Jochen Klepper: Der Vater Roman eines Königs. Jochen Klepper
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Sonst ahmte er die gemeinen Soldaten nach, rauchte Tabak, fluchte, band sich einen Riesensäbel um und redete mit Vorliebe die niedrigsten Soldaten an, und zwar in ihrem Umgangston. Alle Frauen, auch die eigene Stiefschwester, nannte er Huren. Wenn er nicht fluchte, sprach er schnarrend, leise, kurz und abgerissen, sprach überhaupt ungern; fand er eine Antwort nicht, so runzelte er die Stirn; beim Sprechen nahm er stets, wie ein kleines, verängstetes Kind, den Daumen in die linke Hand; aber es kränkte ihn aufs tiefste, als sein großer Degen einmal durch einen passenderen, kleinen ersetzt wurde. Er ging einwärts, lief mit unsauberen Handschuhen und ungeputzten Zähnen umher; und immer hatte er Hunde um sich, gleichgültig, ob sie dem König Möbel und Gärten verdarben oder nicht. Im Zimmer ging er lieber durchs Fenster als durch die Tür, und in den Räumen des Vaters durfte er sich überhaupt nur aufhalten, wenn er das ausdrückliche Versprechen gab, nichts darin zu verderben.
Schloss Charlottenburg
Einen Entrüstungssturm rief es hervor, dass der Prinz im Schloss mit Reitstiefeln umherging, statt in leichten, eleganten Schuhen, wie die gesamte Hofgesellschaft es ausnahmslos tat. Auf die Schleppen der Damen hatte er es ebenso abgesehen wie auf die Schienbeine seiner markgräflichen Onkel. So hatte es seinen guten Grund, dass die Königin, weilte sie in Berlin, den Sohn täglich einmal sehen wollte; hielt sie sich aber auf ihrem geliebten Lietzenburger Schloss Charlottenburg auf, so musste er doch wenigstens einmal in der Woche zu ihr hinauskommen. Dafür hatte er einen eigenen kleinen Wagen, mit dem er auch wirklich regelmäßig zu antikischem Dialoge nach Lietzenburg und den er endlich auch in Trümmer fuhr. Ritt er aber, so umgab man ihn angstvoll mit vier Wächtern; denn der Knabe nannte sich selbst zwar dick und verschlafen, war aber in seiner, ihm selbst immer viel zu geringen Tollkühnheit so zart, dass er unter der geringsten Hitze sehr litt, zu jäh sein Gewicht verlor, rasch in hohes Fieber fiel und dauernd quälende Kopfschmerzen zu verschweigen hatte.
Königin Sophie Charlotte
Sorgfältig wählte Königin Sophie Charlotte alle Lektüre für ihn aus; immer wieder griff sie auf Fénelons „Telemach“, den schwärmerischen Fürstenspiegel, zurück. Friedrich Wilhelm wollte – abgesehen von der Selbstüberwindung, die er an ihm anerkannte – ganz und gar kein Telemach in Fénelons, der Königin und ihrer bewunderten Antike Sinne werden und wartete bei den wöchentlichen Dialogen mit seiner Mutter recht beharrlich mit demselben Satz aus Xenophons moralisch-politischen Schriften auf; was dort vom rastlos tätigen König Kyros ausgesprochen wurde, bedeutete ihm die höchste Weisheit aller Bücher: „Die sichersten Mittel, einem Volk, einem Land, einem Königreich eine dauerhafte Glückseligkeit zu verschaffen, sind ein Heer auserlesener Soldaten und eine gute Wirtschaft der Bürger.“ Allenfalls wollte er Titus sein: der küsste die Guten und bedachte die Bösen mit Nasenstübern. Die Guten aber waren dem Knaben die Fleißigen und Geringen, die Bösen die Vornehmen und Müßiggänger. Darauf gab man bei Hofe acht; ein Schneider hatte bei dem Thronfolger den Vortritt vor einem Baron.
Der Prinz verstand nur wenig von der Meinung seiner Eltern, dass Gold einen Besitz erst bedeute als Fest oder Kunstwerk oder geistige Schöpfung. Der Zehnjährige schon führte zum Entsetzen der hohen Familie und ihrer Höflinge ein Kontobuch, dem er die Aufschrift gab: „Rechnung über meine Dukaten.“ Er schien nur das Rechnen gelernt zu haben – und war doch immer ein ganz besonders schlechter Rechenschüler gewesen. Alles war in seinem Kassenbuche vermerkt: die Neujahrsgeschenke an die Dienerschaft genauso wie eine gelegentliche Anleihe von einem Taler bei dem Küchenmeister Jochen, der Preis für ein paar junge Füchse genauso wie Ausgaben für Blumen und Farben zum Malen. Damit trieb er es eigentlich recht arg.
Die Großmama in Hannover
Lediglich die Großmama in Hannover lachte darüber, und man wusste nicht gewiss, ob über den kleinen Geizhals oder die dauernde Wiederkehr eines Postens junger Füchse, Hasen und Farbentöpfe.
Sie, die schon den Neugeborenen, Starken, Gesunden gleich nach der Geburt nach Hannover zu entführen gedachte, schien ihn mit anderen Augen zu sehen als das hohe Haus und der Hof.
„Er weiß die Details von alles, er weiß wie ein Dreißigjähriger zu reden; jedwedem sagt er etwas Obligants“, so schrieb sie von dem dreizehnjährigen Gast auf ihrem Lieblingsschlosse Herrenhausen, „er sieht aus wie man die Engeltien malt, hatt ein Hauffen blundt her; wan die frisirt sein, sieht er aus wie man Cupido malt.“
Gottfried Wilhelm Leibniz – 1646 – 1716
Seltsamerweise hat auch Leibniz, der große philosophische Freund der Mutter, mit solcher Zartheit von ihm geurteilt – und musste doch eigentlich bangen für den weisen Erziehungsplan, den er für den jungen Wilden aufgestellt hatte!
Schließlich musste aber auch die Königin, die verschwenderischste, leichtsinnigste, schöngeistigste aller Mütter, den jungen Wilden über alles geliebt haben. Denn als der Siebzehnjährige seine Prinzenreise an die fremden Höfe antrat, die Fahrt nach Brüssel, Holland und Italien, stand in ihrem Tagebuche ein einziges trauriges „parti“. Doch schien ihr die Große Tour des jungen Herrn aus hohem Hause der letzte Versuch, seine Rauheit zu glätten.
Nach dieser Reise sollten Mutter und Sohn sich nicht wiedersehen. Die Königin starb nach ihrem großen Karneval, um dessen Freuden sie sich durch Krankheit nicht betrügen lassen wollte. Das Leben war ihr Traum und Feier und Gedanke gewesen. Lesend, musizierend, diskutierend, tanzend und für ungefährliche Liebschaften schwärmend, hatte sie es hingebracht. Nach dem Tode der Mutter wurde Friedrich Wilhelm sichtlich noch schroffer. Der König war seitdem um den Sohn sehr besorgt. Nur jetzt, in den Ereignissen um Gaëtano, hätte der König ihn mehr als nur „parti“ gewünscht, um bloß den Unannehmlichkeiten bei der Begegnung zwischen dem Kronprinzen und dem Conte enthoben zu sein.
* * *
Friedrich I. zog, als bedeute es Abwehr und Schutz, seinen Zobelmantel fest um die Schultern und Hüften, dass man die Seide knistern hörte, mit der er gefüttert war. Der Hofmarschall war froh, dass der König sich nach so langem Sinnen wieder regte. Solange die Majestät in düstere Gedanken versunken schien, wagte der Marschall nicht zu sprechen; und ihn beschwerten so dringliche Fragen. Endlich wandte ihm der Monarch sein lockenschweres Haupt wieder zu, und über seinen Zügen lag die alte Freundlichkeit. Der Herrscher sah es ein. Die Sorgen des Oberhofmeisters waren nicht leicht zu nehmen. Wie hatte man die Stätte des alchimistischen Laboratoriums, für die der Kronprinz nun einmal eigensinnig die alte Gesindeküche bestimmte, für den königlichen Zuschauer und seine Gäste herzurichten? Welche Treppen durften Majestät benützen, wenn sie zum Keller hinab schritten? Welcher Anzug war für solchen Anlass angebracht?
König Friedrich gab sich äußerst vertraulich. Er sei ebenfalls ratlos. Man möge sich mit der Prinzessin von Brandenburg-Ansbach, die als liebster Gast bei Hofe weilte, ins Benehmen setzen.
Die wisse in solch schwierigen Lagen stets einen Ausweg. Die habe, von der verstorbenen Königin selbst für das Hofleben erzogen, das feinste Gefühl für derartige Besonderheiten.
Die Ansbacherin half. Mit ihren großen, grauen Augen sah sie einen Augenblick den König schweigend an.
Prinzessin von Brandenburg-Ansbach