Max Liebermann: Gesammelte Schriften. Max Liebermann

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Max Liebermann: Gesammelte Schriften - Max Liebermann gelbe Buchreihe

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von der Natur. Der Maler, der Bildhauer, der Poet sind abhängig von den Geschöpfen, die sie schufen. Auf dem Irdischen fußend, können sie sich nur kraft des Gedankens zum Überirdischen emporheben. Und hierin liegt die Grenze, die bildende Kunst oder Poesie nie ungestraft überschreiten dürfen; sie dürfen nie das Urbild der Natur zur Unkenntlichkeit verzerren.

      * * *

      Vorwort zur sechsten Auflage von „Die Phantasie in der Malerei“

       Vorwort zur sechsten Auflage von „Die Phantasie in der Malerei“

      Berlin, Januar 1922

      Wie jemand, der die Noten einer Partitur zu lesen imstande ist, sie deshalb noch nicht hört, so vermag noch nicht jeder, der zwei Augen im Kopfe hat, ein Bild zu sehen. Und zwar der sogenannte Gebildete weniger als der naive Mensch, der von Kunst nichts weiß.

      Dem Maler haftet das zweifelhafte Vergnügen an, stets auf sein Metier angeredet zu werden. „Sagen Sie mir doch, Herr Professor, warum ist das Bild gut und jenes schlecht?“ Und die stereotype Antwort; „weil ich es so empfinde“ wird kaum den Fragenden beruhigen, der sofort das Warum auf den Lippen hat.

      Ohne dem Philosophen ins Handwerk zu pfuschen, habe ich versucht, meine Empfindungen auf Begriffe zu bringen, d. h. die Gründe auseinanderzusetzen, weshalb ich dieses Bild für ein Kunstwerk, jenes für Kitsch halte.

      Nicht kunsttheoretische Erkenntnisse, sondern nur Bekenntnisse wird der Leser in den folgenden Aufsätzen finden. Sie erscheinen in unveränderter Form: nicht etwa, weil ich ihre Mängel und Fehler nicht einsähe, sondern weil meine Auffassung der Kunst gegenüber sich nicht verändert hat. Ich gehöre nicht zu jenen Verwandlungskünstlern, die jede neue Mode in der Kunst mitmachen und heut verdammen, was sie gestern angebetet haben. Ich will den Leser nicht durch Dialektik überreden, sondern ich möchte ihn überzeugen.

      * * *

      Degas „Plan“, 1896

       Degas „Plan“, 1896

      Mit einem Leichtsinn, den ich leider nicht einmal mit meiner Jugend entschuldigen kann, hatte ich die Aufforderung einer Kunstzeitschrift, ein paar Zeilen über Degas zu schreiben, angenommen.

Grafik 45

      Edgar Degas – 1834 – 1917

      Ich glaubte, dass die Überzeugung den Redner mache und dass Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vortrage. Auch das Fontane'sche Wort, „die einfache dumme Kuh trifft immer das richtige Gras“, fiel mir ein.

      Gar zu bald merkte ich aber, dass die Sache doch nicht so leicht sei, und dass ich die Erzeugnisse meiner neuen Kollegen, der Herren von der Feder, gewaltig unterschätzt hatte.

      Auch glaube ich, dass es kaum einen Künstler gibt, dessen Wesen schwerer in Worte zu fassen ist, als das des Degas. Die Vorzüge von Menzel kann man z. B. fast mathematisch beweisen: seine Meisterschaft in der Beherrschung des Materials, seine unendliche Kunst: jeder Technik, dem Holzschnitt, der Lithographie, der Feder- oder Bleistiftzeichnung, das Äußerste an Ausdrucksfähigkeit abzugewinnen; das Genie, mit dem er das Zeitalter Friedrich des Großen uns veranschaulicht hat, wie er auf einen Raum von 12 cm – die Illustrationen zu den Werken des großen Königs durften dieses Maß nicht überschreiten – ihn und seine ganze Zeit verkörpert hat; seinen beißenden Witz und die unerbittliche Wahrheit, womit er Menschen, Tiere und Landschaft schildert; sein riesiges Wissen und Können und seinen ebenso riesigen Fleiß.

      Nichts von alledem bei Degas. Mit dem Verstand ist ihm nicht beizukommen. Es ist eine rein sinnliche Kunst, die nicht zu verstehen, sondern nur zu empfinden ist.

      Nichts Positives – nur Suggestives.

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      Degas: Tänzerinnen

      Nach akademischen Begriffen kann er weder zeichnen noch malen; statt tiefer philosophischer Ideen bringt er das Leben der Tänzerinnen, der Putzmacherinnen, der Jockeys auf die Leinwand – kurz das Allertrivialste.

      Auch fehlt ihm jede offizielle Bestätigung für seine Größe. Er hat weder Titel noch Orden – den einzigen, der ihm je angeboten wurde, die Ehrenlegion, lehnte er ab – noch kann er, wie der selige Meissonier oder Gérôme, den Beweis für seine Unsterblichkeit durch seine Zugehörigkeit zum Institut – die Vierzig sind bekanntlich alle unsterblich – erbringen. Ja sogar vor wenigen Jahren petitionierten die Akademiker beim Minister – es war natürlich in Frankreich –, dass Degas' Werke nicht im Luxembourg aufgenommen würden. Und trotzdem werden kaum eines lebenden Malers Bilder so teuer bezahlt wie die von Degas. In New York wie in London, in Paris wie nun endlich auch in Berlin, reißen sich die Amateure um seine Bilder, was umso wunderbarer erscheint, als nie ein Maler weniger für den Verkauf gearbeitet hat als er. Nichts von dem, was man liebenswürdig oder gar schön oder ausgeführt nennen könnte.

      Eins aber ist in seinen Bildern, was uns reichlich für das Fehlen dieser Qualitäten entschädigt: eine eminente Persönlichkeit. Goethe sagt einmal in den Gesprächen mit dem Kanzler von Müller: „die Natur ist eine Gans, man muss sie erst zu etwas machen.“

      Waren wir tausendmal vorbeigegangen, ohne es zu bemerken, Degas macht es uns offenbar. Er findet das Gold, das auf der Straße liegt. Alles ist bei ihm Intuition, daher der plötzliche, unmittelbare, schlagende Eindruck.

      Seine Bilder scheinen entstanden – ganz zufällig – und nicht gemacht. Nichts von verstandesmäßiger, kalter Berechnung. Jedes seiner Bilder scheint sein erstes; so tastend, so von scheinbar schülerhafter Unbeholfenheit sind sie.

      In keines Meisters Manier oder auch dessen Rezept; ohne irgendwelchen Chic; einfach und ungeschminkt die Natur, wie er – Degas – sie sieht.

      Es ist das Verdienst der Impressionisten – Manet an ihrer Spitze – dass sie zuerst wieder ohne Voreingenommenheit an die Dinge herangingen. Statt der verstandesmäßigen Malerei der Akademie mit dem Rezept von Lokal-, Licht- und Schattenton versuchten sie, wie sie ihn sahen, jeden Ton auf der Palette zu mischen und auf die Leinwand zu setzen. Die Schulvorschrift lehrte: Das Licht ist kalt, der Schatten warm; die Impressionisten pfiffen auf diese Lehre und malten Licht und Schatten rot, violett oder grün, wo und wie sie es sahen.

      Diese Tat, so einfach und natürlich wie die Geschichte vom Ei des Columbus, wirkte wie eine Revolution und ich gestehe, dass ich mir, als ich vor 30 Jahren die ersten Bilder der Impressionisten sah, keinen Vers darauf machen konnte. Man muss eben so sehen lernen wie man einen Beethovenschen Satz hören lernen muss (der Unmusikalische lernt es freilich nie).

      Von Jugend auf ist unser Auge verbildet, statt die Natur im Bilde, sehen wir das Bild in der Natur und „der reine Calame“ beim Anblick eines Schweizersees, oder „der wahre Achenbach“ in Ostende, oder „der Schinken, den der Maler nicht schöner malen kann“, sind leider nur zu oft gehörte Ausrufe. Als Manet einmal in einer Ausstellung die Leute vor irgend einem „reizenden“ Bilde aus der Fortunyschule – man kennt solche Kunstvereinslieblinge, kaum größer als ein Oktavblatt, mit tausend Figuren, an denen jeder Fingernagel zu sehen ist – sich drängen sah, rief er so witzig, dass ich es originaliter hersetze: et dire que c'est fait à la main! Der Philister sieht im Bilde nur das Kunststück, nicht das Kunstwerk, nur die Mache, die Empfindung versteht er nicht.

      Es

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