Geliebtes Carapuhr. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Geliebtes Carapuhr - Billy Remie страница 8
Sie winkte ihn zu sich.
Vynsu blinzelte. Der Schnee unter seinen Füßen knirschte, als er sich in Bewegung setzte. »Was willst du mir zeigen?«
Sie legte einen zierlichen Finger über ihre blauen Lippen, ihre Wimpern waren eingefroren. Die Antwort blieb sie ihm schuldig, aber sie winkte ihn drängend zu sich. Vorsichtig trat er näher, das Eis, auf dem er ging, war brechend dünn, er hörte es unter seinem Gewicht gefährlich knarren. Furchtvoll blickte er hinab, sein Atem bildete weiße Wolken vor seinem Gesicht. Auf dem Eis lag Blut, es färbte den Frost rosa. Unter Vynsus Stiefeln schwammen Gesichter von Leichen, gefallene Krieger mit offenen, gefrorenen Augen.
Er sah sich auf dem See um, Schwerter steckten im Schnee, gebrochene Schilde lagen daneben. Es war grabesstill. Eine Schlacht hatte hier gewütet, die Lachen dampften noch. Vynsu bemerkte die Waffe in seiner Hand und starrte sie verwundert an. Wo kam sie her? Seine Klinge und sein Arm waren Blut überströmt.
Kalte Hände umfassten sein Gesicht, er wollte zurückzucken, doch sie hielt ihn sanft fest, hob seinen Blick an, bis er ihrem begegnete. Ihre Augen waren leer, ihr Gesicht bleich, kein Leben schien durch ihre Adern zu fließen. Der Wind wehte ihr das rote Haar in die Stirn, es wirkte durch ihre weiße Haut noch röter.
»Was willst du mir zeigen?«, wiederholte er atemlos.
Sie ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und zeigte mit einem ausgestreckten Arm in die Mitte des Sees. Vynsus Herz krampfte, er wollte sich nicht umdrehen, aber eine unbesiegbare Macht ergriff von ihm Besitz und drehte seinen Kopf zur Seite.
Dort sah er es, die beiden Krieger. Feinde, wie es schien. Das Bild war eingefroren, nicht mehr als ein lebloses Gemälde. Einer der beiden kniete in Blut, der andere lag sterbend in seinen Armen und starrte ungläubig zu ihm auf. Ein Schwert steckte in der schmalen Brust des Sterbenden, die Faust des Siegers lag noch darum. Vynsu konnte sein Gesicht nicht erkennen, es wurde von blonden Strähnen verhüllt. Doch den Sterbenden erkannte er hingegen mit einer erschreckenden Klarheit.
Es war Desith, aus dem das Leben entschwand.
»Vynsu?«
Ein Rütteln an seiner Schulter, weder sanft noch grob, ließ ihn die Augen aufschlagen. Jori stand über ihm, in der Nacht wurde sein hartes Gesicht angestrahlt vom knisternden Lagerfeuer, an dem Vynsu saß.
»Deine Brühe verkocht«, sagte Jori mit seiner ruhigen, wohltuenden Stimme. Er klopfte Vynsu noch einmal auf die Schulter, bevor er an ihm vorüberging und sich ebenfalls im Schein der Flammen niederließ. Er holte seinen Wasserschlauch hervor und trank davon.
Vynsu öffnete die verschränkten Arme und beugte sich nach vorne, Moos und Rinde von dem umgestürzten Baumstamm, der ihm als Stütze gedient hatte, klebten ihm am Rücken, und als der Dreck abfiel, landete er natürlich in seinem Hosenbund und rutschte in seine Ritze. Grunzend bewegte er das Gesäß hin und her, dann lehnte er sich über das kleine Feuer und starrte in den Kessel, der darüber dampfte. Funken sprühten in der Dunkelheit unter dem geschwärzten Topf hervor, glommen flüchtig wie Glühwürmchen auf, um dann in der schwarzen Nacht zu verglühen. Irgendwo maulte ein Jaguar im Dschungel.
Vynsu rührte ein wenig in der Brühe und wirbelte die Knochen auf. Ein starker, leckerer Duft wehte ihm in die Nase, der ihn umgehend in seine Kindheit entführte.
»Von wem hast du geträumt?« Joris Nachhaken war vorsichtig, wie der Vater, der den Sohn fragte, wovor er sich fürchtete.
Vynsu zuckte mit den Achseln, er wollte nicht seine Träume vor seinen Freunden breittreten. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er sie einfach so schnell vergessen, wie sie ihn heimsuchten.
»Du hast gewimmert wie ein Lämmchen«, nun lag Belustigung in der Stimme seines Freundes, »hast du von einer Frau geträumt?«
Nicht von irgendeiner, dachte Vynsu bei sich, und wieder hatte er Desiths Tod gesehen. Immer wieder derselbe Traum, das machte ihn unruhig. Er blieb Jori die Antwort aber schuldig. Stattdessen spähte er angestrengt in seinen Kessel und ließ durch stetiges Rühren die Hitze entweichen.
»Wusste nicht, dass du kochen kannst«, wechselte Jori nach einem Moment das Thema. In seiner Miene lag ein wissender und gleichwohl amüsierter Ausdruck.
»Das Rezept meiner Mutter«, verteidigte sich Vynsu und rührte weiter. »Diese Schamanen wissen doch gar nicht, was sie tun.«
»Hm«, brummte Jori und stützte die Ellenbogen auf die Knie. »Ich denke, dein Schützling hätte längst das Zeitliche gesegnet, verstünde der Schamane sein Handwerk nicht. Aber wenn dich deine Sorge dazu bringt, uns Brühe zu kochen, werde ich dich nicht belehren.«
Vynsu sah nicht auf, als er eine Holzschale vom Boden hob und sie füllte. »Die Suppe ist nicht für euch.«
Jori lachte leise in sich hinein. »Das habe ich befürchtet. Aber wissen das auch die anderen?«
Vynsu sah ihn ernst an. Er hatte nicht den ganzen Abend gekocht, damit seine Männer Desiths Kraftbrühe wegschlurften.
»Geh«, lächelte Jori ihm milde zu, »ich bewache deinen Kessel.«
Vynsu zögerte noch einen Moment, aber wenn er einem seiner Männer vertraute, dann Jori.
Seufzend stand er mit der Brühe in der Hand auf, seine Glieder fühlten sich steif an, seine Beine so schwer wie mit Eisenplatten versehen. Er versuchte, sich seine Erschöpfung nicht anmerken zu lassen, aber der mitleidvolle Blick seines Freundes sagte alles, als er an ihm vorüber ging.
Er hörte Jori noch leise, aber ehrlich sagen: »Hast ein gutes Herz, mein Prinz.«
Ihm lag auf der Zunge, erneut zu betonen, dass er nicht mehr der Prinz war – und er gewiss kein gutes Herz besaß –, tat dann aber der Einfachheitshalber so, als hätte er den Kommentar nicht gehört und ging auf das einzige Zelt in ihrem winzigen Lager zu, das er zusammen mit Jori am frühen Abend aufgebaut hatte, während die anderen jagen und Früchte sammeln waren und der Schamane dem bewusstlosen Desith die Naht an der Stirn wieder zusammengeflickt hatte.
Als er nun das Zelt betrat, war es still im vom Kerzenschein gefluteten Innerem, und so stickig wie in den Schwitzbuden Carapuhrs. Nach seinem Traum kam ihm die Ruhe beinahe beängstigend vor, als würde der Tod über Desith stehen, ihm zuflüstern, ihm zu folgen.
Der Schamane war nicht anwesend, vielleicht holte er Wasser oder verrichtete seine Notdurft.
Trotz Räucherwerk, das in vielen Schalen vor sich hin qualmte, konnte Vynsu den beißenden Geruch von Pisse und Scheiße im Krankenzelt überdeutlich wahrnehmen.
Desith lag mit dem Rücken zu ihm auf einer Pritsche aus Leder und Fellen, nackt und leicht rosig, er war gerade erst gesäubert worden, die Waschschale stand noch an seinem Lager, der Nachttopf war leer. Vynsu schob alles mit seinem Fuß zur Seite, zog mit einer Hand einen Hocker heran und setzte sich dicht neben ihn.
Desith besaß das gleiche rote Haar wie seine Schwester. Kein blasses, farbloses Rot, wie es das Volk aus den südlicheren Fürstentümern Carapuhrs oft besaß, sondern ein lebendiges, feuriges Rot. Es hatte sich über die Jahre nicht verändert, noch