Der Politiker. Geri Schnell
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Nachts im Bett hat sie Mühe einzuschlafen. Schliesslich streicht sie Herr Goldberg endgültig aus dem Gedächtnis, er hat kein Interesse. Für ihn wäre es ein leichtes gewesen, die Hand leicht zu verschieben, doch er hat es nicht getan. Das Leben in Deutschland ist so schon hart genug. Alles wird teurer. Natürlich ist auch ihr Gehalt gestiegen, doch die Lohnerhöhung kommt immer zu spät, unter dem Strich bleibt immer weniger.
Im Amtshaus /1922
«Herr Wolf sofort in den Ratssaal», ruft die Sekretärin des Bürgermeisters, «schnell es herrscht dicke Luft!»
Nach rund zehn Minuten ist der Ratssaal mit diskutierenden Männern gefüllt. Alle sind da, nur der Bürgermeister fehlt noch, aber seine Schritte hallen schon durch den Gang. Schon sein Tritt verrät, dass er schlechte Laune hat.
«Sind alle da?», ruft er in den Saal, ohne die Antwort abzuwarten, legt er los, «meine Herren, wir haben ein Problem, die Gewerkschaft hat zum Streik aufgerufen. Wir müssen mit Unruhen rechnen. Die Preise steigen monatlich und nun verlangt die Gewerkschaft, dass der Lohn angeglichen wird. Es ist zum einen ein Problem der Stadt Worms, aber in den anderen Städten ist es ähnlich. Will sich jemand dazu äussern?»
«Das linke Pack sollte man einsperren», ereifert sich Herr Wolf, «zur Zeit des Kaisers, hätte man nicht lange gezögert.»
Im Saal wird es laut, die kaisertreue Zentrumspartei hat im Stadtrat zwar eine knappe Mehrheit, doch bei den letzten Wahlen haben die Sozialisten zugelegt. Deshalb arbeiten jetzt auch einige Linke im Stadthaus und die protestierten gegen das Votum von Wolf.
Der Bürgermeister lässt die erregte Diskussion eine Zeitlang laufen, dann erhebt er die Stimme: «Wir wollen uns doch nicht selber in die Haare geraten. Was wir brauchen sind konkrete Vorschläge. Denken sie daran, unsere Partei steht für christliche Werte ein.»
Die Diskussionen in kleinen Gruppen gehen weiter. Wolf hält sich zurück. Er hat die bösen Blicke einiger Mitarbeiter gesehen. Einigen ist durchaus zuzutrauen, dass sie handgreiflich werden. Zudem käme auch ihm eine Lohnerhöhung gelegen, es ist wirklich so, alles wird teurer.
Nach einer halbstündigen Sitzung, einigt man sich darauf, dass zumindest die berechtigten Forderungen erfüllen werden müssen.
«Die Sitzung ist geschlossen!», verkündet er, «seid vorsichtig, bitte keine Provokationen. Die Stimmung ist heikel, ein Funke und es gibt eine Katastrophe. - Wolf kommen sie noch in mein Büro, wir müssen die finanziellen Möglichkeiten abklären.»
Schmitz holt noch das Kassenbuch. Den ganzen Vormittag sitzen sie über dem Kassenbuch und rechnen verschiedene Möglichkeiten durch.
«Also, wenn ich das richtig verstanden habe», fasst der Bürgermeister zusammen, «dann könnten wir zehn Prozent Lohnerhöhung verkraften. Die Gewerkschaft verlangt aber mehr. Meine Partei rät ebenfalls auf die Forderungen einzugehen.»
«Wenn wir auf fünfzehn erhöhen, brauchen wir einen Kredit von der Bank.»
«Richtig, im Moment sollte das kein Problem sein. Zudem werden, bei steigenden Löhnen auch die Steuern höher ausfallen, es gäbe also Mehreinnahmen. Auf lange Sicht, wäre es für die Stadt sogar von Vorteil. Das Problem ist, wenn wir die Löhne anheben, dann muss die Industrie nachziehen, die werden keine Freunde haben.»
«Der soziale Frieden ist mir sehr wichtig. Das sehen auch die Freunde in der Partei so. Sie meinen Geld kann man drucken, das kostet nicht viel. Wir halten uns an die Richtlinien der Zentrumspartei und gehen auf die Forderung ein. Die Wirtschaft angekurbelt ist im Moment das Wichtigste. Nur das garantiert den sozialen Frieden.»
«Wenn sie meinen», nickt Wolf, «bestellen wir bei der Zentralbank einige tausend Mark und füllen damit die Lohntüten der Arbeiter. So kurbelt man die Wirtschaft an, haben Sie dabei keine Bedenken?»
«Ich halte mich an die Weisungen der Partei», erklärt der Stadtpräsident, «wenn die sagen, wir sollen auf die Forderungen eingehen, dann machen wir das so.»
«Ist mir auch recht», willigt Wolf ein, «ich werde mich um die Kredite kümmern.»
«Übrigens!», wendet sich der Bürgermeister an Wolf, «die Zeit des Kaisers ist vorbei! Das sehen sogar die in der Parteileitung so. Bedenke, dass es der Kaiser war, der uns diesen Scheisskrieg aufgedrängt hatte. Jetzt sind andere Zeiten, wir müssen uns jetzt mit dem Frieden arrangieren.»
«Ich meine nur, zur Zeit des Kaisers ging es uns noch gut.»
«Vor dem Krieg vielleicht, aber auch da nicht allen.»
«Ja den Revoluzzern, die sich nicht anpassen wollten. Aber die waren selber schuld.»
«Du bist unverbesserlich Wolf! Die Zeiten haben sich geändert. Bedenke, - unsere Partei vertritt die Kirche und die muss den Armen und Schwachen helfen.»
«Ja vielleicht, aber wenn jeder machen kann was er will, wo kommen wir da hin?»
«Ist gut Wolf, du änderst dich wohl nie! Geh und kümmere dich um den Kredit.»
Als Wolf zum Mittagessen nach Hause geht, muss er sich durch eine Menschenmenge drücken. Die Stimmung ist gereizt. Noch scheint sich nicht herumgesprochen zu haben, dass die Löhne steigen. Möglichst unauffällig drückt er sich vorbei und erreicht die Querstrasse, an der sein Haus liegt.
Sein Frau Rosa ist bereit für das Mittagessen. Auch Wilhelm sitzt bereits mit gewaschen Händen am Tisch.
«Wegen diesen asozialen Kerlen kommt man noch zu spät zum Mittagessen», brummt er. Dann spricht er das Tischgebet und kurz danach, schöpft ihm Rosa einen Löffel voll Gemüsesuppe in den Teller. Es wird kein Wort gesprochen, jeder löffelt den Teller leer.
Danach wird Schmorbraten mit Kartoffeln serviert. Erst als Rosa mit einer Tasse Kaffee erscheint, ist das Sprechverbot aufgehoben.
«Wie war es in der Schule?»
«Wir lernen jetzt die Zahlen über tausend. Es sei nötig, sonst können die Kinder nicht mal einkaufen gehen.»
«Soll das eine Anspielung sein? - Ich muss wohl mit Ihr sprechen. Sie soll sich aus der Politik heraushalten.»
«Das ist nicht Politik», verteidigt Rosa die Lehrerin, «man ist heute bei vielen Einkäufen schnell bei eintausend Mark. Es macht also Sinn, wenn die Kinder lernen mit diesen Zahlen umzugehen.»
«Ist ja gut», brummt der Vater.
«Heute Abend könnten wir doch ins Kino gehen, es läuft ein Film von ...»
Weiter kommt Rosa mit ihrem Vorschlag nicht. Franz unterbricht sie und erklärt, in keinem Widerspruch duldendem Ton, dass heute Donnerstag ist und er in den Schachklub muss.
«Dieses neumodische Kino sagt mir nichts.»
«Du warst ja noch gar nie im Kino», stellt Rosa mutig fest, «alle gehen hin.»
«Ich bin eben