Gregors Pläne. Hans Durrer
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Jura habe ich studiert, weil ich mir Medizin nicht zutraute, da ich weder Physik noch Chemie begriff. Heute bedauere ich das und wünsche mir, ich hätte mir damals einen Tritt in den Hintern gegeben, mich angestrengt und meinen Blick auf die Zukunft gerichtet, die berufliche, denn dann hätte ich bestimmt nicht Jura studiert. Streithähne verachte ich.
Juristen sind häufig ziemlich eingebildet. In dieser Hinsicht kann ich mich mit ihnen bestens identifizieren, nur schaffe ich es nicht, das Fabrizieren von Problemen, die nur von denen gelöst werden können, die sie erschaffen haben, wirklich ernst zu nehmen. Ich weiss, ich weiss, die Juristerei hat reale Konsequenzen. Ich schaffe es trotzdem nicht, finde sie theatralisch, aufgeblasen und essentiell hohl.
Doch Jurist klingt in meinen Ohren einfach besser als Historiker, denen meist nur gerade ein Lehrerdasein blüht. Furchtbar! Wer um Himmels Willen will sich schon mit Teenagern auseinandersetzen, die so ziemlich Null-Interesse am Schulstoff haben. Und überhaupt: Lehrer nimmt doch nun wirklich niemand ernst.
Am Rande: Ich habe viele Jahre später brasilianische Teenager in Englisch unterrichtet – sie waren neugierig, interessiert und lernbegierig.
Juristen wird nachgesagt, sie könnten gut reden. Ich sehe mich gerne als guten Redner. Rechthaberische Neigungen habe ich auch. Als Jurist zu arbeiten kann ich mir trotzdem nicht vorstellen. Und so habe ich nach meinem Abschluss ein Medienstudium angefangen. An einer renommierten Uni in Grossbritannien, „Oxbridge für Journalisten“, laut Wikipedia. Nächstens werde ich meinen Magister machen.
34 Studenten sind wir, die Hälfte Frauen, aus 24 Ländern, von China bis zur Karibik. Im Alter von Mitte zwanzig bis Ende vierzig. Der Fernsehsender, bei dem sie angestellt sind, habe fast die ganze Studioausrüstung von einer englischen Firma bezogen, erzählt F aus Ghana. Im Gegenzug habe sich die englische Regierung mit drei Stipendien erkenntlich gezeigt. Südkoreaner berichten, dass sie nur unter der Bedingung aufgenommen worden seien, dass sie vorgängig einige Monate einen teuren Intensiv-Englisch-Kurs in Grossbritannien belegten. Die Briten verstehen sich aufs Abzocken.
Als ein Studenten-Rekrutierer in Tokio mit zwei Kandidatinnen ein höchst anregendes Gespräch über Shakespeare, Dekonstruktivismus und japanisches Essen geführt hatte, sie dann aber bedauernd wegschickte, da sie kein Englisch sprachen, hörte er seinen Supervisor rufen:
„Weshalb schickst die beiden weg?“
„Sie sprechen kein Englisch!“
„Schick sie doch einfach zu mir, bitte!“
Bei den Gebühren, die internationale Studenten zahlen, musste doch da was zu machen sein. Und in der Tat gibt es im Vereinigten Königreich den personal tutor, der jedem Studenten beigegeben ist und dazu schauen soll, dass der Student nicht totalen Schrott abliefert. Meiner, der auch noch für andere Studenten zuständig ist, meinte einmal, er könne gar nicht mehr zählen, wie viele Magisterarbeiten er schon geschrieben habe. Und meine Kollegin S, die von ihrem Klassenlehrer aufgefordert wurde, die eingereichte Arbeit noch einmal mit dem Tutor durchzugehen, erzählte mir, der Klassenlehrer hätte ihre revidierte Version enthusiastisch mit „Super, ich habe sie gar nicht wieder erkannt“ kommentiert. „Als Kompliment kam mir das nicht gerade vor“, lachte sie.
Meine Kollegin M, Inderin aus der Südsee, offenbart mir, während wir im Regen vor dem Eingang des Hauptgebäudes uns die Beine vertreten, ihre Schwierigkeiten, sich anzupassen. Sie habe vor zwei Jahren in den USA das Studium abgebrochen, da es mit ihren Bedürfnissen absolut gar nichts zu tun gehabt habe. Und jetzt fürchte sie sich davor, es auch dieses Mal nicht zu schaffen. Unverzüglich rate ich ihr, wie es so meine Art ist, was zu tun sei: Sich keine Gedanken über Sinn oder Unsinn von Regeln zu machen, sondern diese einfach befolgen. Was M in der Folge auch tut (und gut damit fährt), ich selber hingegen nicht. Wer hält sich schon an seine eigenen Ratschläge?
„Development Journalism“ heisst eines der Module, die ich belegt habe. Der Dozent hält einen etwa zehnminütigen Vortrag, in dem er ausführt, dass dieser für Entwicklungsländer propagiert werde, denn dort sei nicht das kritische Hinterfragen (die Essenz des Journalismus, zumindest gemäss einiger Theoretiker) vorrangig, sondern die Unterstützung der Regierung. PR und Propaganda also, werfe ich ein. So würde er das nicht sagen, meint der Dozent, der wie Dozenten generell, alles sehr komplex findet. Schon klar, sonst könnte ja jeder mitreden.
Wir sollen Vierer-Gruppen bilden und ein Projekt definieren, wird uns aufgetragen. Alles klar?, fragt der Dozent. Die Gruppenbildung schon, doch was für ein Projekt? Niemand traut sich zu fragen, schliesslich wage ich mich vor. Ob er das mit dem Projekt bitte erläutern könne? Mal angenommen, „Development Journalism“ sei in einem Entwicklungsland sinnvoll, dann müsste er doch auch hier in Wales sinnvoll sein. Es gehe darum, ein entsprechendes Projekt zu identifizieren und dann umzusetzen.
Meine drei Mitstreiter, zwei aus Ghana, einer aus Südkorea, schauen erwartungsvoll zu mir. Seid ihr Muslime?, frage ich die beiden Ghanaer. Sie nicken. Und besucht ihr hier die Moschee? Wiederum nicken sie. Wie wäre es, wenn wir beim Vorsteher der Moschee vorstellig werden, ihm anbieten, die gegenwärtige Kommunikationsstrategie zu prüfen und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge zu machen? Jetzt nicken alle drei.
Er habe den Vorsteher gefragt, sagt J zwei Tage später, und er sei einverstanden. Wir werden freundlich empfangen, finden schnell heraus, dass die Gemeinde an so ziemlich alles bereits gedacht hat, machen den Vorsteher auf zwei, drei Details aufmerksam, die man besser machen könnte und lernen vor allem, dass Kommunikationsexperten so recht eigentlich überflüssig sind.
„Understanding Pictures“ ist mein Lieblingsmodul. Das hat vor allem mit dem Dozenten zu tun, der auch nach mehr als zwanzig Jahren Unterrichten einen Enthusiasmus versprüht, der ansteckend ist. Eine mir unbekannte Welt tut sich auf – ich fühle mich gepackt, ergriffen, kann nicht genug kriegen von Fotografien und von Texten, die sich mit Bildern beschäftigen. Selbst den langweiligsten kann ich noch etwas abgewinnen. Mir schwebe eine Magisterarbeit über Dokumentarfotografie vor, ob er eine solche betreuen würde? Als ich sie nach intensiven Monaten abschliesse, sagt er: Wenn mich jemand fragen würde, wie man heutzutage eigentlich noch über Fotografie schreiben können, würde ich sagen: So! Zugegeben, ich habe mir hin und her überlegt, ob ich das jetzt wirklich hinschreiben soll, doch ich habe nur kurz gezögert.
Von mir selber begeistert schreibe ich fortan Artikel, häufig über Gemeinplätze, die kaum jemand zu hinterfragen scheint. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? Eher braucht man tausend Worte, um ein Bild zu verstehen. Seeing is believing? Möglich, doch wahrscheinlicher ist, dass ich sehe, was ich glaube. Die Texte werden hier und da veröffentlicht, meinen Lebensunterhalt kann ich damit nicht bestreiten, bei Weitem nicht.
***
Als ich nach meinem Magisterabschluss ein halbes Jahr um die Welt reise, komme ich auf der Überfahrt von Surat Thani nach Ko Samui mit einem Briten ins Gespräch, der sich für mein Dafürhalten etwas gar stark für mich interessiert (klar, ich habe so Momente, in denen ich mich selber toll finde – aber so toll wie der Brite mich findet, dann doch wieder nicht), sodass ich die Initiative ergreife: „Übrigens, ich bin ganz klar hetero.“ Er selber sei noch unentschieden, grinst er.
Gebildet zu sein, ist für mich ein Wert an sich, weshalb denn auch die Frage, welche Bücher ich auf meine Weltumrundung mitnehmen soll, mich wochenlang umgetrieben hat. Letztendlich waren es dann ausschliesslich Reclam-Büchlein, weil die leicht sind und wenig Platz einnehmen. Und unter diesen Montaignes Essais, Fontanes Effi Briest, Shakespeares Hamlet, Goethes Faust, Sophokles' Antigone und und