Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
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Bei der Betrachtung des Schicksals, welches die Tugend, Sittlichkeit, auch Religiosität in der Geschichte haben, müssen wir nicht in die Litanei der Klagen verfallen, dass es den Guten und Frommen in der Welt oft oder gar meist schlecht, den Bösen und Schlechten dagegen gut gehe. Unter dem Gutgehen pflegt man sehr mancherlei zu verstehen, auch Reichtum, äußerliche Ehre und dergleichen. Aber wenn von solchem die Rede ist, was an und für sich seiender Zweck wäre, kann solches sogenanntes Gut- oder Schlechtgehen von diesen oder jenen einzelnen Individuen nicht zu einem Momente der vernünftigen Weltordnung gemacht werden sollen. Mit mehr Recht als nur Glück, Glücksumstände von Individuen, wird an den Weltzweck gefordert, dass gute, sittliche, rechtliche Zwecke unter ihm und in ihm ihre Ausführung und Sicherung suchen. Was die Menschen moralisch unzufrieden macht (und dies ist eine Unzufriedenheit, auf die sie sich was zu Gute tun), ist, dass sie für Zwecke, welche sie für das Rechte und Gute halten (insbesondere heutzutage Ideale von Staatseinrichtungen), die Gegenwart nicht entsprechend finden; sie setzen solchem Dasein ihr Sollen dessen, was das Recht der Sache sei, entgegen. Hier ist es nicht das partikulare Interesse, nicht die Leidenschaft, welche Befriedigung verlangt, sondern die Vernunft, das Recht, die Freiheit, und mit diesem Titel ausgerüstet trägt diese Forderung das Haupt hoch und ist leicht nicht nur unzufrieden über den Weltzustand, sondern empört dagegen. Um solches Gefühl und solche Ansichten zu würdigen, müsste in Untersuchung der aufgestellten Forderungen, der sehr assertorischen Meinungen eingegangen werden. Zu keiner Zeit wie in der unsrigen, sind hierüber allgemeine Sätze und Gedanken mit größerer Prätension aufgestellt worden. Wenn die Geschichte sonst sich als ein Kampf der Leidenschaften darzustellen scheint, so zeigt sie in unsrer Zeit, obgleich die Leidenschaften nicht fehlen, teils überwiegend den Kampf berechtigender Gedanken untereinander, teils den Kampf der Leidenschaften und subjektiven Interessen, wesentlich nur unter dem Titel solcher höheren Berechtigungen. Diese im Namen dessen, was als die Bestimmung der Vernunft angegeben worden ist, bestehen sollenden Rechtsforderungen gelten eben damit als absolute Zwecke, ebenso wie Religion, Sittlichkeit, Moralität. Nichts ist, wie gesagt, jetzt häufiger als die Klage, dass die Ideale, welche die Phantasie aufstellt, nicht realisiert, dass diese herrlichen Träume von der kalten Wirklichkeit zerstört werden. Diese Ideale, welche an der Klippe der harten Wirklichkeit, auf der Lebensfahrt, scheiternd zugrunde gehen, können zunächst nur subjektive sein und der sich für das Höchste und Klügste haltenden Individualität des einzelnen angehören. Die gehören eigentlich nicht hierher. Denn was das Individuum für sich in seiner Einzelheit sich ausspinnt, kann für die allgemeine Wirklichkeit nicht Gesetz sein, ebenso wie das Weltgesetz nicht für die einzelnen Individuen allein ist, die dabei sehr können zu kurz kommen. Man versteht unter Ideal aber ebenso auch das Ideal der Vernunft, des Guten, des Wahren. Dichter, wie Schiller, haben dergleichen sehr rührend und empfindungsvoll dargestellt, im Gefühl tiefer Trauer, dass solche Ideale ihre Verwirklichung nicht zu finden vermöchten. Sagen wir nun dagegen, die allgemeine Vernunft vollführe sich, so ist es um das empirisch Einzelne freilich nicht zu tun; denn das kann besser und schlechter sein, weil hier der Zufall, die Besonderheit ihr ungeheures Recht auszuüben vom Begriff die Macht erhält. So wäre denn an den Einzelheiten der Erscheinung vieles zu tadeln. Dies subjektive Tadeln, das aber nur das Einzelne und seinen Mangel vor sich hat, ohne die allgemeine Vernunft darin zu erkennen, ist leicht und kann, indem es die Versicherung guter Absicht für das Wohl des Ganzen herbeibringt und sich den Schein des guten Herzens gibt, gewaltig groß tun und sich aufspreizen. Es ist leichter, den Mangel an Individuen, an Staaten, an der Weltleitung einzusehen als ihren wahrhaften Gehalt. Denn beim negativen Tadeln steht man vornehm und mit hoher Miene über der Sache, ohne in sie eingedrungen zu sein, d. h. sie selbst, ihr Positives erfasst zu haben. Das Alter im allgemeinen macht milder, die Jugend ist immer unzufrieden; das macht beim Alter die Reife des Urteils, das nicht nur aus Interesselosigkeit auch das Schlechte sich gefallen lässt, sondern, durch den Ernst des Lebens tiefer belehrt, auf das Substantielle, Gediegene der Sache ist geführt worden. – Die Einsicht nun, zu der, im Gegensatz jener Ideale, die Philosophie führen soll, ist, dass die wirkliche Welt ist, wie sie sein soll, dass das wahrhafte Gute, die allgemeine göttliche Vernunft auch die Macht ist, sich selbst zu vollbringen. Dieses Gute, diese Vernunft in ihrer konkretesten Vorstellung ist Gott. Gott regiert die Welt, der Inhalt seiner Regierung, die Vollführung seines Plans ist die Weltgeschichte. Diesen will die Philosophie erfassen; denn nur was aus ihm vollführt ist, hat Wirklichkeit, was ihm nicht gemäß ist, ist nur faule Existenz. Vor dem reinen Licht dieser göttlichen Idee, die kein bloßes Ideal ist, verschwindet der Schein, als ob die Welt ein verrücktes, törichtes Geschehen sei. Die Philosophie will den Inhalt, die Wirklichkeit der göttlichen Idee erkennen und die verschmähte Wirklichkeit rechtfertigen. Denn die Vernunft ist das Vernehmen des göttlichen Werkes. Was aber die Verkümmerung, Verletzung und den Untergang von religiösen, sittlichen und moralischen Zwecken und Zuständen überhaupt betrifft, so muss gesagt werden, dass diese zwar ihrem Innerlichen nach unendlich und ewig sind, dass aber ihre Gestaltungen beschränkter Art sein können, damit im Naturzusammenhange und unter dem Gebote der Zufälligkeit stehen. Darum sind sie vergänglich und der Verkümmerung und Verletzung ausgesetzt. Die Religion und Sittlichkeit haben eben als die in sich allgemeinen Wesenheiten, die Eigenschaft, ihrem Begriffe gemäß, somit wahrhaftig, in der individuellen Seele vorhanden zu sein, wenn sie in derselben auch nicht die Ausdehnung der Bildung, nicht die Anwendung auf entwickelte Verhältnisse haben. Die Religiosität, die Sittlichkeit eines beschränkten Lebens – eines Hirten, eines Bauern, in ihrer konzentrierten Innigkeit und Beschränktheit auf wenige und ganz einfache Verhältnisse des Lebens, hat unendlichen Wert und denselben Wert als die Religiosität und Sittlichkeit einer ausgebildeten Erkenntnis und eines an Umfang der Beziehungen und Handlungen reichen Daseins. Dieser innere Mittelpunkt, diese einfache Region des Rechts der subjektiven Freiheit, der Herd des Wollens, Entschließens und