Max Liebermann: Gesammelte Schriften. Max Liebermann

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Max Liebermann: Gesammelte Schriften - Max Liebermann gelbe Buchreihe

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Bild „Der Kampf ums Dasein“, zwei Fischer, den Anker aus dem Meere ziehend. Nach den obligaten Komplimenten meinte Menzel, das Bild sei nicht gleichmäßig genug durchgeführt, Israëls hätte das den Hintergrund bildende Meer fleißiger durcharbeiten müssen, überhaupt sei das ganze Bild nicht „fertig“ genug.

      Ich führe dies Geschichtchen, das mir Israëls selbst lachend erzählte, an, weil der Vorwurf, den Menzel darin unserem Meister macht, stets von der älteren Richtung der modernen gemacht wird: dass sie sich mit einer zu skizzenhaften Ausführung begnüge.

      Schon Rembrandt schrieb, „dass Bilder nicht dazu gemalt wären, um berochen zu werden“. Auch dem Haarlemer Publikum schienen die Porträts von Frans Hals wohl zu skizzenhaft, sonst wäre der Meister nicht in bitterster Armut gestorben. Ich glaube, das Publikum sieht Kunstfertigkeit für Vollendung an, ohne zu ahnen, dass eleganter Vortrag und virtuose Mache nur untergeordnete Fingerfertigkeiten sind gegen die wahre künstlerische Durchbildung. Als ob der stupendeste Klaviervirtuose, der mit der glänzendsten Technik Tonleitern spielt, deshalb der größte Musiker wäre.

      Es soll nicht etwa geleugnet werden, dass die Beherrschung der technischen Ausdrucksmittel für den Künstler von großem Wert ist, aber es versteht sich von selbst, dass jeder sein Handwerk ordentlich gelernt hat. Ein Kunstwerk ist vollendet, wenn der Maler das, was er hat ausdrücken wollen, ausgedrückt hat. Eine Zeichnung in wenigen Strichen und in wenigen Minuten hingeworfen, kann in sich ebenso vollendet sein, als ein Bild, woran der Maler jahrelang gearbeitet hat. Israëls arbeitet in seiner Weise seine Bilder gerade so durch wie Menzel, aber er erstrebt etwas anderes als jener. Es ist klar, dass die Malerei, welche den großen Eindruck der Natur wiedergeben will, das Detail der allgemeinen Erscheinung unterordnen muss, aber vollendet sie deswegen weniger? Ist ein Kopf von Velasquez weniger vollendet als einer von van Eyck? Im Gegenteil, Velasquez vollendet mehr, wenn er auch die tausend Fältchen der Haut, die Eyck mit wunderbarem Fleiß und hingebender Liebe malt, unterdrückt, denn er kommt dem Eindruck der Natur – und das ist doch die Aufgabe der Malerei – näher. Die moderne Malerei sucht nicht den Gegenstand wiederzugeben, sondern die Reflexe der Luft und des Lichtes auf die Gegenstände. Genau dasselbe, was die eigentlichen Maler unter den Alten auch gemacht haben.

      Überhaupt ist es fast komisch, zu sehen, dass gerade die ältere Richtung gegen die Modernen stets die Alten ins Feld führt, ohne zu bemerken, dass die Modernen den Alten viel näher stehen als sie. Unter dem Firnis und der Patina der Jahrhunderte sehen sie nicht mehr das Wesen. Es ist kein Zufall, dass gerade die Kunstgelehrten, die von der alten Kunst herkommen, die Bode, Bayersdorfer, Tschudi, Seidlitz, Lichtwark und wie sie alle heißen, zu einer Zeit, als man für die moderne Richtung nur Spott und Hohn hatte, sich ihrer angenommen haben. Sie erkannten aus dem Studium der alten Kunst deren Verwandtschaft mit der neuen, dass die moderne Kunst dasselbe Ziel erstrebte, was eine jede Kunst erstreben muss; die individuelle Naturauffassung. Hierin sollen uns die alten Meister Vorbilder sein – nicht in ihren Äußerlichkeiten.

      Es ist ein Unsinn, einen Bismarck malen zu wollen, der wie von Rembrandt oder Velasques gemalt aussieht.

      Neben der zu skizzenhaften Ausführung wirft man Israëls und der modernen Richtung überhaupt mangelhafte Zeichnung vor. Weil Israëls das Hauptgewicht auf die Malerei legt, zeichnet er deshalb noch nicht schlecht. Gerade so wie ein schlecht gemaltes Bild deshalb noch nicht gut gezeichnet ist. Der Kontur macht nicht etwa die Zeichnung aus, und Velasquez zeichnet nicht etwa schlechter als Dürer und Holbein, weil er statt des Konturs, die den malerischen Eindruck zerstören würde, die Töne flächenartig aneinandersetzt. Gerade im Gegenteil; je vollendeter ein Bild gemalt ist, das heißt je näher es dem Eindruck der Natur kommt, desto besser muss es gezeichnet sein; sonst würde dieser Eindruck nicht hervorgerufen werden. Je näher die Hieroglyphe der Natur kommt – und alle bildende Kunst ist Hieroglyphe – desto besser muss sie gezeichnet sein.

Grafik 58

      Allein in der Welt . Jozef Israëls, 1881

      Israëls liebt die Dämmerung, wenn die Konturen der Gegenstände ineinander verschwimmen; das Enveloppierte zieht er dem Bestimmten vor, das Träumerische der Abendstunde der grellen Sonne, das Geheimnisvolle, das uns mehr ahnen als sehen lässt, in einer nur ihm allein gehörenden Technik: kaum ein fetter Strich im Bilde, nichts Materielles, alles durchgeistigt, keine Farbe, alles Ton; das Ganze mehr auf die Leinwand hingehaucht als gemalt.

Grafik 11

      Jozef Israëls Jüdische Hochzeit

      Was ich aber vor allem an ihm liebe, ist sein Temperament. Wenn ich es nicht wüsste, jedes seiner Werke würde es mir sagen, dass er nichts auf der Welt mehr liebt als die Malerei. Nicht mit der behaglichen Liebe des Ehemanns, mit der die Metsu, Mieris oder Dou malen, sondern mit der heißen, ungestümen Leidenschaft des Liebhabers schafft er seine Werke. Trotz seiner Jahre hat er sich die Seele des Jünglings bewahrt. In jedem seiner Bilder ein Ringen, jener Moment im Kampfe mit dem Engel, wo Jakob sagt; „ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Er arbeitet mit höchster Konzentration aller seiner Kraft, während er arbeitet, ganz dabei, alles andere vergessend. „Wie der Handelnde“, nach Nietzsches Ausspruch: „wissenlos. Er vergisst das, was hinter ihm liegt, und kennt nur ein Recht: das Recht dessen, was jetzt werden soll.“ Unzufrieden übermalt er oft in ein paar Stunden das ganze Bild, an dem er monatelang gearbeitet hat, mit größter Rücksichtslosigkeit ganze Stücke, die vollendet waren, opfernd; aber dadurch gibt er dem Bilde jene Frische wieder, die wir an der Skizze bewundern, jene Frische, die durch langes Überarbeiten dem Bilde abhandenkommt und nur durch flüssiges ineinander Malen erzielt werden kann.

      Israëls ist aus den kleinsten Verhältnissen emporgewachsen. Mühevoll musste er sich in Amsterdam, wo er sich nach seinen Wanderjahren festsetzte, mit Porträtmalen seinen Unterhalt verdienen. Auch darin Rembrandt ähnlich, wohnte er im Judenviertel, und oft genug, wenn er an dem Hause vorüberging, in dem sein großer geistiger Vorfahre gewohnt und gearbeitet hatte, wird er sich aus seiner Misere an ihm emporgerichtet haben. Rembrandt wurde sein Erzieher. Wie Rembrandt, so entnimmt Israëls die Anregung zu jedem Bilde, zu jeder flüchtigsten Zeichnung, der Natur. Aber wieder wie Rembrandt kopiert er sie nicht, sondern er verarbeitet sie zum Kunstwerk.

      Je naturalistischer eine Kunst sein will, desto weniger wird sie in ihren Mitteln naturalistisch sein dürfen. Der Darsteller des Wallenstein, der – wie bei den Meiningern – im echten Koller und Reiterstiefeln aus der Zeit auftritt, macht nicht etwa dadurch einen wahren Eindruck: Der Schauspieler muss seine Rolle so spielen, dass wir glauben, er stecke in echtem Koller und Reiterstiefeln. Israëls wirkt naturalistischer als unsre Genremaler, nicht obgleich, sondern weil er weniger naturalistisch malt als sie; was wir umso deutlicher sehen können, als er sich oft im Sujet mit ihnen begegnet. Nehmen wir zum Beispiel die „Salomonische Weisheit“ von Knaus – eins der meist bewunderten, und mit Recht bewunderten Bilder der deutschen Genremalerei – und daneben Israëls' „Ein Sohn des alten Volkes“.

Grafik 12

      Ein Sohn des alten Volkes

      Knaus zeigt uns einen alten Juden, wie er sein Enkelkind in die Geheimnisse des Trödelhandwerks einweiht; köstliche Figuren, jeder kleinste Zug, jede Bewegung der Natur abgelauscht und bis in die feinsten Details wiedergegeben. Bei Israëls dagegen nur eine Figur: ein armer Jude, einfach, ohne jede Bewegung vor seinem Trödelladen sitzend. Das ganze Bild liegt in dem Ausdruck des Kopfes, alles andere durch ein paar Farbenflecken kaum angedeutet. Aber in dem Antlitz des Mannes, der die Hände ineinander gefaltet ruhig dasitzt, verspüren wir den tausendjährigen Schmerz, von dem Heine singt.

      Die deutschen Genremaler illustrieren mehr ihren Gegenstand; sie suchen mehr das Anekdotische, die charakteristische Zufälligkeit. Israëls hingegen unterdrückt alles Detail;

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