Eine Geschichte aus zwei Städten. Charles Dickens

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Eine Geschichte aus zwei Städten - Charles Dickens

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geht es, Jacques?« sagte einer von den dreien zu Monsieur Defarge. »Ist aller ausgeflossener Wein schon versorgt?«

      »Bis auf den letzten Tropfen, Jacques«, antwortete Monsieur Defarge.

      Nach diesem Austausch von Taufnamen hustete Madame Defarge, die noch immer ihre Zähne mit dem Stocher bearbeitete, wieder ein klein wenig und zog die Brauen um eine Linie höher.

      »Es kommt nicht oft vor«, bemerkte der zweite von den dreien gegen Monsieur Defarge, »daß dieser Haufe unglücklichen Viehs Wein oder überhaupt etwas anderes zu kosten kriegt als Schwarzbrot und Tod. Ist es nicht so, Jacques?«

      »Jawohl, Jacques«, entgegnete Monsieur Defarge.

      Nach diesem abermaligen Taufnamenaustausch hustete Madame Defarge, die in gründlicher Fassung noch immer ihren Zahnstocher handhabte, abermals ein wenig und erhob die Brauen um die Breite einer weitern Linie.

      Nun brachte der Letzte von den dreien sein Sprüchlein an, nachdem er zuvor sein leeres Trinkglas schmatzend auf den Tisch niedergesetzt hatte.

      »Ah, um so schlimmer. Dieses arme Gesindel hat immer einen bitteren Mund und ein saures Leben, Jacques. Hab' ich nicht recht, Jacques?«

      »Sicherlich, Jacques«, lautete Monsieur Defarges Erwiderung. Dieser dritte Taufnamenaustausch war kaum beendigt, als Madame Defarge ihren Zahnstocher beiseite steckte, die Augenbrauen scharf in die Höhe zog und leicht in ihrem Sitze raschelte.

      »Halt, da; richtig«, murmelte der Ehemann. »Messieurs, meine Frau.«

      Die drei Gäste nahmen vor Madame Defarge die Hüte ab und schwenkten sie achtungsvoll. Sie dankte für diese Huldigung durch eine Verbeugung des Kopfes und durch einen raschen Blick, den sie über das Kleeblatt hingleiten ließ. Dann schaute sie sich rasch, als geschehe es nur zufällig, in der Zechstube um und nahm endlich mit dem Anschein großer Ruhe und geistiger Fassung ihr Strickzeug auf, in das sie sich alsbald völlig vertieft hatte.

      »Meine Herren«, sagte ihr Gatte, der sein helles Auge nicht von ihr verwandte, »guten Tag. Das Zimmer für einen ledigen Herrn, das ihr zu sehen wünschtet und nach dem ihr mich fragtet, eh' ich hinausging, ist im fünften Stock. Die Treppe dazu findet ihr dort links in dem kleinen Hof (er deutete die Richtung mit der Hand an) neben dem Fenster meiner Wirtschaft. Doch ich erinnere mich – einer von euch ist ja schon dagewesen und kann den Weg zeigen. Adieu, meine Herren.«

      Sie zahlten ihren Wein und entfernten sich. Monsieur Defarges Augen hafteten noch immer auf der strickenden Frau, als der ältliche Herr aus seiner Ecke hervortrat und um geneigtes Gehör bat.

      »Recht gern, Herr«, versetzte Monsieur Defarge und trat ruhig mit ihm unter die Tür.

      Ihr Gespräch war sehr kurz, aber auch sehr entschieden. Schon bei den ersten Worten fuhr Monsieur Defarge zusammen und wurde sehr aufmerksam. Er hatte keine Minute zugehört, als er nickte und hinausging. Der Herr winkte dann dem jungen Frauenzimmer und verließ mit ihr gleichfalls das Zimmer. Madame Defarge strickte mit hurtigen Fingern und ruhigen Augenbrauen und sah nichts.

      Mr. Jarvis Lorry und Miß Manette trafen, sobald sie die Tür der Weinstube hinter sich geschlossen, in der Flur, nach der eben zuvor das Kleeblatt gewiesen worden war, wieder mit Monsieur Defarge zusammen. Die Flur führte zu einem stinkenden, kleinen Hinterhof und war der allgemeine Zugang zu einer ansehnlichen Häusergruppe, die von einer großen Menschenmenge bewohnt wurde. In dem dunkeln, mit Backsteinen gepflasterten Vorplatz zu der finsteren Backsteintreppe ließ sich Monsieur Defarge vor dem Kind seines alten Herrn auf ein Knie nieder und führte ihre Hand an seine Lippen. Die Handlung war zart, wurde aber nichts weniger als zart ausgeführt, und unmittelbar darauf kam eine merkwürdige Veränderung über den Mann. Sein Gesicht zeigte keinen Frohsinn, keine Offenheit mehr und verriet jetzt einen heimlichen, finsteren, gefährlichen Mann.

      »Es ist sehr hoch und der Zugang etwas beschwerlich. Besser, wir fangen langsam an.« So sprach Monsieur Defarge mit rauher Stimme zu Mr. Lorry, als sie die Treppe hinanzusteigen begannen.

      »Ist er allein?« flüsterte dieser.

      »Allein! Gott behüte, wer sollte bei ihm sein?« antwortete der andere ebenso leise.

      »Er ist also immer einsam?«

      »Ja.«

      »Auf sein Verlangen?«

      »Aus Notwendigkeit. Wie er war, als ich ihn sah, nachdem man mich aufgefunden und befragt hatte, ob ich ihn aufnehmen und auf meine Gefahr hin verschwiegen sein wolle, – wie er damals war, so ist er auch jetzt.«

      »Wohl sehr verändert?«

      »Verändert!«

      Der Wirt hielt an, um mit seiner Hand gegen die Mauer zu schlagen und einen schweren Fluch vor sich hinzumurmeln. Keine unmittelbare Antwort hätte nur halb so nachdrücklich sein können. Mr. Lorry fühlte sich bedrückter und bedrückter, je höher er mit seinen beiden Begleitern hinaufkam.

      Eine solche Treppe mit ihren Zugaben in den älteren, übervölkerten Stadtteilen von Paris würde schon heutzutage schlimm genug sein, war aber damals für nicht daran gewöhnte und nicht abgehärtete Sinne etwas Abscheuliches. Jede kleine Wohnung innerhalb der großen Kloake eines einzigen hohen Hauses, das heißt jede Stube, jede Räumlichkeit hinter der nach der gemeinsamen Treppe hinausführenden Tür setzte ihren Haufen Unrat, den Rest von dem, was nicht zu den Fenstern hinausgeworfen wurde, auf ihrem Vorplatz ab. Die nicht zu bewältigende, hoffnungslose Masse von Fäulnis, zu der in solcher Weise die Bedingungen gegeben waren, würde die Luft verpestet haben auch ohne die nicht greifbaren Verunreinigungen, die im Gefolge von Armut und Elend auftreten. Beide zusammen aber bildeten ein fast unerträgliches Gemenge. Durch eine solche Atmosphäre und über Haufen giftigen Abfalls führte der Weg. Die Unruhe des eigenen Geistes und die Aufregung des Mädchens, die sich mit jedem Augenblick steigerte, bewogen Mr. Jarvis Lorry zweimal, haltzumachen und auszuruhen. Dies geschah jedesmal vor einem kläglichen Fenstergitter, durch das jedes noch gesund gebliebene Lüftchen zu entweichen und alle verderbten, eklen Dünste einzudringen schienen. Durch die rostigen Eisenstäbe gewahrte man eher durch das Geruch- als durch das Gesichtsorgan die aufeinander hockenden Nachbarhäuser, unter denen, soweit man sehen konnte, nichts auf gesundes Leben und Streben deutete als die beiden hohen Türme der Kirche von Notre-Dame.

      Endlich war die Höhe der Treppe erreicht, und sie machten zum drittenmal halt. Aber es führte eine steilere und engere Obertreppe noch weiter hinauf, bis man in das Dachgeschoß gelangte. Der Wirt, der immer vorausging und sich auf der Seite hielt, auf der sich Mr. Lorry befand, weil er vielleicht von der jungen Dame befragt zu werden fürchtete, wandte sich hier um, betastete sorgfältig die Taschen des über seinen Rücken hängenden Rockes und nahm einen Schlüssel heraus.

      »Ist denn die Tür verschlossen, mein Freund?« fragte Mr. Lorry erstaunt.

      »Ja«, lautete Monsieur Defarges grämliche Antwort.

      »Ihr haltet es also für nötig, daß der unglückliche Mann so zurückgezogen lebe?«

      »Ich halte es für nötig, den Schlüssel umzudrehen«, flüsterte ihm Monsieur Defarge mit gerunzelter Stirn ins Ohr.

      »Warum?«

      »Warum? Weil er so lang eingesperrt gelebt hat, daß er sich fürchten, rasend werden, sich selbst in Stücke reißen, sterben oder weiß Gott welchen Schaden nehmen

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