Gregors Pläne. Hans Durrer
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Bangkok war der erste Stopp. Ich verliebte mich sofort in eine junge Thai und sie sich in mein Geld. Ich hatte schon einige solcher Geschichten gehört, glaubte, bei mir sei das alles ganz anders, schliesslich war ich ein gebildeter, anständiger und ansprechend aussehender junger Mann und keiner dieser bierbäuchigen, hirnlosen und unattraktiven Barbesucher, die zuhause keine Frau kriegen konnten. Dass ich selber viel Bier trank, in meinem Herkunftsland auch nicht mit einer Frau zusammen war und „meine“ junge Thai in einer Bar kennengelernt hatte, entging mir zwar nicht, doch etwas flüchtig zu streifen, bewirkt selten viel.
Genaues Hinschauen fordere ich von allen, mit denen ich über Gott und die Welt debattiere. Mir selber gelingt es erst, wenn ich es nicht mehr vermeiden kann. Dieser Moment kommt dann auch, als ein deutscher Bangkok-Bekannter mir nach Bali schreibt, er habe „meine“ wieder in der Bar anschaffen sehen, obwohl ich ihr doch reichlich Geld für eine Ausbildung gegeben hätte. Ich gehöre halt zu diesen hoffnungslosen Romantikern, glaubte ich zwischen den Zeilen zu lesen. So isses!
Erstaunlich, wie wenig mir von dieser Weltumrundung geblieben ist. Eine Busfahrt in Neuseeland, auf der ich eine junge Maori fragte, wie sie Rotorua, das bekannt für seine Schwefelquellen ist, beschreiben würde – „it stinks“, sagte sie; Bilder aus Hawaii, wo ich jeden Tag in dasselbe Restaurant ging, wegen der hübschen Bedienung, die ich mich jedoch nicht anzusprechen traute; von einem Lokal beim Santa Monica Pier in Los Angeles, wo jeder sich auf der Bühne produzieren durfte und ein Schwarzer dermassen falsch sang, dass ich mich vor Lachen kaum mehr erholen konnte (ich war bis dahin der Meinung gewesen, alle Schwarzen hätten Musik und Rhythmus im Blut), von der Beaconsfield Parade in Melbourne, wo ich bei B untergekommen war, die in einem vegetarischen Lokal kochte; von einer Hochhauswohnung nahe beim Bondi Beach in Sydney, wo die Freundin einer Barbekanntschaft mit ihrem Freund wohnte.
Schon eigenartig, das Gedächtnis. Dass mir die Dinge bleiben, die mir wichtig sind, kann ich nicht sagen, denn dann würde ich mich bestimmt nicht an Sepp Trütsch erinnern. Den kennen Sie nicht? Der galt mal als Volksmusikstar. Ein rundlicher Typ, wirkte bodenständig und sympathisch, man konnte ihn sich genau so gut auf einem Traktor wie auch als Rayonchef im Coop vorstellen. Nein, er spielte kein Instrument (jedenfalls nicht im Fernsehen), er moderierte eine Sendung. Mein Interesse an Volksmusik? Null, zero, nada. Weshalb also sollte ich mich an so jemanden erinnern? Oder daran, dass Paris Hilton, deren Qualifizierung als Berühmtheit darin bestand, dass ihre Eltern eine internationale Hotelkette besassen, ihren Wohnsitz angeblich einmal im Kanton Schwyz hatte? Es ist ein ziemliches Durcheinander, was sich da in meinen Kopf tummelt, abhängig, so scheint mir, vor allem von Stimmungen, die ich kaum beeinflussen kann. Dazu kommt natürlich, dass ich Unangenehmes bewusst verdränge. Und vermutlich auch unbewusst. Diejenigen, die das Unbewusste interpretieren, halte ich für Wichtigtuer. Damit das auch gesagt ist.
Reisen bedeutet für mich die Erfahrung der Weite. En Suiza, nunca se ve el horizonte, sagt Y, die aus Havanna stammt und aufs Meer hinaus zu schauen sich gewohnt ist. Gut möglich, dass es mich deshalb in die Ferne zieht. Sicher, ich finde die Schweiz schön, sehr schön. Wer tut das nicht? Doch ich habe lange gebraucht, bis ich das richtig wahrgenommen habe. Doch wer schätzt schon, was er vor der Nase hat. Klar, ich rede von mir. Etwas anderes ist auch gar nicht möglich. Die Ich-Form zu verwenden, bedeutet Verantwortung zu übernehmen? Wo leben Sie bloss? Reichen Ihnen all die Narzissten denn nicht, wollen Sie unbedingt noch mehr?
Auch wenn ich die Schweiz ein schönes Land finde, ist mir trotzdem klar (jedenfalls stelle ich es mir so vor), dass es überall schön ist und man an jedem Ort glücklich (oder unglücklich) sein kann. Nur glaube ich es nicht; meine Gefühle folgen meinem Kopf nicht, sie haben andere Ideen.
Wo er am liebsten leben würde, wurde der englische Autor Eric Ambler, der damals in Clarens, oberhalb Montreux wohnte, gefragt. Immer da, wo er gerade nicht sei, antwortete er. Kein Wunder, geht mir dieser Satz seither nicht mehr aus dem Kopf.
***
Mit der Jobsuche habe ich vor zwei Monaten angefangen. Ich weiss nicht so recht, was ich will, finde es auch ziemlich egal, wo ich lande. Positiv formuliert: Ich bin offen. Nicht so positiv formuliert: Ich bin unentschieden. Und das kann ja viel heissen. Ich weiss jedoch instinktiv, was ich nicht will. In die Politik würde ich nie gehen. Oder in die Verwaltung. Grosse Organisationen kommen eigentlich generell nicht in Frage. Nur Konkurrenzdenken, Neid und Intrigen. Die pure Lebensfreude springt einen dort garantiert nicht an.
Bei grossen Organisationen, in denen niemand den Überblick haben kann (vor allem die Leute an der Spitze nicht, die mit der Verteidigung der eigenen Position ja ziemlich ausgelastet sind), sind Fachwissen und sachliche Kompetenz nicht wirklich wichtig, ausser auf den mittleren Stufen. Priorität hat das Funktionieren der Organisation. Das gilt für den Staat, die Wirtschaft, das Recht, ja für so ziemlich alles. Stabile Verhältnisse will man, denn nur dann lässt sich planen. Wo käme man denn auch hin, wenn sich alles ständig ändern würde? Man muss sich doch auf etwas verlassen können. Garantiert wird das durch Befehlsempfänger (Soldaten, Beamte, Chefsekretärinnen und Sachbearbeiter), die das eigentliche Fundament jeder Organisation sind.
Nein, ich halte nicht alle Staatsangestellten für angepasste Trottel, lerne auch immer mal wieder einen (oder eine, sowieso) kennen, mit dem ich mich bestens verstehe. Ich habe aber eben auch andere erlebt: Beamte, die keine Frage beantworten können und einen gebetsmühlenartig auf den Dienstweg verweisen.
„Du hältst Dich schon für etwas Besseres, oder etwa nicht?“ Ich nehme A, dessen Frau Beamtin ist, die Frage nicht übel. Er selber hat studiert, Geschichte, ist aber Hausmann und ein generell wohlmeinender Typ, der sich als Schriftsteller versucht, obwohl ihm klar ist, dass ihm die dazu nötige Begabung und auch der Mut fehlt.
„Irgendwie vielleicht schon, doch so recht eigentlich weiss ich es nicht. Findest Du mich denn überheblich?“
„Nein, das nicht, doch was für die meisten akzeptabel ist, scheint für Dich inakzeptabel.“
„Ich habe den Eindruck, das gehe vielen so. Sie sagen es einfach nicht und passen sich an. Feiglinge sind das.“
„Dann gehörst Du also zu den Mutigen?“
„Also für mutig halte ich mich gar nicht. Mutige trauen sich was und gehen dafür Risiken ein. Bei mir ist es eher so ein Hineinschlittern. Doch ich ertrage das Anpassertum nicht, auch auf Hierarchien reagiere ich allergisch.“
„Das finde ich etwas arg pauschal. Wenn Du Kinder hast, bleibt Dir nämlich manchmal nur, die Faust im Sack zu machen und weiterzuarbeiten.“
„Manchmal bin ich froh, dass ich keine Kinder habe“
Es ist ein eigenartiges Phänomen: Da ich nicht in Betracht ziehe, zu tun, was man eben so tut, bezichtigen mich nicht wenige der Arroganz. Klarer Fall, denkt es dann so in mir, die fühlen sich bedroht, weil ich nicht zu wollen scheine, was sie anstreben oder haben. Sie fühlen sich durch meine Haltung in Frage gestellt, ja, angegriffen. Gut möglich, dass ich mich entschieden zu wichtig nehme.
Es ist sonnig und warm. Ein nachmittäglicher Spaziergang mit K, einem freiberuflichen Pädagogen, der von staatlichen Aufträgen lebt. Wir kennen uns seit der Primarschule. Er untersucht unter anderem, welche Sitzordnung im Klassenzimmer optimal ist.
„Schon erstaunlich, wofür der Staat Steuergelder ausgibt“, sage ich. „Und überhaupt: Wie findet man das denn eigentlich raus?“
„Wir haben da ganz verschiedene Methoden“, erwidert K, „doch hauptsächlich durch Befragungen.“