Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe
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Sind alle frisch und neu!
Wie du dich nun empfinden wirst
Nach eignem Sinne frei.
Wer dann das Innere begehrt,
Der ist schon groß und reich;
Zusammen haltet euren Wert,
Und euch ist niemand gleich.
Gedenkt unendlicher Gefahr,
Des wohlvergoßnen Bluts,
Und freuet euch von Jahr zu Jahr
Des unschätzbaren Guts.
Die große Stadt, am großen Tag,
Die unsre sollte sein –
Nach ungeheurem Doppelschlag
Zum zweitenmal hinein!
Nun töne laut: Der Herr ist da!
Von Sternen glänzt die Nacht.
Er hat, damit uns Heil geschah,
Gestritten und gewacht.
Für alle, die ihm angestammt,
Für uns war es getan,
Und wie's von Berg zu Bergen flammt,
Entzücken flamm' hinan!
Der Vorhang fällt.
Die Aufgeregten
Personen.
Die Gräfin
Friederike, ihre Tochter
Karl, ihr Söhnchen
Der Baron, ein Vetter
Der Hofrat
Breme von Bremenfeld, Chirurgus
Karoline, Bremens Tochter
Luise, Bremens Nichte
Der Magister, Hofmeister des jungen Grafen
Der Amtmann
Jakob, junger Landmann und Jäger
Martin,
Albert,
Peter, Landleute
Georg, Bedienter der Gräfin
Erster Aufzug
Erster Auftritt
Ein gemeines Wohnzimmer, an der Wand zwei Bilder, eines bürgerlichen Mannes und seiner Frau, in der Tracht, wie sie vor funfzig oder sechzig Jahren zu sein pflegte. Nacht.
Luise, an einem Tische, worauf ein Licht steht, strickend. Karoline, in einem Großvatersessel gegenüber, schlafend.
LUISE einen eben vollendeten gestrickten Strumpf in die Höhe haltend. Wieder ein Strumpf! Nun wollt' ich, der Onkel käme nach Hause, denn ich habe nicht Lust, einen andern anzufangen. Sie steht auf und geht ans Fenster. Er bleibt heut' ungewöhnlich lange weg, sonst kommt er doch gegen eilf Uhr, und es ist jetzt schon Mitternacht. Sie tritt wieder an den Tisch. Was die französische Revolution Gutes oder Böses stiftet, kann ich nicht beurteilen; so viel weiß ich, daß sie mir diesen Winter einige Paar Strümpfe mehr einbringt. Die Stunden, die ich jetzt wachen und warten muß, bis Herr Breme nach Hause kommt, hätt' ich verschlafen, wie ich sie jetzt verstricke, und er verplaudert sie, wie er sie sonst verschlief.
KAROLINE im Schlafe redend. Nein, nein! Mein Vater!
LUISE sich dem Sessel nähernd. Was gibt's, liebe Muhme? – Sie antwortet nicht! – Was nur dem guten Mädchen sein mag! Sie ist still und unruhig; des Nachts schläft sie nicht, und jetzt, da sie vor Müdigkeit eingeschlafen ist, spricht sie im Traume. Sollte meine Vermutung gegründet sein? sollte der Baron in diesen wenigen Tagen einen solchen Eindruck auf sie gemacht haben, so schnell und stark? Hervortretend. Wunderst du dich, Luise, und hast du nicht selbst erfahren, wie die Liebe wirkt, wie schnell und wie stark!
Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Georg.
GEORG heftig und ängstlich. Liebes Mamsellchen, geben Sie mir geschwinde, geschwinde –
LUISE. Was denn, Georg?
GEORG. Geben Sie mir die Flasche.
LUISE. Was für eine Flasche?
GEORG. Ihr Herr Onkel sagte, Sie sollen mir die Flasche geschwinde geben; sie steht in der Kammer, oben auf dem Brette rechter Hand.
LUISE. Da stehen viele Flaschen; was soll denn drinne sein?
GEORG. Spiritus.
LUISE. Es gibt allerlei Spiritus; hat er sich nicht deutlicher erklärt? wozu soll's denn?
GEORG. Er sagt' es wohl, ich war aber so erschrocken. Ach, der junge Herr –
KAROLINE die aus dem Schlaf auffährt. Was gibt's? – Der Baron?
LUISE. Der junge Graf?
GEORG. Leider, der junge Graf!
KAROLINE. Was ist ihm begegnet?
GEORG. Geben Sie mir den Spiritus.
LUISE. Sage nur, was dem jungen Grafen begegnet ist, so weiß ich wohl, was der Onkel für eine Flasche braucht.
GEORG. Ach, das gute Kind? was wird die Frau Gräfin sagen, wenn sie morgen kommt! wie wird sie uns ausschelten!
KAROLINE. So red' Er doch!
GEORG. Er ist gefallen, mit dem Kopfe vor eine Tischecke, das Gesicht ist ganz in Blut; wer weiß, ob nicht gar das Auge gelitten hat.
LUISE indem sie einen Wachsstock anzündet und in die Kammer geht. Nun weiß ich, was sie brauchen.
KAROLINE. So spät! wie ging das zu?
GEORG. Liebes Mamsellchen, ich dachte lange, es würde nichts Gutes werden. Da sitzt Ihr Vater und der Hofmeister alle Abend beim alten Pfarrer und lesen die Zeitungen und Monatsschriften, und so disputieren sie und können nicht fertig werden, und das arme Kind muß dabei sitzen; da drückt sich's denn in eine Ecke, wenn's spät wird, und schläft ein, und wenn sie aufbrechen, da taumelt das Kind schlaftrunken mit, und heute – nun sehen Sie – da schlägt's eben zwölfe – heute bleiben sie über alle Gebühr aus, und ich sitze zu Hause und habe Licht brennen, und dabei stehen