor den Latz. Einfach so, ohne jede Vorwarnung. Was glauben Sie, wie Herr Meier sich da fühlt?
Vorurteil Nummer 2:
—> Wenn Männer sich doch für eine Sache interessieren, dann wollen sie streiten. Zuallererst wollen sie beweisen, dass sie der Klügere sind.
Woher das kommt? Wirklich nur vom Kampfsport? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, wie das Beratungsgespräch meiner Kollegin endet:
„Wirklich? Sie haben ein Problem, Herr Meier? Einen Moment bitte, ich notiere... Ist gut, ich kümmer mich darum... Sie hören von uns! Alles Gute für die Familie — und bis bald, Herr Meier...“
Nicht auszuschließen, dass die in technischen Dingen genauso erfahrene Kollegin wie die übrigen Männer im Raum in Wahrheit ganz genau weiß, wie Herrn Meier zu helfen wäre. Aber es könnte ja nicht schaden, wenn sie sich dazu in unserem Unternehmen noch einmal ein wenig umhört. Zum Beispiel bei dem Kollegen, der dem Anschein nach immer sofort die richtige Lösung kennt. Oder etwa nicht?
Die perfekte Führungskraft
Die perfekte Führungskraft ist:
angstfrei
entscheidungsstark
dynamisch
konsequent
ehrlich
fair
interessiert
ideenreich
gewissenhaft
sachlich
fleißig
kompetent
lösungsorientiert
einfühlsam
unbestechlich
erfahren
und jederzeit in der Lage, einen logischen von einem unlogischen Schluss zu unterscheiden. Ganz besonders bei Aussagen, die allein auf Hörensagen beruhen.
Da sich diese Liste ebenso hervorragender wie notwendiger Eigenschaften einer perfekten Führungskraft nahezu beliebig fortsetzen ließe, nimmt es nicht Wunder, dass in so gut wie jedem konkreten Fall Abstriche vom Idealbild gemacht werden müssen. Womit wir schon bei Vorurteil Nummer drei wären:
—> Frauen verlassen sich beim Lösen von Problemen mehr auf ihr Gefühl, als auf die Logik. Bei letzterer sind Männer (bedeutend) besser.
Frauen urteilen nach Gefühl, und nur Männer sind in der Lage, den Gesetzen der Logik unbeirrbar Folge zu leisten — stimmt das wirklich? Sind Frauen, wie mir meine subjektive Erfahrung im Technik-Vertrieb suggeriert hat, tatsächlich per se einfühlsamer als Männer, während diese stattdessen auf die logische Stringenz ihrer Aussagen bezogen die totalen Überflieger sind? Möglicherweise weil sie niemals ohne Not einem zünftigen Streitgespräch aus dem Wege gehen und daher diesbezüglich über mehr Erfahrung verfügen als die stets (Achtung: neues Vorurteil!) nach einem harmonischen Ausgleich strebenden Frauen?
Sechs mehr oder weniger grundverschiedene Problemlöse-Strategien von drei Frauen und drei Männern werden im Folgenden miteinander verglichen und bewertet. Am Beispiel zweier fachlich und politisch einigermaßen brisanter Themenstellungen: Im ersten Fall geht es um Umweltschutz und Energie, im zweiten Fall um Telekommunikation und Personensicherheit. Womit wir sofort beim vierten Vorurteil angekommen wären:
—> Frauen verstehen weniger von Technik als Männer.
Doch