Eine Geschichte aus zwei Städten. Charles Dickens

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Eine Geschichte aus zwei Städten - Charles Dickens

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Gesichter und tiefe Stimmen, und auf jedem derselben war mit stets erneuten, tiefen Furchen das Zeichen des Hungers eingegraben. Dies erschien als der vorherrschende Zug. Der Hunger sprach aus den hohen Häusern heraus in den armseligen Linnen, die an den ausgespannten Seilen hingen, und wurde mit Stroh und Lumpen, Holz und Papier in sie hineingeflickt. Hunger bedeutete jeder der kleinen Holzabschnitte, die unter der Säge des Holzhackers fielen. Hunger glotzte aus den rauchlosen Schornsteinen in die Tiefe und schoß aus der schmutzigen Straße auf, in deren Kehricht sich kein Abfall vom Essen befand. Hunger war die Inschrift der Bäckersimse, deutlich ausgedrückt in den kleinen Laiben und dem spärlichen Brotvorrat – die der Wurstläden, lesbar in den Präparaten aus krepierten Hunden, die zum Verkauf ausgeboten wurden. Der Hunger ließ seine dürren Knochen rasseln unter den in der gedrehten Walze röstenden Kastanien und zeigte sein Skelett auf jedem Teller mit schlechten, in einigen Tropfen widerstrebenden Öls gebratenen Kartoffeln.

      Der Tummelplatz war in jeder Beziehung für ihn passend. Eine enge, krumme Straße voll Unflat und Gestank, die in die andern engen, krummen Straßen einmündete, alle bevölkert von Lumpen und Nachtmützen, alle riechend nach Lumpen und Nachtmützen, und in allen sichtbaren Dingen ein düsteres, brütendes Aussehen zeigend. In den abgezehrten Mienen der Menschen war da und dort noch so eine Art Raubtiergedanke von der Möglichkeit eines Widerstandes zu lesen. Wie gedrückt sie auch dahinschlichen, fehlte es ihnen doch nicht an Augen voll Feuer, an zusammengepreßten Lippen, blaß von dem, was sie unterdrückten, und an Stirnen, gefurcht nach Art des Stricks, den zu erdulden oder zu handhaben ihnen beschieden war. Die Geschäftschilde, deren es fast so viele gab wie Läden, zeigten lauter grauenhafte Schilderungen des Mangels. Der Rindvieh- und der Schweinemetzger hatten nur die magersten Fleischstücke, die Bäcker die kleinsten Laibe rauhen Brotes abbilden lassen. Die abgemalten Gäste in dem Schilde der Weinbuden krächzten in hohläugiger Vertraulichkeit über dem spärlich zugemessenen dünnen Wein oder Bier. Nichts war in einem ordentlichen Zustand dargestellt als das Arbeitsgerät und die Waffen; allerdings, die Messer und Äxte waren scharf, die Schmiedehämmer schwer und die Vorräte des Büchsenmachers mörderisch. Das lahmmachende Pflaster mit seinen vielen kleinen Schlamm- und Wasserpfützen hatte keine Trottoirs, sondern begann unmittelbar vor der Tür. Zur Schadloshaltung lief die Gosse durch die Mitte der Straße – das heißt, wenn sie überhaupt lief, und das geschah nur nach schweren Regengüssen, die dann auch gelegentlich durch ihre exzentrischen Kundgebungen die Häuser füllten. In weiten Zwischenräumen sah man quer über die Straßen je eine einzige schwerfällige Laterne an einem Seil und einem Klobenpfahl aufgehangen, und wenn sie dann nachts von dem Lampenwärter niedergelassen, angezündet und wieder aufgezogen wurde, pendelte über den Köpfen eine weit auseinandergezerrte Reihe von düster brennenden Dochten so krankhaft, als wären sie auf dem Meer. Und so konnte man es auch nennen; sie zitterten auf einem Meer, und Schiff und Mannschaft stand in Sturmesgefahr.

      Denn es sollte eine Zeit eintreten, in der die hagern Vogelscheuchen jenes Stadtteils in ihrem Müßiggang und Hunger dem Lampenwärter so lang zugesehen hatten, daß ihnen der Gedanke kam, seine Methode zu verbessern und an jenen Seilen und Klobenpfählen Menschen in die Höhe zu ziehen, damit sie grell hineinleuchten möchten in die Nacht ihrer Lage. Aber die Stunde war noch nicht gekommen, und jeder Wind, der über Frankreich hinblies, schüttelte vergeblich die Lumpen der Vogelscheuchen; die Vögel mit ihrem schönen Gesang und Gefieder ließen sich nicht warnen.

      Der Weinschank war ein Eckhaus von besserem Aussehen als die meisten anderen, und der Besitzer desselben stand in gelber Weste und grünen Beinkleidern vor der Tür und sah dem Kampf um den ausgelaufenen Wein zu. »Geht mich nichts an«, sagte er mit einem schließlichen Achselzucken. »Die Lieferung geschah auf Gefahr des Verkäufers; er mag für eine andere sorgen.«

      Seine Augen fielen zufällig auf den langen Spaßmacher, als er mit seinem Witz die Wand bekleckste, und er rief ihm über die Straße hinüber zu:

      »He, Gaspard, was macht Ihr da?«

      Der Kerl schien in seinem Spaß, wie es bei Leuten seines Schlages gern der Fall ist, große Bedeutung zu sehen, verfehlte aber doch, wie es bei Leuten dieser Gattung gleichfalls oft zutrifft, vollständig seinen Zweck.

      »Was soll das? Seid Ihr denn fürs Tollhaus reif?« sagte der Weinwirt, über die Straße hinübergehend und den Spaß mit einer Handvoll Gassenkot austilgend, den er aufnahm und darüber hinschmierte. »Warum schreibt Ihr das in offener Straße? Gibt es denn – hört Ihr – gibt es denn keinen andern Platz, um solche Worte hinzuschreiben?«

      Während dieser Vorstellung ließ er, vielleicht zufällig, vielleicht auch nicht, seine reinlichere Hand in die Richtung von des Spaßmachers Herzen sinken. Dieser klopfte mit seiner eigenen darauf, tat einen hurtigen Sprung in die Höhe und nahm dann die Haltung eines phantastischen Tänzers an, schuppte sich seinen beschmutzten Schuh vom Fuß in die Hand, und streckte ihn aus ... Unter diesen Umständen erschien der Spaßmacher in einer außerordentlich, um nicht zu sagen wolfartig praktischen Rolle.

      »Zieht ihn nur wieder an, zieht ihn an«, sagte der andere. »Bestellt Wein, Wein, und laßt's dabei bewenden.«

      Nach diesem Rat wischte er sich ganz bedächtig seine beschmutzte Hand an dem Kleid des Spaßmachers ab, als sei dieser schuld gewesen an der Verunreinigung, kehrte nach seinem Haus zurück und trat in seine Weinstube.

      Der Wirt war ein stiernackig, martialisch aussehender Mann von dreißig und mußte wohl von sehr hitziger Körperbeschaffenheit sein, da er trotz des bitter kalten Tages seinen Rock nicht auf dem Leib, sondern über die Schultern geschlenkert trug. Seine Hemdärmel waren aufgerollt und seine braunen Arme bis zum Ellbogen nackt. Auch hatte er keine andere Kopfbedeckung als sein kurzgeschnittenes, krauses, schwarzes Haar. Er selbst war ein dunkelfarbiger Mann mit grauen Augen und einer breiten, kühnen Nasenbrücke dazwischen. Im ganzen sah er gutlaunig, dabei aber auch unversöhnlich aus, und Entschiedenheit des Willens und des Entschlusses waren ihm auf die Stirne gezeichnet, Man mußte sich wohl vorsehen, ihm entgegenzutreten, wenn er eine enge Steige mit einem Abgrund auf jeder Seite hinabstürmte, da diesen Mann nichts zum Ausweichen gebracht haben würde.

      Als er hereinkam, saß seine Frau, Madame Defarge, hinter dem Zahltisch der Gaststube. Sie war eine stämmige Frau von dem Alter ihres Gatten und hatte ein wachsames Augenpaar, das selten auf etwas hinzuschauen schien. Ihre große Hand war mit schweren Ringen geschmückt, und ihr gesetztes, derbzügiges Gesicht verriet große Selbstbeherrschung. Überhaupt zeigte Madame Defarge etwas so Charakteristisches, daß man von ihr zum voraus sagen konnte, sie mache in den Rechnungen, denen sie vorstand, nicht leicht einen Verstoß zu ihrem Nachteil. Da sie sehr empfindlich gegen Kälte war, hatte sie sich in einen Pelz gehüllt und außerdem ein mächtiges, hellfarbiges Tuch um den Kopf gebunden, das jedoch nicht bis zu den großen Ohrenringen niederreichte. Ihr Strickzeug lag müßig vor ihr, da sie eben mit dem Ausstochern ihrer Zähne beschäftigt war, und in dieser Arbeit mußte ihre linke Hand den rechten Ellenbogen unterstützen. Als ihr Eheherr eintrat, sagte sie nichts, sondern hustete nur ganz leichthin. Dies mit dem Erheben ihrer dunkel gezeichneten Augenbrauen um die Breite einer Linie über ihren Zahnstocher deutete dem Gatten an, daß er gut tun werde, sich im Zimmer nach den Gästen umzusehen, da während seiner kurzen Abwesenheit neue Kundschaft eingetreten sei.

      Der Weinwirt ließ seine Augen umherschweifen, bis sie auf einem ältlichen Herrn und einem jungen Frauenzimmer, die in einer Ecke saßen, haften blieben. Es war auch andere Gesellschaft da; ein Paar spielte Karten, ein anderes machte eine Dominopartie, und drei standen neben dem Schenktisch und schlürften sparsam den kleinen Rest ihres Weines. Als der Wirt hinter den Tisch trat, fiel ihm auf, daß der ältliche Herr mit einem Blick auf die junge Dame die Worte fallen ließ:

      »Dies ist unser Mann.«

      »Was Teufels wollt ihr in dieser Galeere da?« sagte Monsieur Defarge zu sich selbst; »ich kenne euch nicht.«

      Er stellte sich an, als nehme er keine

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