Die Zeit Constantins des Großen. Jacob Burckhardt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Zeit Constantins des Großen - Jacob Burckhardt страница 17
Diesmal sind es die Bauern, welche seitdem in den grossen Krisen des alten Frankreichs mehr als einmal plötzlich in furchtbarer Machtfülle aufgestanden sind. Damals lebten sie in altererbter Sklaverei, wenn das Verhältnis auch in der Regel nicht diesen Namen trug Guizot, Hist. de la civilisation en France, vol. I, p. 73.. Eine Anzahl Bauern waren wirkliche Ackersklaven, andere erschienen als Leibeigene an die Scholle gebunden, wieder andere hiessen Kolonen, das heisst Kleinpächter auf halben Ertrag Über den vermutlichen Ursprung dieser Kolonen hauptsächlich von angesiedelten Germanen seit Augustus vgl. Preuss, Kaiser Diocletian, S. 25 ff., wo der ganze Zustand Galliens eingehender geschildert wird.; auch bessergestellte Pächter um Geldzins fehlten nicht; endlich gab es eine Masse sogenannter freier Arbeiter und Taglöhner. Aber alle vereinte jetzt dasselbe Unglück. Die Grundeigentümer, ausgesogen durch die raubähnlich steigenden Bedürfnisse des entzweiten Staates, wollten sich an ihren Bauern erholen, gerade wie der französische Adel nach der Schlacht bei Poitiers, als es sich um die Loskaufssumme für die mit König Johann dem Guten gefangenen Ritter handelte. Das einemal nannte man, was daraus entstand die Bagauda, das anderemal die Jaquerie (1358). – Die Bauern und Hirten hatten scharenweise ihre Hütten verlassen, um auf Bettel herumzuziehen. Überall abgewiesen und von den Garnisonen der Städte verjagt, taten sie sich in Bagauden, das heisst Banden, zusammen. Ihr Vieh töteten sie und assen es auf; mit den Ackerwerkzeugen bewaffnet, auf ihren Ackerpferden beritten, durchzogen sie das flache Land, nicht nur, um für ihren Hunger zu sorgen, sondern um es in wahnsinniger Verzweiflung zu verwüsten Panegyr. II (Mamertin., Ad Max. H.), c. 4: cum arator peditem, cum pastor equitem, cum hostem barbarum suorum cultorum rusticas vastator imitatus est. – Vgl. auch Paneg. IV und VII (Eumenius, Pro rest. schol. und Gratiar. actio) und die wenigen Worte in den Geschichtschreibern. – War der Bürgerkrieg in Gallien, welchen Eutrop IX, 4 unter Decius erwähnt, ein Vorspiel dieser Bagauda?. Dann bedrohten sie die Städte, wo ihnen oft ein plünderungssüchtiger, im Elend verkommener Pöbel die Tore öffnete. Die allgemeine Desperation und die dem Gallier angeborene Sucht nach Abenteuern vergrösserten ihr Heer in kurzem dergestalt, dass sie es wagen konnten, zwei von den Ihrigen, Aelianus und Amandus, zu Kaisern zu erheben und so den Anspruch auf das gallische Imperium zu erneuern. Bunt und sonderbar mag die Hofhaltung dieser ländlichen Imperatoren ausgesehen haben; das dritte Jahrhundert hatte zwar Bauernsöhne und Sklavenkinder genug auf den Thron der Welt gesetzt, aber in der Regel solche, die in den Armeen und dann im kaiserlichen Generalstab eine Vorschule der Herrschaft durchgemacht hatten. Aelianus und Amandus besassen einen solchen Anspruch nicht, dafür aber möglicherweise einen andern, der die sonstigen Mängel aufwog. Die christliche Sage, nachweisbar seit dem siebenten Jahrhundert, hat sie nämlich zu Christen gemacht Die Münzen, deren heidnische Reverse das Gegenteil beweisen würden, sind notorisch aus Münzen früherer Kaiser durch Änderung des Namens gefälscht. und ihnen auf diese Weise ein Recht verliehen gegenüber den götzendienerischen Kaisern. Soviel darf immer angenommen werden, dass eine Menge Christen unter den Armen und Elenden waren, welche sich den Bagauden anschlossen. Wir können dasselbe von Verfolgten aller Art, sogar von Verbrechern vermuten Die Sage von dem Martertod der thebäischen Legion, welche Maximian gegen die Bagauden führen wollte, ist von der Kritik vollkommen zernichtet. Vgl. Rettberg, Kirchengesch. Deutschlands I, S. 94, und (gegen Gelpkes teilweisen Rettungsversuch): Hunziker, Zur Regierung und Christenverfolgung Diocletians, S. 265 ff. – Vogel, Der Kaiser Diocletian, S. 93, weist bei Anlass der Bagauden auf die afrikanischen Circumcellionen hin, welche 30 Jahre später auftraten, als christliche Sekte und zugleich als Auflösung des Bauernlebens in Vagabundentum..
Es scheint, dass das südliche und westliche Gallien weniger von der Bewegung berührt wurde als der Norden und Osten, wo die Not der Barbaren wegen viel grösser sein musste. Eine Stunde über Vincennes hinaus bildet die strengfliessende Marne, kurz vor ihrem Ausfluss in die Seine, eine Halbinsel, auf deren Rücken später die Benediktinerabtei St. Maur-les-fosses erbaut wurde. Schon die alten Kelten hatten mit Vorliebe solche Punkte zu ihren Kriegsfesten (oppida) gewählt, und gewiss gab es an Ort und Stelle schon Wall, Graben und Mauern aus alter Zeit Die Vita S. Baboleni, bei Bouquet, Scriptores, T. III, lässt darüber kaum einen Zweifel, wenn man die keltische Befestigung des Bremgarten bei Bern und anderer Halbinseln damit vergleicht. Wie überall nannte die Volkssage auch in S. Maur Caesar als Erbauer., als Aelianus und Amandus die Halbinsel zum »Bagaudenschloss« machten, ein Name, den sie noch Jahrhunderte hindurch geführt hat, obwohl in dem einen Jahre 285 auf 286 das wenigste daran gebaut sein konnte. Von diesem unangreifbaren Punkte aus, dem durch keine Furt noch Untiefe beizukommen war, machten sie ihre Streifzüge in Nähe und Ferne; hieher schleppten sie auch ihre Beute zusammen. Sie waren mit der Zeit keck genug geworden, nicht nur schwächere Städte ohne weiteres zu brandschatzen, sondern auch stärkere zu belagern. Es gelang ihnen, das alte, weitläufige Augustodunum (Autun) einzunehmen, wo weder Tempel noch Hallen noch Thermen vor ihnen Gnade fanden; alles wurde ausgeraubt und zerstört, die Einwohner ins Elend vertrieben.
Es musste mit den Bagauden aufgeräumt werden, bevor sie auf diese Weise Stadt um Stadt und damit alle Haltpunkte gegen die Barbaren zugrunde richteten. Dies war die Aufgabe des damaligen Caesars Maximianus Herculius, der sich damit den Augustustitel verdiente. Wir erfahren nur, dass er rasch und leicht fertig wurde, indem er die Banden teils aufs Haupt schlug, teils durch Hunger, wozu sich eine Pest gesellte, zur Übergabe zwang. Ob irgendeine direkte Erleichterung der erdrückenden Lasten erfolgte, welche den Aufruhr hervorgerufen hatten, ist mehr als zweifelhaft, da die Klagen über allzu hohe Steuern sich eher vermehren. Mittelbar besserte sich wohl die Lage des Landes überhaupt, als in der Folge die Germanen für mehrere Jahrzehnte eingeschüchtert wurden und die Usurpation aufhörte; aber im fünften, vielleicht schon im vierten Jahrhundert riefen ähnliche Ursachen auch wieder ähnliche Wirkungen hervor; die Bagauda hob wieder ihr Haupt empor Salvianus, De vero iudicio et providentia dei, l. V. – Marii Victoris Ep. ad Salmonem bei Wernsdorf, Poetae Lat. min., v. III. – Zosim. VI, 2., und man möchte beinahe vermuten, dass sie nie ganz aufgehört hatte.
Doch wir kehren zu den Zeiten Diocletians zurück. Viele Gegenden Galliens lagen bleibend darnieder; die tiefverschuldeten Landbesitzer um Autun zum Beispiel hatten noch unter Constantin Panegyr. VIII (Eumen., Gratiar. actio), c. 6. Vom Jahr 311, wogegen Panegyr. IV (Pro rest. schol.) mit seinem Hymnus auf den Wiederanbau der Fluren und die Herstellung der Städte nicht als Zeugnis gelten kann. sich nicht so weit erholt, dass sie auch nur die alte Bewässerung und Reutung hätten in Gang setzen können, so dass ihr Boden in Sumpf und Gestrüpp ausartete; die Burgunderreben starben ab; das Waldgebirg füllte sich mit wilden Tieren. »Die Ebne bis an die Saone war einst fröhlich und reich, solange man die Gewässer in Ordnung hielt – jetzt sind die Niederungen zum Flussbett oder zur Pfütze geworden; die gewaltigen Weinstöcke sind verholzt und verwildert Im Schwarzwald unweit Pforzheim soll man noch jetzt zwischen römischen Überresten aller Art Stöcke der verwilderten Weinrebe, vitis labrusca, finden. Vgl. Creuzer, Zur Gesch. altröm. Cultur am Oberrhein und Neckar, S. 67., und neue kann man nicht pflanzen . . . Von der Stelle an, wo der Weg auswärts führt nach dem belgischen Gallien (also so ziemlich von Autun selbst an), ist alles wüste, stumme, düstere Einöde; selbst die Heerstrasse ist schlecht und uneben und erschwert den Transport der Früchte sowohl als die öffentlichen Sendungen.« – Im Mittelalter kam es auch einmal, um die Zeit der Jungfrau von Orleans, so weit, dass die Rede ging: es stehe von der Picardie bis Lothringen kein Bauernhaus mehr aufrecht; allein was eine lebenskräftige Nation in zwanzig Jahren wieder einholt, gereicht einer abzehrenden zur tödlichen Einbusse.
Was halfen da die grossen und dauernden Anstrengungen des Maximian und Constantius? Mit der Deckung des Rheines, wozu sie es samt aller Tapferkeit und allem Talent brachten, war doch erst die Möglichkeit einer Heilung des zerstörten Innern gegeben, aber noch lange nicht die Heilung selbst. Immerhin wirkte die Tätigkeit der beiden