Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee. Friedrich Gerstecker
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Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen hatte – aber eingenickt war ich, als ich plötzlich durch einen furchtbaren Stoß, den das Schiff bekam, geweckt wurde und zugleich mit beiden Füßen aus der Koje fuhr. Wer einmal in seinem ganzen Leben gefühlt hat, wie sein Fahrzeug mit dem Kiel den Sand berührt, vergisst das nun und nimmer wieder. Man fühlt das auch nicht mit den Füßen etwa, auf denen man doch steht, oder hört es, nein, es ist eine ganz unbeschreibliche Empfindung, an der jeder Nerv des ganzen Körpers, jede Ader, jede Muskel gleich teilnehmend zu sein scheint. Das Gefühl zuckt durch das Rückenmark bis in die entferntesten Fingerspitzen, und das Herz steht still in dem Augenblick, der Atem stockt. Es ist fast als ob man dabei mit zu derselben Masse des Schiffes gehöre, und gehört auch in der Tat dazu, denn die Erschütterung, die von dem Sande dem Kiel mitgeteilt, von diesem durch die Poren des Holzes aufwärts schießt, findet in den Nerven unseres Körpers eben gleiche Ableiter, und rückwirkend kann ich auch, glaub' ich, mit Fug und Recht behaupten, dass ebenso das Schiff selber wie ein fühlendes Wesen fast – in seine innersten Tiefen erzittert, vor der drohenden Gefahr. – Oder glaubst du etwa nicht, lieber Leser, dass das wackere Schiff selber empfindet, was ihm droht, oder wie es sich bewegt? – frag dann die Seeleute selber, Leute, die ihre ganze Lebenszeit an Bord zubringen und zugebracht haben, was sie darüber denken, darüber sagen, und du wirst bald erfahren, dass diese magnetische Kraft dem Schiffe nicht bloß in dem Augenblick wird, wo es mit einem dritten festen Gegenstand in Berührung tritt – obgleich ich nicht leugnen will, dass es sich dadurch verstärken mag, sondern ihm immer eigen ist, und den Matrosen sein Fahrzeug auch deshalb als ein vollkommen selbstständiges Wesen erscheinen lässt, mit dem er sich oft unterhält und zu dem er eine förmliche, fast rührende Zuneigung gewinnt, wie sie unter anderen Umständen kaum denkbar wäre.
Die englischen Matrosen geben dem Schiff sogar das weibliche Geschlecht – aus einem Grund freilich, wie manche boshaft behaupten wollen, der gerade nicht schmeichelhaft für dasselbe wäre – dass die Takelage nämlich oder der äußere Aufputz, Segel und was dazu gehört, mehr koste, wie das Schiff selber – doch das ist maliciös (boshaft – hämisch).
Der Leser mag sich übrigens denken, dass ich in dem Augenblick, wo er mich eben verlassen hat, keineswegs daran dachte, solchen Betrachtungen nachzuhängen, sondern so rasch als möglich in meine Kleider fuhr und an Deck zu kommen suchte. Es war kalt, und wenn wir hier draußen „auseinander gingen“, und die ganze Nacht vielleicht an einem Mast oder Stück Holz im Wasser zu hängen hatten, war es immer besser etwas Wollenes dabei auf dem Leib zu haben. Viel Zeit ließ ich mir übrigens nicht, denn deutlich konnte ich oben die angstvolle Stimme meines Mitpassagiers, des alten Herrn Landerer hören, der ausrief – „Sind wir denn ganz verloren?“ – während ein anderer tiefer Bass dicht daneben sagte „A ground, by God!“ – Ich hörte sogar schon das Waschen des Seewassers an Deck und sprang mit wenigen Sätzen die enge Treppe hinan.
An Deck stürmte indessen alles wild und toll durcheinander, der Kapitän und der Steuermann gaben keine Befehle mehr, sie schrien sie, und als ich den Kopf ins Freie steckte, waren die Leute eben im Begriff zu wenden, während dicht neben uns Brandung oder Grundschwell, was es nun sein mochte, sich in weißfunkelnden Schaumwellen überschlug. Wir hatten das Schiff übrigens kaum herum, und die Vorsegel waren kaum angebrasst, als ein zweiter, und diesmal heftigerer Stoß durch Schiff und Nerven bebte – wir hatten jedenfalls hinten aufgesetzt, und die Brandung oder eine Welle wusch in demselben Augenblick über Deck. –
Der Kapitän, ein ruhiger, besonnener Mann, der neben mir stand, hatte in demselben Moment auch schon das Handlot, das zu seinen Füßen lag, aufgefasst, und über Bord geworfen, und die Leine jetzt fühlend, rief er rasch – „Wir sind noch flott!“ – Das war ein Trost, und nur die Frage, ob wir's im nächsten Augenblick noch bleiben würden. Die Lotleine zeigte zugleich wieder fünf Faden Wasser, wir waren in eine etwas tiefere Stelle gekommen, und nur der weiße Schaum der Brandungswellen jetzt fast vor uns, verriet uns wieder eine gefährlichere Untiefe.
„Klar zu wenden!“ klang wieder über Deck, und der Kapitän, die eine Hand an den Wanten, sich fest auf den Füßen zu halten, rief, kein Auge von dem Bug des Schiffs verwendend: „Up with your helm!“
Der Mann am Ruder drehte und drehte aus Leibeskräften – aber das Schiff kam nicht. „Up with your helm!“ schrie der Kapitän und stampfte, dem Mann einen wütenden Blick zuwerfend mit dem Fuße. „Up with it, I say!“
„Es will nicht gehorchen, Kapitän!“ rief dieser aber zurück, sich jetzt gegen die Speichen seines Rades pressend – „es ist ganz auf und hat noch keinen Viertel Strich geändert.“
Er sprach fast noch, als der Kapitän schon neben ihm stand und selber das Ruder versuchte – aber es war wie der Mann gesagt – das Schiff wollte nicht mehr gehorchen und der Matrose, ein alter englischer Seemann, hatte sich indessen auch schon auf Deck niedergeworfen, den vermuteten Schaden am Ruder selber zu untersuchen.
„The tiller is broken – by God!“ (Die Ruderpinne, mit der allein das Steuerruder regiert werden kann) rief aber der Mann auch schon im ersten Augenblick, als er nun seinen Arm danach ausgestreckt, und der Ruf ging wie ein Blitz durch das ganze Schiff.
Im nächsten Moment war das Lot wieder ausgeworfen, ergab noch einmal fünf Faden Wasser und „Anker klar und nieder!“ schrie der Kapitän mit Stentorstimme, die umso bereitwilliger Gehör fand, da jeder einzelne Matrose in dem Augenblick auch einsah, von der raschen Ausführung dieses Befehls hänge sein Leben ebenfalls ab – und Leute arbeiten nie so gern und willig, als wenn sie selber mit einem solchen Kapitale dabei interessiert sind. – In fast unglaublich kurzer Zeit war der Anker, der überhaupt noch vorn, und nur eben aufgezogen hing, wieder klar, und ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, rasselte und sprang die schwere Kette durch die Klüsen, von der etwa dreißig oder zwei und dreißig Faden ausgelassen wurden, und zwei Minuten später wendete der Bug des Fahrzeugs scharf ab von der Brandung, auf die wir bis dahin ganz richtig zugehalten hatten, und das Schiff ritt vor seinem Anker.
Das niedergeworfene Lot zeigte noch fünf Faden, also vollkommen genug wenigstens der augenblicklichen Gefahren entgangen zu sein; der Wind hatte dabei fast ganz nachgelassen, und die Dünnung, wenn auch ziemlich stark, war doch nicht im Stande uns zu gefährden.
Vor allen Dingen ging jetzt der Zimmermann mit der ganzen Mannschaft zur Hilfe – denn alle wollten sehen, welcher Schaden angerichtet sei, – daran, die Ruderpinne wieder in Stand zu setzen – es war dies ein solides eichenes Stück Holz von wenigstens sechs bis sieben Zoll im Durchmesser, mit dick eisernen Banden, und wir konnten uns gratulieren, dass der Stoß, der dieses Holz im Stande war abzuknicken, dem Ruder selber nicht größeren Schaden zugefügt. In einer Stunde war übrigens alles wieder hergestellt, die Segel belegt und die See schon fast wieder beruhigt, denn nicht ein Lüftchen wehte mehr, und als ich mit dem Kapitän endlich, nachdem der Steuermann seine Wache angetreten, wieder hinunter stieg, aufs Neue zu Bett zu gehen, sagte er kopfschüttelnd:
„Ein Glück, dass wir ruhiges Wetter die Nacht haben, denn wenn es jetzt hier an zu wehen finge, könnten wir uns gratulieren – nachher hinge unser Leben an der Kette.“
Kaum in der Koje, war ich auch eingeschlafen, nach dem erhöhten Grad der Aufregung kam die Erschlaffung,