Max Liebermann: Gesammelte Schriften. Max Liebermann

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Max Liebermann: Gesammelte Schriften - Max Liebermann gelbe Buchreihe

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in der Kunst – wie es Tschudi einmal in einer Akademierede so trefflich entwickelte – zurückkehrten.

      Zwar hatte die École de Barbizon (Statt der vom klassischen Kanon geforderten Bilder mit historischen, religiösen oder mythologischen Themen malten die Vertreter der Schule von Barbizon kleinformatige Landschaften. Kennzeichnend für die Schule war die Hinwendung zur realistischen Naturdarstellung im Gegensatz zur klassisch-idealistischen Landschaftskomposition.) schon 30 Jahre früher die Natur mit innigster Pietät aufgefasst; in ihrer Malerei jedoch blieb sie – selbst Millet, ihr fortgeschrittenster und persönlichster Repräsentant – der Tradition der alten Holländer durchaus treu. Erst die Impressionisten gossen den neuen Wein auch in neue Schläuche.

      Selbstredend, dass Degas bei seinem Auftreten vor 30 oder 40 Jahren mit Hohngelächter empfangen wurde. Wie alles Persönliche, d. h. Natur, in der Kunst zuerst verlacht wird. Der Bauer isst nur, was er kennt, und dem Publikum schmeckt nur die breite alltägliche Bettelsuppe, die es seit Jahren gewohnt ist. Selbstredend auch, dass die vom Staate konzessionierte Kunst der Akademie, die sich im Laufe der Zeiten zu einer Art Kunstpolizei ausgewachsen hat, empört war über seine freche, aller akademischen Regeln spottende Malerei.

      An und für sich ist „akademisch“ durchaus kein Schimpfwort. Aber allmählich – und es ist klar, durch wessen Schuld – ist es dahin gekommen, dass kein Künstler, der sich einigermaßen respektiert, ein akademischer genannt werden will; obgleich eigentlich ein jeder es ist, oder es doch sein sollte. Jetzt heißt akademisch: zopfig.

      Früher traten die Lehrlinge in die Werkstatt des Raphael oder Rembrandt ein. Die waren ihre Professoren. Später wurden aus den Werkstätten der Meister die Akademien, aber mich will bedünken, dass nicht immer Raphaels oder Rembrandts an ihnen lehrten.

      Grafik 3 Grafik 4

      Raphael – 1506 Rembrandt ­– 1630

      Degas ist aus der akademischen Schule hervorgegangen und man weiß, dass er von allen Künstlern Ingres am meisten schätzt. Äußerlich ohne die geringste Ähnlichkeit haben sie doch innerlich manche Züge gemeinsam. Degas ist ein ebenso großer Zeichner wie Ingres, wenn wir unter Zeichnung die lebensvolle Wiedergabe der charakteristisch aufgefassten Natur verstehen. Wiewohl ganz in der Formensprache der Akademie, ist Ingres' Porträt des Mr. Bertin von derselben schlichten Lebendigkeit und Naturwahrheit wie Degas' Graf Lepic mit seinen zwei Töchtern oder sein Desboutin. Degas' Zeichnung ist verblüffend, oft bis zur Karikatur (wie er denn dem Karikaturisten Daumier nahe verwandt ist), immer den Nagel auf den Kopf treffend. Stets verschmäht er den sogenannten schönen Strich, das Kalligraphische.

      Ebenso wie seine Zeichnung ist seine Farbe: einfach und stolz, von aristokratischer Vornehmheit. Seine Palette ist die denkbar schlichteste: oft ist ein Bild nur in weiß und schwarz, das auf die feinste Weise nuanciert, allein durch eine Schleife am Kleid einer Tänzerin oder durch deren rosa Atlasschuh gehoben wird.

      Auch Whistler malt oft Harmonien in weiß und schwarz. Aber bei ihm hat man den Eindruck des Gewollten, der vorgefassten Meinung, des Preziösen; bei Degas ergibt es sich wie von selbst.

      Und dann: sein Raumgefühl. Er komponiert nicht nur in den Raum, sondern mit dem Raum. Der Abstand eines Gegenstandes vom anderen macht oft die Komposition. Keine Linie, nur – wie in der Natur – Flecken von hell und dunkel, von Licht und Schatten.

      Und das ohne die Charakteristik seiner Sujets im Mindesten zu beeinträchtigen. Im Gegensatz zu Manet, der nur „ein Stück Natur durch sein Temperament gesehen“ gibt, malt Degas Bilder. Ihm ist die Charakteristik ebenso wichtig wie den deutschen Genremalern. Diese jedoch – selbst die Besten unter ihnen wie Waldmüller oder Knaus –

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      Ferdinand Georg Waldmüller Ludwig Knaus

      zeichnen ihren Gegenstand so charakteristisch wie möglich und setzen dann die einzelnen Typen zu einem Bilde, das sie mehr oder minder angenehm kolorieren, zusammen, wobei ihnen oft wunderbar wahre Gestalten gelingen (man denke z. B. an den alten Juden in der „Salomonischen Weisheit“ von Knaus).

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      Das Ganze wirkt aber doch noch komponiert.

      Degas' Bilder dagegen machen zuerst den Eindruck einer Momentaufnahme. Er weiß so zu komponieren, dass es nicht mehr komponiert aussieht. Er scheint das ganze Bild in der Natur gesehen, die Szene, die er darstellt, unmittelbar belauscht zu haben. Man sehe zum Beispiel den Pédicure: die Szene ist so drastisch wie möglich, ebenso die Pose, wie der Mann dem Mädchen die Hühneraugen schneidet.

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      Das Arrangement der beiden Figuren so ungesucht und ungekünstelt, als wären sie nach der Natur fotografiert, zufällig, wie sie so da zusammensitzen. Bei genauerer Betrachtung aber entdecken wir unter der scheinbaren Momentaufnahme die höchste Kunst in der Komposition. Wie die Glatze des Operateurs als hellstes Licht und die schwarzen Haare des Mädchens im Bademantel als Dunkelheit gerade da im Bilde sitzen, wo sie dekorativ am wirksamsten sind. Nichts mehr vom Versatzstück. Jedes Detail, das geblümte Sofa, der Stuhl mit dem überhängenden Laken, ist ebenso nötig für die Charakteristik des Vorgangs wie für die Bildwirkung. Der novellistische Inhalt ist vollständig in Form und Farbe umgesetzt. Ohne auch nur das Geringste an seiner Drastik zu verlieren, ist das triviale Motiv zu einem Kunstwerk verarbeitet, das uns in seiner wundervollen Verteilung von hell und dunkel, in seiner farbigen Erscheinung an Velasquez erinnert. C'est une fête pour les yeux. Was ein alter akademischer Ausdruck la mise en toile nennt, von der dekorativen Wirkung eines Outamaro.

      Von weitem schon erkennt man jeden Degas an dem originellen Ausschnitt der Natur. Kühn lässt er hier nur den Kopf, dort nur die Hinterbeine eines Rennpferdes sehen; plötzlich durchschneidet er das Podium der Bühne durch eine Bassgeige mit einem so sicheren Gefühl, gerade an der richtigen Stelle, dass wir meinen, es müsste gerade so, es könnte überhaupt nicht anders sein. Wie er manchmal den Horizont ganz oben an den Rand des Bildes verlegt, um uns die Füße seiner Balleteusen besser zeigen zu können, ohne Rücksicht auf die geheiligte Vorschrift vom goldenen Schnitt, wie er uns seine Modelle in den unmöglichsten Stellungen, in den unglaublichsten Situationen zeigt; wie sie ins Tub steigen, wie sie sich aus- und anziehen, wie sie sich abtrocknen.

      Und das Alles mit einer Naivität, mit der ein unverdorbenes junges Mädchen über die heikelsten Dinge spricht.

      Entweder ist die Kunst des Degas naiv, oder so groß, dass sie naiv erscheint. Stolz verachtet er jede Spur von Virtuosentum, jedes Protzen mit seinem Können oder Wissen. Sein Vortrag ist schüchtern, dezent. Einfach sagt er, was er zu sagen hat ohne irgendwelche Phrase. Er arbeitet mit demselben künstlerischen Ernst wie Menzel; unermüdlich zeichnet er Studien nach der Natur, bis er die charakteristische Pose gefunden hat. Im Bilde gibt er nur den Extrakt, jedes unnötige Detail unterdrückend, immer vereinfachend. Nichts mehr vom Modell.

      Bei keinem modernen Maler ist das Novellistische so völlig überwunden wie bei ihm.

      Freilich – das müssen wir zugeben – wirkt er oft abstoßend; er hat nichts von dem Mitleid, mit dem Rembrandt malt; im Gegenteil, er scheint seine Modelle zu verachten. In dem halbwüchsigen Mädchen, das sich zur Tänzerin ausbildet, zeigt er schon die künftige Prostituierte. Er ist erbarmungslos

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